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Wie Alice Schwarzer einmal "man tau" zum Geburtstag überraschte

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Bevor der Tag zu Ende geht, muss ich einmal einen kleinen Feier-Text einschieben. Heute wird man tau nämlich genau ein Jahr alt. 2450 Kommentare für 127 Posts, im Durchschnitt mehr als 523 Seitenaufrufe am Tag – was sehr schön ist, zumal das Blog am Anfang manchmal pro Tag etwa 5-10 Aufrufe hatte und sich also ein wenig steigern konnte. Die Gewohnheit, ab und zu mal Gedichte zu veröffentlichen, habe ich mit der Zeit vernachlässigt, dafür beschäftigen sich die Texte konzentrierter als zu Beginn mit Geschlechterthemen.
Die Redewendung „man tau“ kommt natürlich, wie ich, aus Norddeutschland, aus der Seglersprache – alle Mann an die Taue, es geht los. Natürlich steckt eine große symbolische Bedeutung darin, an die ich übrigens überhaupt nicht gedacht hatte. Ich fand es schön, dass sich die Redewendung sowohl norddeutsch als auch asiatisch anhörte – „man tau“ hat dort allerdings nichts mit tieferer buddhistischer Weisheit zu tun, sondern bezeichnet, soweit ich das gelesen habe, eine Art gedünsteter Brötchen.
 
Ich dachte, es wäre schön zu sehen, was heute am Bloggeburtstag eigentlich sonst noch so passierte.



Bei Genderama sieht es düster aus: Wir haben ein Gender-Schlachtfeld gerade hinter uns gelassen  und befinden uns nun direkt vor der beginnenden Homokalypse. Über den verlinkten Text von Erzählmirnix bin ich auf einen schönen Kommentar von ihr gestoßen, der sich mit den eigens für Frauen gesenkten Aufnahmebedingungen bei der Marineinfanterie beschäftigt.
„Cool, wie auf diese Art vermittelt wird, dass Frauen genausogut wie Männer sind – wenn man das Niveau für sie weit genug senkt. Schließlich würde es das Frauenbild total schädigen, wenn man nur die ausreichend kompetenten Frauen in Jobs sieht. Da könne ja der Eindruck entstehen, Frauen wären tatsächlich leistungsfähig :-O“
Tatsächlich eine seltsame Entscheidung. Wenn die Aufnahmebedingungen im Verhältnis zu den Anforderungen der Arbeit stehen, ist es unsinnig, die Bedingungen für eine Gruppe von Bewerbern zu entschärfen. Wenn sie nicht in einem vernünftigen Verhältnis stehen, sollten sie für alle angepasst werden.
„Ähm, tschuldigung, Frau Bauleiterin, da muss ihnen ein Fehler unterlaufen sein….sie haben das Haus nur halb gebaut.“ – „War unsere Frauen-Baukolonne. Da reicht die Hälfte völlig.“ – „Aber wie sollen wir jetzt darin leben? Allein die Tatsache, dass es vorne reinregnet, macht es doch irgendwie…ungemütlich…“ – „Wissen sie was? Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie satt ich das habe, dass irgendwelche Arschlöcher ihre Frauenfeindlichkeit hinter pseudo-rationalen Argumenten verstecken!“ – „Äh, ja, entschuldigung…“ – „Und wenn sie jetzt nicht bald das Maul halten, dann mach ich Meldung. Dann baut ihnen nie wieder jemand was.“
 
Bei Alles Evolution geht es heute um Jennifer Lawrence, Schauspielerin in der Erfolgsreihe „Die Tribute von Panem“, die
„etwa mit sympathisch-rustikalen Talkshow-Auftritten, in denen sie munter über Stripshow-Besuche und ihre Fähigkeiten im Weitpinkeln berichtete, für YouTube-Hits“
gesorgt habe (einer dieser Hits findet sich hier). Sie sei ein „Tomboy“ gewesen, ein Mädchen, das sich wie ein Junge verhält – Christian wirft daher natürlich erst einmal, typisch Mann, angesichts des Bildes von Lawrence einen Blick auf ihre Finger, um aus dem Verhältnis der Länge von Ring- und Zeigefinger auf die Menge an pränatalem Testosteron zu schließen.
„Nach den sozialen Theorien hätte hier der Rollendruck versagt, der innerhalb der Rollen aufgebaut wird und dort kein abweichen erlaubt. Warum und wie dieser versagen kann, dass scheint mir innerhalb dieser Theorien ungeklärt zu sein.“
Das Verhältnis von sozialen und biologischen Theorien, und ihre Bedeutung für Geschlechterdebatten, wird – angestoßen insbesondere von Elmar Diederichs  – im neuen Jahr offenbar noch öfter ein Thema sein.

Alles Evolution war übrigens einer der Gründe, warum ich dieses Blog überhaupt begonnen hatte. Je öfter ich dort längere Kommentare vor dem Abschicken gekürzt hatte, weil mir die überlangen Texte im Kommentarteil dann doch etwas unangenehm waren, desto mehr bekam ich das Gefühl, dass ich eigentlich ein eigenes Blog aufmachen sollte. Was die Länge der Texte angeht, hab ich mich mittlerweile ganz gut im Griff – allenfalls eine ganz leichte Tendenz zur Überlänge ist noch erkennbar, und das auch nur, wenn man genau hinschaut. Glaube ich.

 
In den Blogs von Tom und yacv  geht es heute um männlichen Handlungs- und Karriereantrieb – und um die Frau dahinter.
„Wenn ein Mann sagt, er repariert das, dann repariert er das. Man muss ihn nicht alle sechs Monate daran erinnern.“
Würden Männer also, ohne Versorgerrolle und Statusehrgeiz, genügsam vor dem Fernseher sitzen, zufrieden mit sich und der Welt?
„Auch Männer, die nicht erwachsen werden wollen, im Peter- Pan- Syndrom verhaftet bleiben, bei Mutti waschen, als Macho, als Playboy oder sich an Ex- Frau oder Feministinnen abarbeiten, anstatt sich selbst genug zu sein, haben ein Defizit abzuarbeiten: unabhängig von Frauen, Herr der eigenen Gefühle zu sein, Emotionale Autonomie.“
So heute die Maennerschmie.de zum selben Thema. Auch die Frage, ob Männer sich um ihr eigenes Wohlergehen kümmern sollten, anstatt sich wieder und wieder mit frauenpolitischen Vorgaben auseinanderzusetzen, wird im nächsten Jahr wohl noch ab und zu wieder auftauchen.

 
Der Kuckucksvater behauptet heute, dass Jesus kein Kuckuckskind gewesen sei. Die Probleme dahinter, das der Vaterlosigkeit, der Scheinvaterschaft, des Verhältnisses zum biologischen Vater und zum sozialen Vater, bleiben so oder so aktuell. Max Kuckucksvater hatte sich übrigens besonders stark gegen den Nivea-Werbespot engagiert, der – mit großer Sensibilität für die Situation genau zu Weihnachten platziert – kurzerhand Väter als unnötig aus der Familie herausdefiniert hatte.  Noch ein Thema, das sicher bleiben wird.

 
Ganz besonders angetan war ich heute übrigens von einer Geburtstagsüberraschung Alice Schwarzers. Gut, sie hat diese Überraschung nicht extra für man tau vorbereitet, glaub ich jedenfalls, aber ich habe sie heute entdeckt. Frau Schwarzer eifert seit einiger Zeit Doktor Sommer nach und hat die Rubrik „Ask Alice“  entwickelt. Sie berät dort Leserinnen und sogar Leser bei persönlichen wie politischen Problemen, was ja eh irgendwie alles das Gleiche ist, antwortet auf eine Frau, die Probleme mit der Familie ihres deutsch-türkischen Freundes hat, oder auf eine andere, die ihren Freund gern mit langen Haaren und geschminkt sehen würde. „Er ist vermutlich auch jung, wie du, und muss sich erst mal finden. Und dann das Recht haben, so zu sein, wie ER es für sich richtig findet“, antwortet sie ihr.
 
Seltsamerweise fand ich die Antworten von Frau Schwarzer manchmal überraschend pragmatisch und fair – entweder bin ich milder geworden, oder Frau Schwarzer ist es. Da ich selbst eigentlich immer schon milde war, spricht vieles für die zweite Variante – „Vielleicht stellt sich in der Redaktion von Emma und bei Alice Schwarzer ja so etwas wie die Altersweisheit ein“, hatte ja gerade auch Michael Klein gemutmaßt.

Nur bei Pornografie ist Frau Schwarzer nach wie vor unduldsam  – klar, wenn es um Sex geht, dann hört der Spaß natürlich auf.

 
Das also, anlässlich dieses Tages, als kurzen Rück- und Ausblick. Vor allem aber möchte ich mich bedanken bei den Lesern und bei den Kommentatoren, die dieses Blog lebendig gemacht haben. Ich freu mich sehr über die Kommentare hier, auch über die engagierten und sachlichen Diskussionen, die es dabei schon gegeben hat und gibt.
 
Einen sehr herzlichen Dank dafür!
                                         


Monströse Männer, reine Frauen - und andere Sonderbarkeiten moderner Familien

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Als sich einmal in einem Bielefelder Kindergarten, so der Zeit-Artikel Not am Mann. Das geschwächte Geschlecht,
„ein Mann beworben hatte, berief die Kitaleitung erst einmal einen Sonder-Elternabend ein. In hitzigen Debatten sprachen sich einige der vermeintlich fortschrittlichen Eltern gegen den Kandidaten aus. Dann machte einer der Väter einen Kompromissvorschlag: Er sei einverstanden, vorausgesetzt, seine Tochter werde nicht von dem Erzieher gewickelt.“
Für die Autorinnen Elisabeth Raether und Tanja Stelzer (deren Artikel ich hier schon besprochen hatte) ist die ablehnende, ressentimentgeladene Reaktion der Eltern angesichts ihres wohl „fortschrittlichen“ Milieus offenbar überraschend. Das lässt sich auch anders sehen: Gerade in einem vordergründig fortschrittlichen, tendenziell links-alternativen Milieu sind Geschlechterklischees wie der Glaube, dass ein Kind unbedingt zu Mutter gehöre und der Vater ihm im Zweifelsfall schädlich sei, in den vergangenen Jahrzehnten besonders liebevoll gepflegt worden.
Würden Sie diesem Mann Ihr Kind anvertrauen?
Wie also sind Kindergärten und andere Orte der Kindererziehung zu solch androphoben Orten geworden? 

Ein mögliches Beispiel dafür, welche Quellen das absonderliche Verhalten der fortschrittlichen Bielefelder Eltern haben kann, lässt sich mit ein wenig Gegenwartsarchäologie finden – in den Schriften der Münchner Wissenschaftlerin Anita Heiliger, die 1991 eine folgenreiche Dissertation veröffentlicht hat, bis 2006 am Deutschen Jugendinstitut in München arbeitete und die bis heute als Vortragende auf Veranstaltungen autonomer Frauenhäuser unterwegs ist. Es lohnt sich, einen Blick in ihre Schriften zu werfen – auch wenn er erschreckend ist.



Väter wollen herrschen, und Mütter wollen immer nur das Beste Alleinerziehen als Befreiung, Heiligers 1990 in Tübingen als Dissertation eingereichter Text, basiert wesentlich auf Interviews mit Müttern, die nicht oder nicht mehr mit den Vätern ihrer Kinder zusammenleben. Erklärtes Ziel der Untersuchung, so Heiliger, sei es gewesen,
„spezifische Details über die positive Qualität des Lebenszusammenhangs zu erfahren“. (S. 1)
Gegen die Vorstellung, dass die Kinder ihren abwesenden Vater brauchen und vermissen könnten, soll also die„Mutter-Kind-Familie“ als positive Alternative präsentiert werden.

Dass die Arbeit also eher durch politische als durch wissenschaftliche Interessen bestimmt wurde, ist für Heiliger – und offenbar auch für die Universität Tübingen, die den Text als Dissertation akzeptiert hat – kein Problem gewesen. Schließlich werde ihre Forschung, so Heiliger, 
„durch die wesentlichen Prinzipien der Frauenforschung: Betroffenheit, Teilidentifikation und Parteilichkeit geprägt.“ (62)
Dass das herkömmliche Vorstellungen wissenschaftlichen Arbeitens schlankweg in ihr Gegenteil verkehrt, ist sicherlich schon deshalb kein Problem, weil diese herkömmlichen Vorstellungen ebenso wie die herkömmliche Familie selbstredend patriarchalisch strukturiert sind.
„Die patriarchalische Struktur der Ehe und Kleinfamilie verbindet in ihrem Kern die sexuelle Unterwerfung der Frau mit der Nachrangigkeit ihrer eigenständigen Lebensinteressen und entsprechenden Entfaltungsmöglichkeiten." (2)
Väter jedenfalls, die sich auch nach einer Trennung um ihre Kinder kümmern wollten, führten dabei vermutlich nichts Gutes im Schilde – wer könnte auch auf die naive Idee kommen, diesen Vätern ginge es vielleicht wirklich um ihre Kinder?
„Das Verlangen nach gemeinsam ausgeübtem Sorgerecht oder die Übertragung des Sorgerechts auf den Vater“ könne, so Heiliger im Anschluss an Phyllis Chessler, „als eine Art kollektiver Racheakt interpretiert werden“ (53),
nämlich als ein Verlangen nach maximaler Kontrolle bei minimaler Verantwortung. Frauen hingegen, „die sich völlig oder weitgehend entfernt haben von der patriarchalisch bestimmten Definition ihrer Lebens- und Reproduktionszusammenhänge“, die also beispielsweise der Meinung seien, ein Kind zu haben ginge nur sie – und ganz gewiss nicht den Vater – etwas an, seien nach Forschungen von Jean Renvoize
„zumeist glückliche, ausgefüllte, starke, aber sanfte Individuen, die Wärme und eine Bereitschaft, mit anderen zu teilen, ausstrahlen.“ (51)
Auch Renvoize hat also ihre Forschungen offensichtlich von den einschränkenden hegemonial-patriarchalen Mustern herkömmlicher Wissenschaftlichkeit (Sachlichkeit, Nachprüfbarkeit, Reliabilität, Seriosität etc.pp) erfolgreich befreien können.
 

Stille Post, Heilige Nacht - und weitere Wunder des Vaterentzugs Natürlich haben bei Heiliger auch die Kinder etwas davon, dass Frauen sich in der „Alleinerziehung“ von patriarchalisch bestimmten Definitionen befreien. Nach Angaben der befragten Mütter wüchsen die Kinder „in eine größere Selbstverantwortung“ hinein und in eine „(g)rößere Lebenstüchtigkeit“ (124), würden „keine Prügel mehr vom Vater“ erleben, dafür aber einen geradlinigen und einheitlichen Erziehungsstil, würden in „Harmonie“ und in einer engen Beziehung zur Mutter (125) leben und „sozial kooperativ“ werden. (126)

Bei von den Müttern beobachteten negativen Folgen hingegen, Verlassensängsten oder dem Fehlen des Vaters etwa, würden sich wohl die „gängigen Auffassungen über die Bedeutung eines Vaters“ (139) ausprägen, die entsprechenden Angaben würden
„auf einen starken Einfluss herrschender Normen und Ideologien im Gegensatz zur Bewertung der realen Lebenserfahrungen hinweisen“. (130)
Bei Angaben positiver Folgen haben die Frauen also recht, Aussagen zu negativen Folgen hingegen zeigen lediglich ihre Beeinflussung durch herrschende Normen.

Nicht nur durch diese willkürlich-einseitige Interpretation werden die Angaben zu den Folgen der „Alleinerziehung“ für Kinder haltlos. Die ganze Untersuchung ist explizit auf eine positive Beschreibung der Vaterlosigkeit angelegt, die Interviewpartnerinnen sind zu diesem Zwecke handverlesen („zur „Gewinnung von Interviewpartnerinnen“ wurde „in ein Projekt der autonomen Frauenbewegung eingeladen“, 65), und Angaben der Mütter werden – soweit sie wie erwünscht ausfallen – blind als tragfähige Aussagen über das reale Befinden der Kinder gedeutet, ohne die Befangenheit der Mütter zu berücksichtigen.

Trotz der kaum zu ignorierenden Unseriosität dieses Vorgehens sind Heiligers Daten als „Forschungsergebnisse“ zu modernen Legenden geworden, die von interessierten Organisationen wie dem Verband alleinerziehender Mütter (und Väter) gern aufgegriffen werden. Ein Beispiel ist ein Familienratgeber aus dem Jahr 2008, Familie geht auch anders, in dem die Autoren Matthias Ochs und Rainer Orban über Seiten hinweg positive Folgen der Alleinerziehung aufzählen – ohne Angabe von Quellen, selbstverständlich, aber deutlich im Anschluss an Heiliger.
 
Gelobt wird beispielweise der „Ausstieg aus dem chronischen Konflikt zwischen den Eltern“, die „größere Selbstständigkeit du Kooperationsbereitschaft“ der Kinder, das größere „Verantwortungsgefühl“ (112), der bessere „Schutz vor Kindesmisshandlung“, und natürlich seien auch größere„soziale Fähigkeiten alleinerziehender Mütter“ (114) nachweisbar.

Der kitschige Nivea-Spot, der die Vaterlosigkeit zur modernen weihnachtlichen Familienidylle verklärt, taugt wundervoll als Illustration dieses problem- und vaterbefreiten Bildes. Angaben wie die Heiligers wurden so unkritisch über die Jahre weitergetragen, und wie in jedem „Stille Post“-Spiel ging auch hier etwas Wesentliches verloren, nämlich das Wissen über die unzureichende Gewinnung dieser Daten – das auch niemanden ernsthaft interessierte und interessiert.
 
Dass die Harmonie im Mutter-Kind-Verhältnis vielleicht trügerisch sein könnte, weil das Kind nach der Erfahrung des Vaterverlusts nun Angst davor hat, auch die Mutter zu verlieren, und Konflikte vermeidet – dass das Kind womöglich deswegen verantwortungsvoller wirkt, weil es angesichts des Vaterverlusts früh in eine Erwachsenenposition manövriert wird – und dass Kinder in der „Alleinerziehung“ statistisch mehr Gewalt erfahren als Kinder, die bei beiden Eltern leben  – das sind Gedanken, die Heiliger ebenso wenig interessieren wie diejenigen, die ihre „Forschungsergebnisse“ ungeprüft nachsingen.
 
Dabei hätte schon die Tatsache, dass die Autorin zwischen Angaben der Mütter zum Kindeswohl und dem realen Befinden der Kinder keinen Unterschied macht, ein Warnsignal sein müssen: Die Interessen der Kinder werden hier den Bedürfnissen der Mütter beliebig untergeordnet – die Kinder werden für politische Interessen, für die „Befreiung“ der Mütter regelrecht verreinnahmt.

Sowohl in den inhaltlichen Vorannahmen als auch in seiner Form ist Heiligers Arbeit einem Text verpflichtet, der gewiss nicht den Anspruch einer wissenschaftlichen Arbeit hat: Alice Schwarzers Der kleine Unterschied und seine großen Folgen aus dem Jahr 1975. Beide Texte basieren vorgeblich auf Interviews mit Frauen, doch beide benutzen diese Interviews lediglich als Steinbruch, um beliebig politische Positionen der Autorinnen zu illustrieren, die diese völlig unabhängig von aller „Forschung“ ohnehin einnehmen. In einem Text für das Deutsche Jugendinstitut nimmt Wolfgang Erler Heiliger gleichwohl gegen Kritik an ihrer Arbeit in Schutz und bescheinigt ihr, „sorgfältig entlang der vorliegenden empirischen Daten“ gearbeitet zu haben

Diese Gefälligkeitskritik vom Deutschen Jugendinstitut für die Mitarbeiterin des Deutschen Jugendinstituts suggeriert, Heiliger sei aus politischen Gründen für eine wissenschaftlich untadlige Arbeit angegriffen worden. Tatsächlich ist es eher umgekehrt.
 
Wäre ihr Text nicht politisch opportun gewesen, dann wäre er wohl niemals als wissenschaftliche Arbeit oder gar als Dissertation akzeptiert worden. Was wäre, beispielsweise, wohl geschehen, wenn Heiliger sich mit gleichem Vorgehen und gleichem Ressentiment gegen ein anderes Feindbild als gegen Männer gewandt hätte – wenn sie zum Beispiel nachzuweisen versucht hätte, dass Ausländern in Deutschland der Kontakt zu ihren Kindern genommen werden sollte, im Interesse aller und insbesondere in dem der Kinder? Hätte ihr das Deutsche Jugendinstitut dann auch eine „sorgfältige Arbeit“ bescheinigt?
 

Warum reaktionäre Menschen modern sind und aufgeklärte vorgestrig 
„Beleidigung, Belästigung, Erniedrigung, Terrorisierung, Stalking, Einbrüche in die Wohnung, finanzielle Aushungerung der Frau, Auflauern, Bespitzeln, Drohungen, Telefonterror, körperliche Angriffe, Misshandlung und Vernachlässigung der Kinder bei Umgängen, Verabreichung von Medikamenten zur Ruhigstellung des Kindes, sexueller Missbrauch, Ablieferung der Kinder nach Umgängen in verwahrlostem körperlichem und seelischem Zustand: weinend, erkältet, mit div. Symptomen, Einsperren des Kindes beim Umgang, Umherziehen mit dem Kind durch Kaufhäuser oder Kneipen, sexuelle Perversionen diverser Arten usw. (vgl. Heiliger/Wischnewski 2003). All solche Verhaltensweisen bleiben folgenlos für das Umgangsrecht, Kinder erhalten keinen Schutz vor solchen Vätern, die Mütter sind gezwungen, ihre Kinder immer wieder entsprechenden Situationen auszuliefern unter der Prämisse: ein Vater hat ein Recht auf sein Kind.“
Ein Horrorszenario, entworfen von Anita Heiliger 2007 in einem Vortrag zum zehnjährigen Bestehen des Frauenhauses Oberursel. Frauen dagegen, die den Umgang zwischen Vater und Kind erschweren, haben hier nicht nur redliche Motive, sondern werden dafür auch noch drangsaliert, nämlich durch 
„eine oft ins Absurde gehende besondere Aufmerksamkeit gegenüber allen ihren Verhaltensweisen im oft sehr deutlich erkennbarem Interesse, Anzeichen zu finden bzw. zu erfinden, mit denen sich eine Erziehungsungeeignetheit begründen lassen könnte, um die Ursachen der Weigerung leugnen zu können (…).“
Obwohl leicht erkennbar ist, dass die Wissenschaftlerin die schroffen Schwarz-Weiß-Mustern ihres Denkens weiter betoniert hat, lohnt sich ein genauerer Blick. Dass Kinder manchmal erkältet sind oder weinen, ist alltäglich, die Rede von der finanziellen „Aushungerung“ der Frau belegt weniger den bösen Willen des Vaters als die Hohlheit einer „Befreiung“ die auf Zahlungen durch den Unterdrücker angewiesen bleibt – zumal ein großer Teil der Väter schlicht nicht genug verdient, alle Unterhaltsansprüche zu bedienen.
 
Diese Verhaltensweisen und Situationen werden von Heiliger umstandslos mit körperlichen Angriffen, Misshandlungen, Verwahrlosung, sexuellem Missbrauch in eine Reihe gestellt. Im Ergebnis dieses Vorgehens gibt es praktisch keinen Vater, dessen Verhalten hier nicht mit aufgelistet und mit schweren Straftaten gegen Kinder und Frau gleichgesetzt wird.

Mütter haben hier hingegen auch dann noch reine Motive, wenn sie offene Gesetzesbrüche begehen und den Umgang zwischen Kindern und Vätern verweigern. Heiliger interessiert sich also nicht für Unterscheidungen zwischen verschiedenen Verhaltensweisen gegenüber Kindern, sondern allein für eine offenbar kategoriale Unterscheidung zwischen Frauen und Männern, die auf einem tief reaktionären Geschlechterverständnis beruht: Sicher ist das Kind allein bei seiner Mutter.
 
Gewalt gegen Kinder ist hier völlig uninteressant, soweit sie von Frauen ausgeübt wird – interessant wird sie lediglich, wenn sie sich als Argument gegen den Umgang von Vater und Kind verwenden lässt. Tatsächlich geht es hier nicht einmal um Alleinerziehung, sondern um eine Ideologisierung des Vaterentzugs. Dass es tatsächlich Situationen geben kann, in denen eine Mutter oder ein Vater, aus welchen Gründen auch immer, nicht in der Lage zur Kindessorge ist und das Kind zu seinem eigenen Wohl allein beim anderen Elternteil lebt, ist dabei gar nicht von Belang – alleinerziehende Väter werden sogar massiv belastet.

 
Wenn Heiliger in anderen Texten und Vorträgen  „Täterstrategien“ der sexuellen Gewalt gegen Kinder beschreibt, bedient sie sich –  hier im Text Täterstrategien bei sexuellem Missbrauch und Ansätze der Prävention–  der gleichen Mischung aus alltäglichen und offensichtlich gewalttätigen, massiv übergriffigen Verhaltensweisen wie in ihrem Text über die Umgangsverweigerung.
 
Täter würden, beispielweise, einen Missbrauch langfristig vorbereiten, etwa eine Frau suchen, um mit ihr ein Kind zu haben – sie hätten oft eine „sozial angesehene Position“– sie würden bei „Schwächen und Bedürfnissen“ des Kindes ansetzen – Nähe spielerisch herstellen – diese Nähe dann immer stärker sexualisieren – dem Kind Schuldgefühle machen und es gezielt verirren – es bedrohen – dem Kind Geschenke machen – es in Abhängigkeiten bringen – das Kind isolieren – das Kind isolieren – die Mutter-Kind-Beziehung spalten.
 
So wichtig es ist, über sexuelle Gewalt gegen Kinder aufzuklären – dies ist kein Beitrag dazu. Problematisch ist auch hier, dass Heiliger die wesentliche Unterscheidung an der falschen Stelle trifft, nämlich zwischen Männern und Frauen und nicht zwischen problematischen und unproblematischen Verhaltensweisen. Ihr scheint nicht einmal aufzufallen, dass unter den tatsächlich gravierenden Verhaltensweisen einige sind, die auch ihre Ideologie der mütterlichen Alleinerziehung prägen, etwa die Störung der Beziehung des Kindes zum anderen Elternteil und die Schaffung massiver kindlicher Abhängigkeiten.
 
Zugleich werden viele Verhaltensweisen, solange es denn nur Verhaltensweisen von Männern sind, als „Täterstrategien“ auch dann gebucht, wenn sie völlig unspezifisch und für ein alltägliches, zugewandtes Zusammensein eines Vaters mit Kindern nicht nur normal, sondern sogar wichtig sind (wie das Herstellen von Nähe oder die Sensibilität für kindliche Bedürfnisse).

Dieses Konstrukt ist eben keine Aufklärung über sexuellen Missbrauch, sondern ein Muster, das es Frauen erlaubt, ihr eigenes Verhalten in jedem Fall als rein und unschuldig wahrzunehmen – indem alle problematischen Aspekte in den verdorbenen Mann und Vater phantasiert werden. Das bedeutet nicht, dass männliche sexuelle Gewalt gegen Kinder harmlos wäre oder nur aufgebauscht würde – dass es Männer gibt, die sexuelle massiv gewalttätig gegen Kinder sind, ist ebenso wenig zu bestreiten, wie es die schweren Folgen dieser Taten sind.

Es bedeutet aber, dass Heiligers unspezifisch bleibendes Muster weniger dazu geeignet ist, solche Gewalt aufzudecken, als dazu, sexuelle Gewalt zu verdecken, soweit sie nur von Müttern ausgeübt wird.

Doch auch hier interessiert sich Heiliger eigentlich nicht für die Gewalt gegen Kinder, sondern instrumentalisiert sie, um ein reaktionäres Geschlechterbild zu etablieren, in dem die Kinder in jedem Fall zur Mutter gehören und von der väterlichen Sorge anscheinend in hohem Maße bedroht sind. Sicherlich haben die eingangs erwähnten Bielefelder Eltern nicht allesamt Heiliger gelesen, gleichwohl lässt sich an diesem Beispiel zeigen, dass ihre Haltung nicht einfach fortschrittlichere Entwicklungen verpasst hat, sondern ein Resultat offen verbreiteter, schon lange zur Gewohnheit gewordener Ressentiments ist.
 
Heiliger steht mit ihren Schriften ja nicht allein, sondern ist nur ein Beispiel für viele und hat über Jahre hinweg – vom Deutschen Jugendinstitut, vom Familienministerium, von Frauenhäusern – erhebliche institutionelle Unterstützung gefunden. Anstatt dass die massive Feindseligkeit ihrer Positionen dabei irgendwann einmal ernsthaft als Problem der wissenschaftlichen Arbeit angesprochen worden wäre, konnte sie ungehindert dazu beitragen, Alltagsklischees über Männer und Frauen zu prägen oder zu verstärken.

Problematisch ist hier wohl insbesondere, dass diese Ideologie einerseits an vertraute Geschlechterklischees anknüpft und sie absurd überspitzt, dass sie sich zudem offen aus etablierten Positionen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit bedient, wie sie auch in rassistischen Ideologien üblich sind – dass die Autorin ihre Position zugleich aber als „fortschrittlich“ oder „modern“ verkaufen kann. Die offen diskriminierende, für die Kinder schädliche Praxis der Vaterausgrenzung wird beispielweise zur „Mutter-Kind-Familie“ und zu einem Bestandteil moderner, pluralistischer Familienpolitik verklärt.

Das absurde Resultat ist, dass jemand, der sich von reaktionären Geschlechterbildern dieser Art abgrenzt, damit rechnen muss, selbst als vorgestrig, kinder- und frauenfeindlich und möglicherweise gar als gewaltnah präsentiert zu werden.

Und welche fortschrittlichen Eltern wollen das schon – sei es in Bielefeld oder anderswo?

 
 
Literatur, soweit sie nicht verlinkt wurde:
 
 
Anita Heiliger: Alleinerziehen als Befreiung. Mutter-Kind-Familien als positive Sozialisationsform und als gesellschaftliche Chance, Pfaffenweiler 1991

Anita Heiliger: Probleme im Sorge- und Umgangsrecht. Vortrag in Oberursel am 18.9.2007 im Rahmen der Feier zum 10-jährigen Bestehens des Frauenhauses Oberursel.

Anita Heiliger: Täterstrategien bei sexuellem Missbrauch und Ansätze der Prävention, in: beiträge zur feministischen theorie und praxis 56/57, 2001, S. 71 – 82

Matthias Ochs/Rainer Orban: Familie geht auch anders. Wie Alleinerziehende, Scehidungsfamilien und Patchworkkinder glücklich werden, Heidelberg 2008


Vom Privileg, sich opfern zu dürfen (und weitere seltsame Geschichten des "disposable male")

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Die hier besprochenen Filme Elysium und Gravityhaben mindestens eine interessante Gemeinsamkeit: In beiden Filmen opfert sich ein männlicher Held, das eine Mal für das Überleben einer Frau (Gravity), das andere Mal für eine geliebte Frau und deren Tochter, aber der Einfachheit halber auch gleich für alle anderen (Elysium). In den Diskussionen der Kommentarstränge war dieses Motiv des männlichen Opfers immer wieder Thema, verbunden mit einer vorsichtigen Hoffnung:
„Aber vielleicht wirkt ja das Gift der Aufklaerung beim naechsten Mal, beim naechsten Film, wo sich ein Mann opfert (ich bin zuversichtlich, dass es noch ein paar geben wird), vielleicht erinnert man sich dann, und faengt an zu zweifeln.“ (Oliver K.)
Dabei waren sich die Kommentatoren über die Bedeutung des Opfers keineswegs einig. Luc macht im Bezug auf Gravity deutlich, das Selbst-Opfer des Mannes bedeute hier keineswegs, dass er von der Frau als verfügbar (disposable male) betrachtet werde: Bullocks Stone werde nicht „als eine Figur porträtiert, die Clooneys Figur als Verfügungsmasse sieht“. Dass ein Mensch sich freien Stückes in einer Extremsituation für das Überleben eines oder mehrerer anderer opfere, sei durchaus anerkennenswert – fraglich sei jedoch die Einschätzung dieses Opfers:
„Wie kann es überhaupt dazu kommen, dass das nicht mehr sofort als bewundernswert, als durchweg positiv wahrgenommen wird?“
 Problematisch sei nicht die Opferbereitschaft von Männern wie den dargestellten, sondern die Tatsache,
„dass männliche Opferbereitschaft ausgenutzt wird, mittlerweile sogar institutionell per Gleichstellungsbüros und Frauenquoten.“
Das ist ganz im Einklang mit Darstellungen des Autors, der den Begriff „disposable male“überhaupt bekannt gemacht hat. Warren Farrell fragt in seinem grundlegenden Text The Myth of Male Power, was wir denn eigentlich tun könnten, solange es noch keine Gleichberechtigung der Geschlechter gäbe, das männliche Opfer immer noch als selbstverständlich betrachtet werde und beispielsweise die Zahl getöteter männlicher Soldaten weiterhin um Vielfaches höher sei als die weiblicher? Seine Antwort: „We can express our appreciation.“ (The Myth of Male Power, S. 162)

In anderen Kommentaren wurde das Problem des männlichen Opfers allerdings anders beschrieben.

Sind schöne Grabsteine eigentlich ein Privileg?„Der schönste Grabstein, das größte Ehrenmal nützen mir nichts, wenn ich darunter liege“,schreibtBombe 20 in einer Antwort auf Luc. Er finde die Vorstellung wenig erfreulich,
„Männer würden sich auch weiterhin mit Freude für Frauen opfern, wenn sie dafür nur gelegentlich ein wenig Anerkennung erhalten würden.“
Er formuliert Skepsis gegenüber einer Gruppe, bei der die Bereitschaft, sich für andere zu opfern, „als konstituierendes Merkmal dieser Gruppe gesehen wird“, und erinnert an die Verachtung, die Männern begegnete, die zu diesem Opfer nicht bereit waren.

Ein berühmtes historisches Beispiel dafür waren die „White Feathers“, die auch englische Frauen – und gerade Feministinnen – im ersten Weltkrieg Männern überreichten, die nicht auf das Schlachtfeld gezogen waren: als Zeichen ihrer Verachtung für die ihnen unterstellte Feigheit. Überraschend allerdings ist, dass auch heute, etwa hundert Jahre später, das männliche Opfer weiterhin als selbstverständlich erscheint. Nicht nur können Filme mit dem Motiv dieses Opfers noch immer ohne weitere Erklärungen spielen, auch in politischen Bewertungen männlichen Leids wird männliche Opferbereitschaft offenkundig als selbstverständlich angenommen:
 
Noch immer sind Soldaten, die im Kampf getötet werden, mit gigantischer Mehrheit männlich, vorwiegend männliche Leiderfahrungen wie Obdachlosigkeit werden eher mit Verachtung als Mitleid betrachtet, Frauen und Männern gemeinsame Leiderfahrungen wie Gewalt in Partnerschaften hingegen völlig unterschiedlich bewertet– die der Frauen mit großer Sorge, Empörung und Hilfsbereitschaft, die der Männer mit Spott und Desinteresse. Reaktionäre Autoren wie Hinrich Rosenbrock können, unterstützt von einflussreichen Institutionen wie der grünen Partei, mit der Fiktion einer „männlichen Opferideologie“ hausieren gehen, und so den Versuch denunzieren, auch männliches Leid und männliche Opfer ernsthaft zum Thema der Politik zu machen.

Wie ist diese Erstarrung möglich – warum ist das männliche Opfer nicht längst ein ebenso großer Skandal wie das weibliche?
 
Dass einst männliche Opferbereitschaft funktional war, hat ja schon Farrell in seinem Text plausibel beschreiben. In Zeiten der Ressourcenknappheit oder der Bedrohung durch äußere Feinde sei es im Interesse der Gruppe sinnvoll gewesen, diejenigen zu schützen, die ihren Fortbestand sichern konnten.
 
Die Männer hätten gleichsam als lebender Schutzwall funktioniert, Ressourcen bereitgestellt oder Bedrohungen abgewehrt, um zumindest einen kleinen sicheren Lebensraum für Frauen und Kinder zu bewahren. Mit vertauschten Geschlechterrollen hätte das weniger funktioniert: Auch wenige überlebende Männer können schließlich mit mehreren Frauen Kinder haben, aber wenn sich viele Frauen geopfert hätten, dann hätte die Reproduktionsfähigkeit der Gruppe auf dem Spiel gestanden.

Heute allerdings haben sich die Bedingungen radikal geändert. Die Ressourcen sind so reichhaltig, dass sie für alle genügen, und äußere Bedrohungen existieren angesichts einer jahrzehntelangen europäischen Epoche des Friedens nicht mehr. Zudem haben technische Entwicklungen die Hausarbeit so weit ökonomisiert, dass die Tätigkeit der Hausfrau heute nicht mehr notgedrungen ein Fulltime-Job sein muss, so dass Frauen in immer größerer Zahl als Konkurrentinnen und Kolleginnen von Männern auf dem Arbeitsmarkt in Erscheinung traten – und sich selbst entsprechend präsentieren.
„Unter solchen Voraussetzungen muß es ihnen [den Männern] doch zwangsläufig absurd vorkommen, nun andererseits zurückstehen zu sollen für diejenigen, von denen sie doch ganz genau wissen, daß sie ihnen (mindestens) ebenbürtig sind und auch ohne Hilfe alles schaffen, das sie erreichen wollen.“ (Bombe 20)
Die Ideologie des männlichen Opfers und des „disposable male" (was übrigens vorsichtig mit „verfügbarer Mann", aber auch deutlicher mit „Wegwerf-Mann"übersetzt werden kann) konnte angesichts dieser mächtigen und durchdringenden Veränderungen nur mit großen politischen Anstrengungen aufrechterhalten werden – die ihrerseits auf die Angst vieler Menschen, Männern wie Frauen, vor solchen Veränderungen bauen konnten.
 

Jim Knopf und Lukas in der Geschlechterpolitik Nötig wäre, so beschreibt es Elmar Diederichs, eine Analyse, die zeige, dass der Feminismus „die Geschlechterrollen falsch beschrieben hat“ und dass er „die wahren traditionellen Geschlechterrollen tatsächlich fortsetzt“. Tatsächlich hat eine feministisch inspirierte Geschlechterpolitik wesentlich zu der beschriebenen dysfunktionalen Erstarrung beigetragen. Crumar weist in einem Kommentar auf die Ironie hin, dass
„Genderisten (…) genau die Stereotype und Klischees (bedienen), die sie vorgeblich bekämpfen, bzw. auflösen wollen.“
Wie können Strukturen, die einmal funktional waren und die nun dysfunktional geworden sind, dennoch bewahrt werden? Crumar macht auf den fundamentalen Unterschied zwischen sozialen Klassen und einem Verständnis von „Geschlecht“ als Klasse aufmerksam. Wer etwa auf die mangelnde Repräsentanz von Arbeiterkindern in höheren Bereichen des Bildungssystems hinweist, der könne mit diesem Hinweis auf den sozioökonomischen Hintergrund zugleich eine plausible Erklärung des weitreichenden Ausschlusses formulieren. Der Hinweis auf die Geschlechtszugehörigkeit eines Menschen erkläre jedoch viel weniger:
„Eine Frau eines traditionellen Managers hat ordinär nichts gemein mit der Frau an der Kasse des Supermarkts; deren Kinder haben komplett verschiedene Ausgangsvoraussetzungen. Genau diese Unterstellung ist jedoch die BASIS einer Position, die GLEICHSTELLUNG der Geschlechter fordert und NICHT Gleichberechtigung.
So verwandelt sich pures (biologisches!) Dasein als Frau in einen Anspruchs- oder Eigentumstitel. Der Unterschied ist, dass die REALE und KONKRETE Benachteiligung auf der Grundlage einer sozioökonomischen Position nun etwas ganz anderem Platz machen muss. Nämlich einer generalisiertem Unterstellung der Diskriminierung auf der Grundlage des Geschlechts."
Damit aber, dass nun Frauen gleichsam als unterdrückte Klasse konstruiert würden, werde eine beständige Wiedergutmachung für die erfahren Unterdrückung notwendig: Es gehe um „Gleichstellung als Kompensation erlittener Repression und nicht Gleichberechtigung.“

Kurz: Die Idee einer umfassenden Männerherrschaft ist gleichsam der Transmissionsriemen, mit dem dysfunktional gewordene Schutz- und Versorgungsansprüche von Frauen wieder und wieder in die Gegenwart gezogen werden können. Damit aber produziert eine feministisch inspirierte Politik beständig eben die Ungleichheit der Geschlechter, als deren dringend benötigtes Korrektiv sie sich zugleich in Szene setzt.

In Michael Endes Jim Knopf-Geschichten bauen Jim und Lukas ein Perpetumobil: Sie spannen einen Magneten vor ihre Lokomotive Emma, der Magnet zieht die Lokomotive und wird durch sie zugleich nach vorn geschoben, so dass er sie immer weiter ziehen kann – Emma bewegt sich potenziell endlos vorwärts. Ähnlich funktioniert feministische Politik: Die mit moralisierender Dringlichkeit vorgetragene Erwartung, dass die Geschlechter „gleichgestellt“ werden müssten, dient als Magnet, um einen Apparat in Betrieb zu setzen, der seinerseits beständig die benötigte Ungleichheit aufrechterhält.

Natürlich funktioniert ein perpetuum mobile in der Politik ebenso wenig wie in der Physik – für beides ist eine beständige, aber kaschierte Investition von außen notwendig. Etabliert werden kann dieses System nur deshalb, weil die männlichen Leistungen, die für seinen Betrieb notwendig sind, entweder geleugnet oder abgewertet werden. Während Weiblichkeit weiterhin offen oder unterschwellig mit Mütterlichkeit, Mitmenschlichkeit und Fürsorge assoziiert wird, erscheint Männlichkeit als entfremdet, inhuman und an Herrschaft orientiert.

Es liegt nahe, dass Männer sich entziehen und ihren Beitrag zu solchen Strukturen verweigern, in den „Streik“ treten. Das betrifft besonders einen Kern heutiger Geschlechterpolitik, das verbissene Festhalten an der massiven rechtlichen Bevorzugung der Mütter gegenüber den Vätern. In der rabiaten und irrationalen Trennung von Sorgerecht und Unterhaltspflicht, die zudem routiniert ungleich zwischen den Geschlechtern verteilt werden, sind Männer beständig mit der Möglichkeit konfrontiert, für eben die Bedingungen arbeiten und sorgen zu müssen, die sie zugleich radikal ausschließen und unter denen sie wie ihre Kinder leiden.
 
Eben solche Strukturen, in denen Arbeitern das Resultat ihrer eigenen Arbeit als Fremdes und Feindliches gegenübertritt, belegt Marx übrigens mit dem Begriff der Entfremdung"– nur dass die hier thematisierte Entfremdung eben gerade nicht typisch männlich ist, sondern Resultat politischer Entscheidungen, die männliche Verfügbarkeit organisieren.
 

Hat Frau Ortgies eigentlich zur Vergewaltigung aufgerufen? Auf die Möglichkeit eines männlichen Rückzugs aus solchen entfremdenden Strukturen reagieren einige Frauen scharf. Ein erstaunliches Beispiel lieferte schon 2005 die Moderatorin von frauTV im WDR Fernsehen, Lisa Ortgies, die Frauen offen empfahl, die Pille wegzulassen, wenn ihr Partner nicht freiwillig Vater werden wollte. Auf Kritik antwortete sie als Gast in der Harald Schmidt Show damit, dass sie ihre Position noch einmal nachdrücklich betonte. Frauen sollten Männer ruhig in ihr Glück schubsen – wenn nur ein Kind dabei entstehe.
 
Ich habe, als ich dieses Interview sah (es ist mittlerweile bei Youtube aus Urheberrechtsgründen nicht mehr einsehbar), überlegt, warum eigentlich keiner der Beteiligten auf die Idee kam zu fragen, ob Ortgies hier nicht eigentlich eine Vergewaltigung empfiehlt. Natürlich: Das deutsche Gesetz spricht zwar unter anderem von der „Ausnutzung einer Lage, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist“, aber diese Vorgabe müsste äußerst weit interpretiert werden, um auf Ortgies‘ Empfehlung zu passen. Nach dem Gesetz zumindest hat Ortgies nicht zu Vergewaltigungen aufgerufen.

Zudem ist bei ihr der Mann ja zum Geschlechtsverkehr bereit und wird keineswegs mit Gewaltmitteln dazu gezwungen. Hier allerdings ist die Situation nur scheinbar klar – zu DEM Geschlechtsverkehr, den Ortgies empfiehlt, ist der Mann schließlich ausdrücklich nicht bereit. In dieser Hinsicht ist die Situation vergleichbar mit der zweier Menschen, die zwar miteinander schlafen wollen, von denen einer aber eine bestimmte sexuelle Spielart ausdrücklich ablehnt, der andere jedoch eben diese Spielart gegen den Willen des Partners erzwingt.

Dass zudem die Frau den Mann nicht im Interesse eigener Lust betrügt, sondern um ein Kind entstehen zu lassen, macht die Situation eher gravierender als harmloser. Ein Kind zu bekommen ist, wie immer ein Mensch damit umgeht, schließlich eine radikale Erfahrung, die tief in sein Leben eingreift. Ihn gegen seinen erklärten Willen in diese Situation zu bringen, ist ganz gewiss ein Gewaltakt.

Es wird auch deutlich, dass die Verfügbarkeit des Mannes zugleich auch das Kind verfügbar macht: Es ist Ortgies ja gleichgültig, dass die Existenz des Kindes auf einem Betrug gegründet wird, ebenso wie es keine Rolle spielt, dass es einem Vater geboren wird, der das Kind nicht wollte. Zum disposable male gehört das disposable child.

Tatsächlich verzichtet Ortgies‘ Vorschlag nicht einmal auf die Androhung von Gewalt, nur dass diese Gewalt delegiert wird: Es geht ihr bei der erzwungenen Vaterschaft ja offenkundig nicht um einen liebenden Vater, wohl aber um einen Versorger für Mutter und Kind – und eben diese Versorgungsleistung wird sehr wohl mit staatlichen Repressionsdrohungen erzwungen, völlig unabhängig davon, ob der Mann Vater werden wollte oder nicht.

Nach weiten feministischen Definitionen, die alle nicht vollständig konsensuelle Sexualität oder körperliche Annäherung als Vergewaltigung oder sexuelle Nötigung fassen, müsste Ortgies‘ Äußerung ohnehin als Vergewaltigungs-Aufforderung verstanden werden. In meinen Augen belegt das eher die Unbrauchbarkeit dieser Definitionen, gleichwohl ist es bezeichnend, mit welchem Desinteresse ihre Äußerungen von Feministinnen wahrgenommen wurden. Hätte ein bekannter Moderator Vergleichbares geäußert und etwa öffentlich und wiederholt davon fantasiert, dass eine Frau in sexueller Hinsicht ab und zu in ihr Glück geschubst werden müsse, dann wären diese Äußerungen mit Sicherheit und mit guten Gründen als Skandal wahrgenommen worden.

So ist denn Ortgies‘ Gerede zwar keine Ermunterung zur Vergewaltigung, weil dieses Verständnis die strafrechtliche Definition willkürlich ausweiten würde, aber trotzdem gleich in doppelter Hinsicht sexistisch: Die Moderatorin macht nicht nur deutlich, dass eine Frau die Verfügbarkeit des Mannes als Samenspender und Versorger, wenn nötig, gern auch gegen seinen erklärten Willen herstellen könne – sie geht zudem davon aus, dass niemand auch nur auf die Idee kommen wird, diese Äußerung als Aufforderung zur Gewalt zu interpretieren. Entscheidend ist bei ihr nicht, was Menschen anderen Menschen tun – sondern ob diese Menschen Frauen oder Männer sind.

Es passt, dass Ortgies heute stellvertretende Vorsitzende der Lobby-Gruppe proQuote ist. Der von ihr vertretene Feminismus, der mit Männerherrschaftsphantasien weibliche Versorgungsansprüche und männliche Verfügbarkeit reproduziert, hat sich moralisch, intellektuell und politisch so weit diskreditiert, dass er in offenen Diskussionen nicht mehr bestehen und nur noch über die Verankerung in institutionellen Machtpositionen gehalten werden kann.

Es ist ein Feminismus, der beständig sehnsüchtig in die Vergangenheit blickt und standhaft behauptet, dort liege die bessere Zukunft, in welche die gesamte Gesellschaft geführt werden müsste.
 
Wer diese bestehende Gesellschaft als Patriarchat imaginiert, der geht davon aus, dass jede Änderung männliche Privilegien angreifen, „den“ Frauen aber nützen müsse. Ein absurder Schluss aus dieser Haltung ist, dass jede politische Entscheidung, die für irgendeine noch so kleine Gruppe von Frauen mit Nachteilen verbunden ist, als reaktionär und repressiv dargestellt werden kann – selbst eine Gleichberechtigung von Müttern und Vätern im Sorgerecht wäre damit ein Schritt rückwärts, weil sie weibliche Privilegien angreift (die es, davon unbenommen, definitionsgemäß ohnehin und selbstverständlich gar nicht geben kann).

Wesentlich plausibler ist Farrells Beschreibung einer modernisierten Gesellschaft, in der Geschlechterverhältnisse dysfunktional geworden sind, die einmal funktional waren. Sowohl für Frauen wie für Männer sind die damit einhergehenden Veränderungen mit Schwierigkeiten verbunden, aber für beide bieten sie auch große Chancen. Bombe 20 drückt das in einem Kommentar so aus: 
„(Mir) ist jeder Mann, der nicht für eine ihm eingeimpfte Ideologie oder den Gewinn eines anderen als Kanonenfutter verheizt wird, lieber als einer, dessen großes Opfer mit einer Statue oder einem Gedenktag geehrt wird. Und jede Frau, die sich selbst helfen kann, lieber als eine, die jeden Tag Blumen auf das Grab ihres Retters legt.“

Literatur, soweit nicht verlinkt:
Warren Farrell: The Myth of Male Power,  New York 1993

Schulen, Sex und Bildungspläne

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Manchmal gibt es bekanntlich Auseinandersetzungen, bei denen es für unbedarfte Betrachter schwer zu entscheiden ist, welche Seite ihnen stärker auf die Nerven geht. Für mich ist der Streit um die Online-Petition, die sich gegen den Bildungsplan der Landesregierung in Baden-Württemberg richtet, eine solche Situation. Auch lesenswerte Diskussionen und Beiträge dazu in Blogs, etwa bei Alles Evolution, beim Stadtfuchs, bei Mein Senf oder im Pelz-Blog, beziehen ganz unterschiedliche Positionen, sind aber nach meinem Eindruck jeweils gegenüber beiden gegnerischen Parteien gegenüber skeptisch.
Weht diese Fahne bald über dem ganzen Ländle? Oder setzen sich die Feinde des Regenbogens durch? Und vor allem: Kann es sein, dass beide Seiten ein wenig übertreiben? (Quelle)
Auf der einen Seite eine Petition mit mittlerweile etwa 154.000 Unterzeichnern, die sich kaum die Mühe macht, zwischen akzeptablen und inakzeptablen Zielen der Landesregierung zu unterscheiden und die ihr rundweg unterstellt, eine
„pädagogische, moralische und ideologische Umerziehung an den allgemeinbildenden Schulen“
anzustreben. 
 
Dass es richtig sei, die Diskriminierung von Homo-, Bi- und Transsexuellen im Unterricht zu thematisieren, erwähnt der Autor in einer einzigen Passage, die er dann nirgends weiter vertieft. Welche Diskriminierung? Was hat die Schule damit zu tun? Was erleben beispielsweise Jungen an durchschnittlichen deutschen Schulen, wenn sie früher oder später merken, dass sie sich sexuell für ihre Mitschüler stärker interessieren als für ihre Mitschülerinnen? Oder Mädchen, die merken, dass sie lesbisch sind?

Solche Fragen sind dem Petenten, dem Realschullehrer Gabriel Stängle, nicht sonderlich wichtig. Stattdessen ärgert er sich gleich mehrmals über die wolkige – und im Original übrigens in eine Frage, nicht in eine Tatsachenaussage verpackte – Formulierung des Lesben- und Schwulenverbands, dass womöglich die „Schule ein homophober Ort“ sei.

Noch seltsamer ist jedoch die Reaktion auf die Petition.


Warum eigentlich denken Bildungspolitiker immer nur an Sex? Nachdem die Petition zum Erfolg geworden war und schon Zehntausende unterschrieben hatten, erschienen in großen Zeitungen und Magazinen des Landes heftige Angriffe auf sie und ihren Verfasser – so gleichlautend, dass auch stabile Gemüter darüber zu Verschwörungstheoretikern hätten werden können.
„In Baden-Württemberg soll die Vermittlung von Toleranz gegenüber Homosexuellen in den Bildungsplan geschrieben werden. Ein Realschullehrer sammelt dagegen in einer Online-Petition mit abstrusen Argumenten Unterschriften. Er erntet erschreckenden Zuspruch.“
Damit gelingt es Carola Padtberg-Kruse im Spiegel in nur drei Sätzen, den Bildungsplan falsch darzustellen, den Petitionstext zu verzeichnen und als Sahnehäubchen auch noch das Klischee vom Volk, dem großen bösen Lümmel, draufzusetzen.

Johanna Bruckner entdeckt für die Süddeutsche Zeitung bei Stängle einen Kampf „wider die Toleranz“, bei dem er, offenbar ebenso boshaft wie durchtrieben,
„die an Menschenverachtung grenzenden Passagen geschickt weiter unten auf der Seite platziert hat“.
Welche Passagen sie damit meint, verrät Bruckner praktischerweise übrigens nicht, so dass sich alle SZ-Leser besorgt nickend selbst die Sätze der Petition heraussuchen können, die sie am meisten empören.
 
In der taz hatte zuvor Lena Müssigmann den Ton gesetzt, klargestellt, dass Stängle – wer hätte das gedacht – „Zuspruch aus der rechten Szene“ erhalte und dass mit der Petition „konservative Kräfte ins Feld“ gegen die „Akzeptanz sexueller Vielfalt“ ziehen würden.

Die Zeitungen äußern sich, als sei die Idee einer kritischen Distanz von Journalisten gegenüber Politikern ohnehin absurd, fast unisono mit dem bildungspolitischen Sprecher der SPD, Stefan Fulst-Blei:
„Die jetzige Onlinepetition birgt den Geist massiver Intoleranz und ist pädagogisch wie politisch unterste Schublade”. 
Solch große Worte sind bekanntlich dazu geeignet, alles Mögliche dahinter zu verstecken. Zum Beispiel die Tatsache, dass der Baden-Württembergische Bildungsplan pädagogisch und im Hinblick auf die Schulpraxis völlig misslungen ist – ein Referendar, der eine solche Planung einer Unterrichtsreihe einreichen würde, bekäme mit etwas Pech von seinen Ausbildern nahegelegt, sich doch bitte einen anderen Beruf zu suchen.
 
Der Entwurf hat fünf „Leitprinzipien“ (Berufliche Orientierung, Bildung für nachhaltige Entwicklung, Medienbildung, Prävention und Gesundheitsförderung und Verbraucherbildung– warum das „Prinzipien“ sein sollen, und nicht etwa „Bereiche" oder „Lernfelder" oder was auch immer, hab ich übrigens selbst nicht so richtig verstanden), die den ganz unterschiedlichen traditionellen Fächern ihre Ziele setzen.
 
Gemeinsam ist diesen Leitprinzipien der „Gesichtspunkt der Akzeptanz sexueller Vielfalt“, der damit gleichsam ein Meta-Leitprinzip ist.

An vier der fünf „Prinzipien" wird daher ein Passus angehängt, der mit der ritualisierten Wendung „Zusätzlich ist zu berücksichtigen“  beginnt. Bei beruflicher Orientierung haben also die Lehrkräfte zusätzlich zum Bewerbungstraining, zur Organisation von Praktika („Realbegegnungen“) und Jobbörsen, zum Erstellen von Portfolios und zur Hilfe bei der Berufs- und Karriereplanung unbedingt ein weiteres Lernziel zu berücksichtigen:
„Schülerinnen und Schüler setzen sich mit der eigenen geschlechtlichen Identität und Orientierung auseinander mit dem Ziel sich selbstbestimmt und reflektiert für ein ihrer Persönlichkeit und Lebensführung entsprechendes Berufsfeld zu entscheiden.“ (S. 9)
Wär ja auch noch schöner, wenn Schüler_innen* sich ihren Beruf nach solchen profanen Kriterien wie dem Verdienst suchen würden, ohne darauf zu achten, ob er auch angemessen zu ihrer geschlechtlichen Identität passt.

Die Passagen zur Akzeptanz sexueller Vielfalt sind in vier von fünf Fällen in dieser willkürlichen Weise an das Ende der Listen mit den jeweils zu erwerbenden „Kompetenzen“ angeklatscht. Seltsamer noch wird dieses Vorgehen, wenn in anderen Fällen klar wird, dass die Auseinandersetzung mit der „geschlechtlichen Identität“ ihren Schwerpunkt bei der Beschäftigung mit Homo- und Transsexualität hat.

Für die Unterrichtsplanungen in Schulen würde das bedeuten, dass Lehrkräfte wie bisher Jahresarbeitspläne oder Pläne für Unterrichtseinheiten erstellen und sich am Ende jeweils fragen müssen, wo sie denn nun eigentlich noch die Schwulen, die Lesben oder die Transsexuellen unterbringen können.

Was wäre wohl, wenn sich eine einzelne Lehrkraft im Unterricht so zwanghaft auf Sexualität fixieren würde wie dieser Bildungsplan? Wenn ein Lehrer beispielweise wieder und wieder nach Gelegenheiten suchte, sein Steckenpferd „lesbische Liebe“ im Unterricht unterzubringen?

Dass es ausgesprochen seltsame Folgen haben würde, an Schulen tatsächlich nach diesem Bildungsplan zu unterrichten und ihn dabei ernst zu nehmen, hat sicherlich auch Stängle gemerkt. Wie arrogant aber von ihm, anzunehmen, als Lehrer könne er im Hinblick auf Schulunterricht oder pädagogische Fragen kompetenter sein als eine Spiegel-Redakteurin oder ein Baden-Württembergischer Landespolitiker.

Was Stängle in seiner Umerziehungs-Rhetorik jedoch verschweigt, ist, dass dieser Bildungsplan in den Routinen des Schulalltags ohnehin abgeschliffen würde. Vielleicht würde sogar, in der Zersetzungsarbeit der Alltagstätigkeiten gegen die erhabene Planung, etwas Positives daraus werden – dass Lehrkräfte ab und zu mal auf gute Filme oder Texte aufmerksam würden, die Homosexualität oder Transsexualität zum Thema haben, oder dass schwule Kollegen und Schüler  oder lesbische Kolleginnen und Schülerinnen weniger allein mit der Frage dastünden, wie sie in der Schule mit ihrer Homosexualität umgehen können.


Ist es eigentlich normal, normal zu sein? Heikler als die an vier der Leitlinien herangeklatschten Absätze ist ohnehin das einzige „Leitprinzip“, in das die „Akzeptanz sexueller Vielfalt“ bereits eingebaut werden konnte, nämlich das zur„Prävention und Gesudheitsförderung“. Zur „Identität und Identitätsentwicklung“ gehören dort nicht nur solche Klassiker wie der „Abgleich von Selbst- und Fremdbild“ (25), sondern auch die „Vielfalt in der sexuellen Identität und Orientierung (Hetero-, Homo-, Bisexualität; Transsexuelle, Transgender und Intersexuelle)“ (25f.) sowie die
„Zusammenhänge von Sexualität, Geschlechtsidentität und gesellschaftlichen Mustern in Bezug auf die Identitätsentwicklung (erlebtes Geschlecht, biologisches Geschlecht, soziales Geschlecht, juristisch zugeschriebenes Geschlecht)“ (26).
Fächerübergreifend und prinzipiell schon von der Grundschule an.

Hier werde die „Thematisierung verschiedener Sexualpraktiken in der Schule als neue Normalität“ propagiert, schreibt Stängle in seiner Petition. Das stimmt so nicht – der Begriff „normal“ kommt im Arbeitspapier zum Bildungsplan überhaupt nicht vor, auch der Begriff „Normen“ (26) nur zwei Mal, und dann unabhängig von sexueller Identität. Das ist angesichts eines Bildungsplans für Schulen überraschend und unrealistisch, aber erklärbar – schließlich ist der Begriff „normal“ im Zusammenhang mit sexuellen Orientierungen vorbelastet.

Wird „normal“ im Sinne von „gesund“ verstanden, dann werden diejenigen, die außerhalb dieser Normalität leben, als krank angesehen, als abnorm. Im Hinblick auf sexuelle Orientierungen hat sich das keineswegs total verflüchtigt, aus guten Gründen übrigens – schon der Stadtfuchs weist in seiner sehr lesenswerten Begründung, warum er die Petition unterschrieben habe,  darauf hin, dass es bei der Auseinandersetzung von Menschen mit ganz unterschiedlichen sexuellen Orientierung doch wahrscheinlich nicht, beispielsweise, um eine eingehende Beschäftigung mit der Lebenssituation Pädophiler gehen soll.

Für Homosexualität, auch für Transsexualität aber hat sich die Zuschreibung als „krank“ für die meisten Menschen wohl erledigt, und ebenfalls mit guten Gründen. Wenn Stängle Homosexualität mit erhöhten Gesundheitsrisiken konnotiert, dann haben sich darin womöglich Restbestände dieser Zuschreibung erhalten – doch einerseits sind Stängles Daten, wenn auch nur zum Teil, belegt (die im Vergleich zu Heterosexuellen relativ hohe Zahl der HIV-Infektionen bei homosexuellen Männern), und es ist auch hier nicht die Homosexualität selbst, die als krank erscheint.

Im Sinne von „vertraut“ ist der Begriff „normal" möglicherweise schon relevanter für das Thema. Wenn Homosexuelle von Heterosexuellen als fremd, andersartig wahrgenommen werden, dann wird es ihnen damit schwerer gemacht, offen homosexuell zu leben – was wiederum eine Situation betoniert, in der Homosexualität als fremd empfunden wird. Hier kann es also sehr wohl sinnvoll und gerechtfertigt sein, den Begriff der Normalität zu überprüfen.

Wichtig ist ebenso noch ein anderes Verständnis von Normalität, das Homosexuelle oder Transsexuelle weder als krank noch als fremd und andersartig dastehen lässt – der Begriff „normal“ im Sinne von „(statistisch) erwartbar“. Wenn Kinder und Jugendliche ihre „Identität entwickeln“ sollen, dann gehört dazu ja wesentlich die Frage, was sie bis im Normalfall und bis auf Weiteres von anderen erwarten können – und was sie im Hinblick auf die Erwartungen anderer an sie selbst erwarten können.
 
Ein Jugendlicher, der mit einem Freund unterwegs ist, wird nicht ohne Weiteres erwarten, dass dieser andere Junge ein sexuelles Interesse an ihm hat. Ähnlich geht es auch Erwachsenen, Männern wie Frauen, mit gleichgeschlechtlichen Freunden oder Freundinnen. Hat der andere dieses Interesse doch, dann ist das weder schmutzig noch sündhaft, aber es ist eben überraschend und möglicherweise überrumpelnd.

Normalerwartungen sind funktional, um das eigene Handeln im Alltag zu strukturieren und es mit dem Handeln anderer abzustimmen – auch wenn diese Erwartungen in einigen Fällen falsch sind, sind sie nützlich. Ein Mann etwa, der bei jeder Frau, die er trifft, eingehend überlegt, ob sie eine Mann-zu-Frau-Transsexuelle sein könnte, wird sich vermutlich weder tolerant noch offen, sondern einfach ein wenig seltsam verhalten.

Es hat keinen Sinn, vom Grünen Tisch – bzw. von der Landesregierung oder einem Uni-Schreibtisch aus – die Funktion dieser Normalerwartungen zu leugnen, als ob in der Landesregierung oder in der Uni nicht auch mit eben solchen Erwartungen hantiert würde. Im Gegenteil: Mit dem Blick auf diese Erwartungen lässt sich überhaupt erst nachvollziehbar machen, mit welchen Schwierigkeiten ein Leben verbunden ist, dass solche selbstverständlichen und daher oft gar nicht mehr bewussten Erwartungen nicht erfüllt – Schwierigkeiten im Hinblick auf die Interaktion mit anderen wie auf das Selbstgefühl.

Es ist also auch in den Schulen völlig richtig zu versuchen, Menschen das Leben mit solchen Schwierigkeiten zu erleichtern. Das wird aber weit eher gelingen, wenn klargestellt wird, dass ein Leben, das Normalerwartungen in einigen Aspekten nicht erfüllt, deshalb weder krank noch fremd noch bedrohlich noch lächerlich ist – anstatt dadurch, schnurstracks alle diese Erwartungen mit großem Gestus als soziale Konstrukte im Dienste von Herrschaftsstukturen zu entlarven, die ebenso gut anders konstruiert werden könnten.
 
Von solchen (gender-)feministischen Positionen würden Transsexuelle, so der selbst transsexuelle Walter Greiner,
„als Gallionsfigur für eine geschlechtliche Willkür und Beliebigkeit missbraucht, für die doch gerade wir Transsexuelle der lebende Gegenbeweis sind. Denn genauso wie alle Männer und Frauen – aber ganz anders, als Feministinnen glauben – sind wir geschlechtlich schon von klein auf das, was wir sind: originär, im Kern nicht veränderbar durch jegliche Erziehungs- und Therapieversuche.“

Wer schützt Menschen eigentlich vor ihren Beschützern? Die unerklärliche und unerklärte Sexualitäts-Fixiertheit des Bildungsplans, aber auch die ebenso unerklärte Ignoranz gegenüber nicht-sexuell motivierten Formen der Diskriminierung (zum Beispiel der statistisch wesentlich bedeutenderen aus sozialen Gründen) legt den Gedanken nahe, dass es der Landesregierung weniger um Offenheit und Toleranz geht als darum, Schulen auf die oben skizzierten Grundannahmen der Gender-Theorien zu verpflichten.
 „Es gibt nicht eine Demokratietheorie, aus der Politiker den Auftrag ableiten könnten, ihre Wähler zu erziehen bzw. ihren Wählern Vorgaben zu machen“,
schreibt dazu Michael Klein bei Kritische Wissenschaft.

Stängles Umerziehungs-Rhetorik überspielt, dass die Schule tatsächlich einen weitgehend als legitim anerkannten Erziehungsauftrag hat. Bei den genderheoretischen Fixiertheiten des Bildungsplans geht es allerdings weniger darum, Schüler im Sinne gesellschaftlich anerkannter Normen zu erziehen – als darum, die Schulen als Hebel zu benutzen, um diese Normen allgemein umzugestalten. Wer die Gesellschaft verändern will, fängt damit eben praktischerweise bei den Menschen an, die sich am wenigsten dagegen wehren können.

Tatsächlich kehrt ein so agierender pädagogischer Staat die Vorgaben eines liberalen Staates um. Dieser hat seine Freiheiten ja nur, weil seine Bürger Freiheiten an ihn delegiert haben – „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.“ Es sind die Bürger, die kontrollieren, ob dieser Staat seine Kompetenzen nicht überschreitet.

Im pädagogischen Staat aber ist es umgekehrt eben der Staat, der kontrolliert, ob seine Bürger sich auch in angemessener Weise liberal verhalten. So offen und toleranzverpflichtet sich auch seine Lernziele geben mögen – tatsächlich ist dieser Staat ein autoritärer Staat. Wir brauchen kein Vertrauen, wir sind so oder so im Recht– eine so von sich überzeugte Politik produziert verständlicherweise Misstrauen, und es ist unrealistisch zu glauben, in diesem Klima zur Entwicklung von Offenheit und Toleranz Ernsthaftes beitragen zu können.

Gibt es beispielweise an Schulen bald Noten für die „richtige“ Einstellung zu verschiedenen Formen der Sexualität, als Gesinnungstest? An den Universitäten ist es schließlich auch schon längst normal geworden ist, die sogenannte „geschlechtergerechte Sprache“ zur Bedingung für die Annahme studentischer Arbeiten zu machen und so dem Nachweis der richtigen Gesinnung absoluten Vorrang vor der wissenschaftlichen Qualität eines Textes zu geben.

Wenn sich autoritäres staatliches Handeln auf den Schutz von Minderheiten beruft, dann produziert das zudem die Gefahr, dass der Widerspruch gegen dieses Handeln sich nicht etwa gegen die verantwortlichen Politiker, sondern gegen die vorgeblich geschützten Minderheiten richtet. Dass die größten französischen Demonstrationen der letzten Jahrzehnte sich ausgerechnet gegen Rechte von Homosexuellen richteten (dazu dieser Gastbeitrag von Kai), ist möglicherweise so erklärbar.

So weit gehen die Proteste gegen den Bildungsplan nicht, doch auch bei der Petition ist nicht deutlich, ob sie sich eigentlich gegen die autoritären Vorstellungen der Landesregierung richtet – oder gegen das, was der Verfasser als einen homosexuellen „Lebensstil"hinstellt. In einigen Debattenbeiträgen zur Unterstützung der Petition entlädt sich durchaus eine erhebliche Wut auf Schwule, Lesben oder Transsexuelle.

Verfestigt sich diese Konstellation, dann stehen sich schließlich zwei autoritäre politische Gruppen gegenüber: eine, die sich als Schutzherrin der Minderheiten gegen die Mehrheit, und eine, die sich als Schutzherrin der Mehrheit gegen die Minderheiten in Szene setzt.
 
Vernünftige politische Perspektiven bietet weder die eine noch die andere. So war es eigentlich noch freundlich ausgedrückt, wenn ich eingangs behauptet habe, das mir beide auf die Nerven gehen.
 

#Aufschrei: Das Schweigen der Männer und vegane Schweinshaxen

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Ich wollte ja immer schon einmal einen Text über „Gender Mainstreaming“ schreiben, hatte dabei aber das kleine Problem, dass ich auch nach langen Überlegungen und der Lektüre vieler Texte noch immer nicht so recht weiß, was das ist. Also habe ich auf der Seite des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend nachgesehen, weil dort Gender Mainstreaming ja engagiert vorangetrieben wird, und festgestellt, dass das Ministerium auch nicht mehr weiß als ich. Doch dazu später.
 
Ich hätte mein Vorhaben also aufgegeben, wenn mich nicht einige Artikel, die in Zeitungen und Blogs zum einjährigen Aufschrei-Jubiläum erschienen sind, wieder daran erinnert hätten.

In der Süddeutschen Zeitung schreibt Lena Jakat beispielsweise über Frauen, die ihre „Erfahrungen über Alltagssexismus“ bei Twitter skizziert hätten:
„Sie sind sehr leise geworden, zum Schweigen gebracht von einer digitalen Front aus Aggression, die sich in den vergangenen Monaten bei Twitter aufgebaut hat. Dort schwappt dem Hashtag inzwischen so viel Hass entgegen, dass sich kaum noch jemand traut, ihn ernsthaft zu tippen. Dabei sollte das Schlagwort einst ebendiesen Hass bekämpfen.“
Jakat ist im vergangenen Jahr vermutlich ganz einfach nicht dazu gekommen, sich mit dem Thema, über das sie schreibt, näher zu beschäftigen. Sonst wäre ihr sicher aufgefallen, dass die „Erfahrungen über Alltagssexismus“ nur einen kleinen Teil der Aufschrei-Beiträge ausmachten, und dass es kein „Hass“ ist, wenn Männer sich darüber beschweren, dass ihre Erfahrungen mit anti-männlichem Sexismus in der Aufschrei-Kampagne geschlossen abgewehrt wurden. 
Ein Mann beteiligt sich am "Aufschrei"
Immerhin befindet sich Jakat damit in guter universitärer Gesellschaft – gerade hat schließlich auch die Osnabrücker Professorin Julia Becker in der Zeit deutlich gemacht, dass eine Aussage wie
„Wenn ständig über Diskriminierung von Frauen gesprochen wird, wird dabei die Diskriminierung von Männern vernachlässigt“
ausgesprochen sexistisch sei.

Zuvor hatte Hannah Beitzer ebenfalls in der Süddeutschen Zeitung freundlich eingeräumt: „Es gab Männer, die sich selbst im Alltag benachteiligt fühlten.“ Dass damit aber neben den unzähligen Frauen mit ihren realen Diskriminierungserfahrungen Männer mitmischen und sich auch einmal ein wenig diskriminiert füllen wollten, kann Beitzer natürlich nicht unkommentiert stehen lassen. Sie ist sich sicher, dass sich
„hier vor einem Jahr etwas entlud, das sich schon eine ganze Weile angebahnt hatte - nämlich die Unzufriedenheit darüber, dass Männer und Frauen in Deutschland noch immer nicht wirklich gleichberechtigt sind. Immer noch verdienen Frauen im Schnitt 22 Prozent weniger als Männer, immer noch ist ein Großteil der Führungspositionen in der Wirtschaft von Männern besetzt, während Frauen sich häufiger und intensiver als ihre Partner um Haushalt und Kindererziehung kümmern.“
Diskriminiert sein, bitteschön, ist Frauensache.

Das Schweigen der Männer, oder: Haben Männer eigentlich irgendwelche Gründe, aufzuschreien? Es interessiert Beitzer nicht allzusehr, dass der Artikel, den sie zum Beleg ihrer „22 Prozent“-Angabe verlinkt, schon selbst klarstellt:
„Bei vergleichbarer Tätigkeit und Ausbildung reduziert sich der Unterschied allerdings auf rund acht Prozent, wie aus der vorhergehenden Erhebung zur Verdienststruktur im Jahr 2006 hervorging.“
Wer wiederum in dieser Erhebung nachliest, erfährt schon auf der ersten Seite nach dem Inhaltsverzeichnis, dass dieser Wert eine „Obergrenze“ ist und geringer ausgefallen wäre,
„wenn der Berechnung weitere lohnrelevante Eigenschaften – vor allem Angaben zu Erwerbsunterbrechungen – zur Verfügung gestanden hätten.“ 
Das ist schon so lange bekannt, dass sicherlich auch eine SZ-Journalistin irgendwann einmal davon gehört hat: Je ähnlicher die verglichenen Tätigkeiten von Männern und Frauen tatsächlich sind, desto mehr verschwindet der „Gender Pay Gap“.

Was aber wäre eigentlich, wenn Männer die Diskussion einmal umdrehen würden und statt des Versuchs, zum fünfhundertsten Mal die auch Beitzer und anderen schon längst bekannnte Haltlosigkeit des „Gender Pay Gap“-Geredes nachzuweisen, entschlossener die Frage stellen würden, warum Frauen eigentlich immer noch so viel weniger als Männer zum Bruttosozialprodukt und zum allgemeinen Steuereinkommen (hier, gleich auf S. 1) beitragen? Was wäre wohl, wenn sich auch hier der Staat verpflichtet fühlte, für „Gleichstellung“ zu sorgen?

Ich habe neulich eine sehr kurze, schnell abgebrochene Diskussion erlebt, in der Kollegen darüber redeten, wie sehr der hohe Anteil von Kolleginnen im Mutterschutz die Ressourcen des Kollegiums insgesamt belasten würden. Eine Frau fragte daraufhin scharf, ob denn wohl Frauen nicht mehr eingestellt werden sollten – und die Diskussion war beendet. Nur einer sagte noch leise, dass er den Eindruck habe, es gäbe auch so etwas wie eine Flucht in die Schwangerschaft, dass darüber aber nicht laut geredet werden dürfe.

Niemand hatte verlangt, dass eine Frau nicht eingestellt werden oder dass der Mutterschutz abgeschafft werden sollte. Die Unzufriedenheit, die sich erst sehr kurz offen und dann, nach der erwartbaren Zurechtweisung, nur noch grummelnd äußerte, basierte vielmehr darauf, dass der Preis dafür ebenso wenig wahrgenommen wird wie diejenigen, die ihn zahlen. Denn zu leistende Arbeit löst sich schließlich nicht plötzlich in Luft auf, wenn die Gründe, von ihr fernzubleiben, gute Gründe sind – dass die Arbeit von irgendjemandem zusätzlich übernommen werden muss, wird mit erstaunlicher Selbstverständlichkeit übersehen.

Das Einspringen für andere wäre wohl ein wesentlich geringeres Problem, wenn dieser zum großen Teil von Männern geleistete Anteil überhaupt als Leistung wahrgenommen und nicht als Diskriminierung von Frauen präsentiert würde. Das gilt keineswegs nur für den Mutterschutz: Laut DAK Gesundheitsreport ist der Krankenstand bei Frauen in fast allen Lebensaltern, außer bei den ganz Jungen, deutlich höher als bei Männern (S. 13). Was wird denn hier eigentlich für „Gleichstellung“ getan?

Als es aber darum ging, für Versicherungen – und das hat gerade für Krankenversicherungen große Konsequenzen – Unisex-Tarife einzuführen, stellte die Generalanwältin Juliane Kokott in ihrem Schlussplädoyer vor dem Europäischen Gerichtshof klar, eine „unmittelbare Ungleichbehandlung“ von Männern und Frauen sei nicht zulässig,
„wenn Versicherungsprämien und ‑leistungen allein oder jedenfalls maßgeblich unter Zugrundelegung von Statistiken für Männer und Frauen unterschiedlich berechnet werden.“  (Absatz 60/61)
Im Klartext: Bloß statistische Ungleichheiten würden keine Ungleichbehandlung ganzer Gruppen rechtfertigen.

Ein wesentlicher Hintergrund war die Praxis von privaten Krankenversicherungen, von Frauen deutlich höhere Tarife zu fordern als von Männern, da das Risiko der Versicherungen bei Frauen – aufgrund ihrer höheren Lebenserwartung und den auch damit verbundenen höheren Kosten – deutlich größer als bei Männern ist. In den gesetzlichen Krankenkassen zahlen Männer ohnehin traditionell erheblich mehr ein, nehmen aber wesentlich weniger Leistungen in Anspruch (hier, S. 6).

Dass also die Lebenserwartung von Männern deutlich geringer ist als die von Frauen, dass es dafür natürlich auch Gründe gibt, die möglicherweise behoben werden könnten – das ist kein Problem der Gleichstellungspolitik. Sobald aber Männer dadurch, dass sie im Durchschnitt deutlich kürzere Leben haben als Frauen, auch einen kleinen Vorteil haben, erkennt eine bedeutende europäische Institution sogleich eine unrechtmäßige Ungleichbehandlung, die beseitigt werden müsse.
 
Kein Grund, gleich aufzuschreien.
 

Von veganen Schweinshaxen und gerechter Geschlechterpolitik
 „Gender Mainstreaming bedeutet, bei allen gesellschaftlichen Vorhaben die unterschiedlichen Lebenssituationen und Interessen von Frauen und Männern von vornherein und regelmäßig zu berücksichtigen, da es keine geschlechtsneutrale Wirklichkeit gibt.“
Warum ausgerechnet das Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, das Männer schon in seinem Titel sorgfältig ausklammert, sich in dieser Weise für die „Interessen von Frauen und Männern“ stark macht, ist nur auf den ersten Blick rätselhaft.

Der Begriff „Gender“ bedeutet, dass Mann und Frau als soziale Konstruktionen, nicht als biologische Tatsachen betrachtet werden. Es ist eine Lieblingsidee der Gender-Forschung, dass es dementsprechend nicht nur zwei dieser „Konstrukte“, sondern noch beliebig viele mehr geben könnte.
 
Die „Gender Mainstreaming“-Politik hingegen greift stur auf bestehende Konzepte von Mann und Frau zurück, die sich anhand biologischer Merkmale eindeutig und klar unterscheiden lassen. Mit „Gender“ hat das also gar nichts zu tun – was ja auch im Prinzip nicht schlimm wäre, nur ist die Namensnennung eben ungefähr so passend, als würde eine saftige Schweinshaxe ab sofort „veganer Snack“ heißen, oder als würden die Grünen sich als „Arbeiterpartei“ bezeichnen.
„Zur tatsächlichen Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern ist die Bundesregierung durch Art. 3, Abs. 2, Satz 2 GG ausdrücklich verpflichtet“,
heißt es weiter im Text. Ich verstehe nun nicht ganz, wie eine nicht-tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung aussehen könnte. Jedenfalls geht es irgendwie darum, dass Männer und Frauen nicht nur gleiche Rechte haben sollten: Das haben sie ja auch nicht, Männer sind im Kindschaftsrecht, im Recht zur Wehrpflicht, Jungen sind im Beschneidungsgesetz benachteiligt, von weiteren Regelungen ganz abgesehen – beispielsweise davon, dass nur Frauen, ausgerechnet, Gleichstellungsbeauftragte werden können.

Die Idee dabei ist wohl: Frauen sind Männern gegenüber zwar nicht mehr rechtlich benachteiligt, aber da wir, irgendwie, in einer Männergesellschaft lebten, seien sie immer noch diskriminiert, und diese Diskriminierung müsse abgebaut werden. Daher also fühlt sich für „Gender Mainstreaming“ auch vor allem und ausgerechnet das Frauenministerium zuständig – da Männer ja ohnehin im Vorteil seien, kann nach dessen Verständnis eine Balance zwischen Männer- und Fraueninteressen nur durch eine gezielte Stärkung von Frauen hergestellt werden.
 

Eine Graswurzelbewegung von oben Von der Lebenserfahrung der meisten Männer, und wohl auch eines Großteils der Frauen, sind diese Vorstellungen sehr weit entfernt. Die Abgehobenheit dieser Politik zeigt sich schon im Desinteresse der Verantwortlichen, den weithin unverständlichen und bei näherem Hinsehen auch widersprüchlichen Begriff des „Gender Mainstreaming“ durch Begriffe zu ersetzen, die allgemein nachvollziehbar und so für eine demokratische Diskussion brauchbar wären.
 
Je weniger aber eine Politik, die offen oder stillschweigend von der Idee einer „Männerherrschaft“ oder eines „Patriarchats“ ausgeht, noch allgemein plausibel ist, desto mehr zieht sie sich auf institutionelle Herrschaftspositionen zurück, von wo aus dann die „tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung“ in einem Top-Down-Prozess durchgesetzt werden kann.

Für Hanna Beitzer hat sich die Aufschrei-Kampagne dadurch ausgezeichnet, dass dort „mal jemand mit dem allgemeinen Konsens“ gebrochen habe. Das Gegenteil ist richtig. Aufschrei hat geradezu prototypisch einen Konsens gespiegelt, der Geschlechterdebatten in der Medienlandschaft und politischen Institutionen prägt, der aber außerhalb davon kaum noch vermittelbar ist.
 
Aufschrei war die Simulation einer Graswurzel-Bewegung, die eine institutionell verfestigte Geschlechterpolitik brauchte, um sich und andere über ihren eigenen Realitätsverlust täuschen zu können.

Wie angreifbar aber diese Politik ist, lässt sich vielleicht mit einem Hinweis auf eine Diskussion deuten, mit der die politische Philosophie schon seit Jahrhunderten – zum Beispiel lange in der Liberalismus-Kommunitarismus-Debatte, die in den achtziger Jahren begann – beschäftigt ist: eine Diskussion darüber nämlich, ob eine legitime und sinnvolle Politik vor allem die Interessen des Individuums oder die des Gemeinwohls im Auge haben sollte. Die etablierte Geschlechter-Politik wendet sich von wesentlichen Grundlagen BEIDER Seiten ab.

Die Orientierung am individuellen Wohl macht sie unmöglich, weil sie Individuen stur unterschiedlichen Gruppen unterordnet  – die Orientierung am Gemeinwohl macht sie unmöglich, weil sie diese Gruppen grundsätzlich in einen permanenten und bitteren Konflikt miteinander schiebt.

Diese Politik ist also sowohl in einem liberalen Sinn wie auch im Sinne des Gemeinwohls sinnlos und vermutlich auch schädlich. Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass sie sich nicht in offenen demokratischen Prozessen durchsetzen, sondern nur über gezielte Ausschlüsse vieler aus der Diskussion und über institutionelle Herrschaftspositionen etablieren konnte.

Eigentlich gäbe es daher gute Gründe für Männer und Frauen, die diesen Konsens nicht teilen, dieses Spiel nicht mitzuspielen, das beständig ein Geschlecht gegen das andere ausspielt – und Vertrauen darauf zu haben, dass die eigenen Investitionen in das öffentliche Leben sich zumindest auf längere Sicht auszahlen.
 
Der Gender Mainstreaming-Politik hingegen gelingt das Kunststück, sowohl Männern wie auch Frauen das beständige Gefühl zu geben, zu kurz zu kommen. Frauen, weil sie ihnen den Eindruck vermittelt, grundsätzlich und strukturell unterdrückt zu werden – und Männern, weil diese die Erfahrung machen, dass ihre eigenen Leistungen systematisch übersehen, dass ihre rechtlichen Benachteiligungen für irrelevant erklärt und dass sie selbst dabei zwanghaft weiterhin als „Herrscher“ oder „Sexisten“ präsentiert werden.

Sich diesem Spiel völlig zu verweigern, ist allerdings wohl aussichtslos. Angesichts eines Artikels, in dem wieder einmal eine Journalistin wider besseres Wissen vom „Gender Pay Gap“ schreibt, einfach nur freundlich darauf hinzuweisen, dass dieser Gap eine haltlose statistische Konstruktion und dass das beständige Ausspielen eine Geschlechts gegen das andere eher schädlich als nützlich ist – das wirkt gegen die wütend vorgebrachte Behauptung der Diskriminierung von Frauen regelrecht hilflos, abstrakt und ausweichend.
 
Vermutlich haben Gegner dieser Politik nur eine Chance: Gender Mainstreaming beim Wort zu nehmen, Gegenrechnungen wie diese aufzumachen, zu zeigen, wo und wieviel Männer gesellschaftlich draufzahlen – und klarzustellen, dass „Geschlechtergerechtigkeit“, wenn man es ganz genau nimmt, eigentlich kein Privileg von Frauen ist. Der Vorschlag, dafür den Aufschrei-Hashtag zu nutzen, wäre vielleicht ein guter Anfang. 

Wegbeißen, wegberaten, wegprozessieren - und weitere Zaubertricks der Vaterentsorgung

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„Das Magazin „PAPA-YA“ fordert vom Bundesfamilienministerium eine Überprüfung der Arbeit des Verbandes allein erziehender Mütter und Väter (VAMV). Der VAMV untergrabe systematisch das neue Sorgerechtsgesetz (…).“
So begann im Mai des vergangenen Jahres eine Pressemeldungüber einen Artikel des Magazins Papa-Ya, der schwere Vorwürfe gegen den Verband der alleinerziehenden Mütter und Väter, VAMV, erhob:
„Aufrufe zu Falschaussagen hinsichtlich des Kindeswohls und 'Anleitungen' für eine dauerhafte, wörtlich als 'Entsorgung' bezeichnete, Trennung des Kindes vom Vater“
seien von Vertreterinnen des Verbands auf öffentlichen Veranstaltungen verbreitet worden.
Ob dieses Kind sich tatsächlich wohlfühlt, lässt sich nicht genau entscheiden. Die Frage sollte auch nicht per Schnellverfahren beantwortet werden, und schon gar nicht ohne Einbindung des Jugendamts oder des VAMV, oder gar ohne Einbindung von Familienanwälten. ( Quelle )
Insbesondere der Münchner Familienanwältin Strasser, die seit vielen Jahren Informationsveranstaltungen des VAMV abhält,  und einer Münchner Beratungsstelle, Kiebitz e.V., unterstellt der Artikel (der hier im Gelben Forum als pdf-Datei zu finden ist) zudem eine Zusammenarbeit mit dem Ziel, Vätern auf Wunsch der Mütter die Möglichkeit des Umgangs zu nehmen und entsprechende Gutachten bereitzustellen.

Nun hat die Anwältin den Chefredakteur von Papa-Ya, Jörg Mathieu, verklagt – was diesen nicht überrascht.
„Das die im Artikel namentlich genannte Person sich juristisch dagegen wehren würde, war abzusehen. Wir sehen der öffentlichen Verhandlung am 03.02. in München aber gelassen entgegen,“
erklärt er im Interview.

Inwieweit die Vorwürfe sich bestätigen, wird sich in der Verhandlung ja erweisen – wenn sie denn fair abläuft. Von außen lässt sich allerdings feststellen, dass die Gerichtsverhandlung Probleme austrägt, die eigentlich längst politisch hätten geklärt werden müssen.

Bauanleitungen zum Barrikadenbau Eine ganze Reihe allgemein bekannter Informationen lassen die Vorwürfe in Richtung VAMV plausibel werden. Eine Handreichung des Verbands zur neuen Gesetzgebung listet beispielsweise seitenweise auf, welche Gründe gegen eine gemeinsame Sorge sprächen, welche Gründe nicht angeführt werden könnten oder wie die Mutter in ihrer Stellungnahme gegen ein Sorgerecht des Vaters vorgehen sollte.
„Stichworte: Hochstrittigkeit, Motivation des Antragsstellers (Macht / Druckmittel / Blockade der Entscheidungen der Mutter anstelle von Übernahme von Verantwortung für das Kind /Absicht, gemeinsame Entscheidungen zu finden und abzustimmen), negative Auswirkungen auf das Kind“ (S. 5).
Demgegenüber gibt es dort faktisch keine Hinweise darauf, dass die gemeinsame Sorge auch Vorteile für alle und insbesondere für die Kinder haben kann – allenfalls wird einmal unverbindlich die Frage gestellt, was für eine gemeinsamen Sorge spräche, ohne dann auf dieses Thema weiter einzugehen.

Stattdessen schreibt der Verband über eine verfestigt ablehnende Haltung" der Eltern, die als Grund gegen die gemeinsame Sorge angeführt werden könne:
„Hier dürften langjährige Gerichtsverfahren, beispielsweise den Umgang betreffend, einschlägig sein, weil sie die Unfähigkeit der Eltern, ohne Hilfe Dritter gemeinsame Entscheidungen zu fällen, schwarz auf „weiß vor Augen führt.“ (S. 8)
Das bedeutet im Klartext: Eine Mutter, die sich mit dem Vater um einen reibungslosen Umgang bemüht, verliert Argumente, die gegen eine starke Beteiligung des Vaters am Sorgerecht sprechen könnten. Eine Mutter aber, die wiederholt für Konflikte im Umgang gesorgt hat, schwächt damit die Position des Vaters. (Dazu auch dieser Artikel bei man tau.)

Die manipulative Beratung in der VAMV-Handreichung, die auf das Errichten von Barrikaden gegen eine gemeinsame Sorge fixiert ist, widerspricht dem erklärten Willen des Gesetzgebers, in dessen Augen eine gemeinsame elterliche Sorge grundsätzlich zum Wohle der Kinder ist. Natürlich ist der Verdacht naheliegend, dass Vertreterinnen eines Verbands, der schon in veröffentlichten Texten so unverblümt Ratschläge zur Abwehr väterlicher Sorge gibt, noch sehr viel deutlicher agieren, wenn sie sich nicht öffentlich kontrolliert fühlen.


Steuergelder für die Familienverwertung Warum aber tun sie das eigentlich? Wenn der Verband doch die Alleinerziehenden vertritt, dann gehören dazu schließlich auch die Mütter, die gern mit Vätern zusammenarbeiten würden und deren Anliegen es eher ist, diese Väter einzubinden, als sie auszugrenzen. Das ist natürlich auch im Sinne der Kinder: Sowohl entwicklungspsychologisch als auch ökonomisch und sozial sind die negativen Folgen vaterlosen Aufwachsens für Kinder erheblich.

Die Daten zu psychosozialen Folgen der Vaterlosigkeit, gerade noch einmal vom Flussfänger zitiert, wirken wie Zahlen aus einem Horrorfilm, und europaweit ist die Alleinerziehung das größte Armutsrisiko für Kinder – selbst in Schweden mit seinen umfangreichen staatlichen Hilfen (dazu das „Dossier Kinderarmut“ vom Familienministerium, S. 22).

Die Alleinerziehung lässt sich, wenn die Folgen für die Kinder bedacht werden, als Lösung für den Notfall rechtfertigen, wenn ein Partner nicht bereit oder nicht in der Lage zur Kindessorge ist – sie lässt sich nicht rechtfertigen als eine vorgeblich ganz normale Form der Familie, als eine Option unter anderen.

Warum es trotzdem eine Politik des Vaterentzugs gibt, kann man wohl nicht ohne den Hinweis erklären, dass diese Politik – bei allen negativen Folgen für Kinder und Väter – auch ein Millionengeschäft ist. Der VAMV allein erhält laut Papa-Ya-Artikel mindestens 500.000 Euro jährlich vom Familienministerium, und seine starke Stellung als Lobbygruppe kann er auf Dauer nur aufrechterhalten, wenn die Zahl der Alleinerziehenden hoch bleibt.

Die großzügige Versorgung des Verbands mit Steuermitteln legitimiert sich dabei durch die noch immer lebendige Vorstellung von der unschuldigen Notlage alleinerziehenden Mütter, die samt ihrer Kinder von verantwortungsvergessenen Vätern im Stich gelassen worden und nun auf Hilfe angewiesen seien. Das aber ignoriert die VAMV-Politik, gerade diejenigen Notlagen überhaupt erst herzustellen, gegen die sich der Verband dann als notwendige Abhilfe in Positur setzt – orchestriert von einer „Alleinerziehen-als-Befreiung“-Ideologie, die den väterlichen Wunsch zur Kindessorge kurzerhand als illegitimen Eingriff in die Angelegenheiten der Mütter denunziert.

Zudem sind die auf Dauer gestellten Konflikte, die Folge einer Politik der Elternkonfrontation sind, natürlich eine erhebliche Einnahmequelle für Familienanwältinnen und -anwälte. Wäre es Ziel des Kindschaftssrechts und seiner Umsetzung, möglichst schnell und unkompliziert Verständigungen zwischen Eltern herbeizuführen, die sich gegenseitig in ihren Rechten achten müssen und die gleichermaßen dem Kind gegenüber verpflichtet sind – dann wären deutlich weniger Konflikte zu erwarten, die sich über Jahre hinziehen und die immer wieder Anwälte, Ämter, Verfahrensbeistände, Gutachter, Berater und Gerichte bemühen.

Wenn aber Familien größere Möglichkeiten erhalten, sich von ihre institutionellen Verwertern zu distanzieren, dann reagieren diese Institutionen scharf.
„Die Unterzeichnenden dieses Aufrufs fordern den Gesetzgeber auf, bei der Neuregelung des Sorgerechts nicht miteinander verheirateter Eltern darauf zu verzichten, ein rein schriftliches Schnellverfahren ohne Anhörung der Eltern oder des Jugendamtes einzuführen.“
So der Aufruf zur Neuregelung des Sorgerechts, den der VAMV gemeinsam mit dem Juristinnenbund und Beratungsinstitutionen lanciert hat. Abgelehnt wird dabei, dass der Vater ohne weiteres Verfahren am gemeinsamen Sorgerecht beteiligt wird, wenn er einen entsprechenden Antrag stellt und die Mutter in einer festgelegten Frist keinen Widerspruch einlegt.

Natürlich ist diese Regelung ungünstig, und das gleich doppelt. Dass der Vater das Grundrecht auf Kindessorge – und das Kind sein Grundrecht auf väterliche Sorge – erst nach einem väterlichen Antrag erhält, signalisiert der Mutter, dass grundsätzlich und bis auf Weiteres nur sie für die Kindessorge zuständig sei. Zugleich signalisiert es dem Vater, dass er seine Verantwortung nur übernehmen müsse, wenn er das auch wolle und einen entsprechenden Antrag stelle.

Den VAMV aber stört etwas ganz anderes an diesem Gesetz – es geht ihm schon viel zu weit, es schafft eine Möglichkeit der väterlichen Sorge ohne ausdrückliche Zustimmung der Mutter, und es schafft überhaupt neue Möglichkeiten, das Recht zur Kindessorge beider Eltern zu etablieren, ohne dabei die üblichen Institutionen (Jugendamt, Familienanwälte, Gerichte, Beratungsstellen, VAMV, …) in Anspruch zu nehmen.

Es gab nur eine Fraktion im deutschen Bundestag, die sich die Kritik des VAMV kritiklos zu eigen machte und der die extrem zurückhaltende gesetzliche Neuregelung schon viel zu weit ging: die der SPD. Warum es verrückt ist, dass ausgerechnet Sozialdemokraten in ihrer Familienpolitik der VAMV-Lobbyarbeit hinterherlaufen, kann ich an meinem eigenen Beispiel vielleicht deutlicher machen.


Familienpolitik im Verrücktland Vor dem Hintergrund meiner eigenen Erfahrungen sind mir die Vorwürfe, die Papa-Ya erhebt, völlig plausibel. Ich muss dazu ein paar persönliche Geschichten erzählen, es wird aber wohl deutlich, dass das hier der Klärung sachlicher Fragen dient.

Den Verein „Kiebitz e.V.“ kannte ich beispielsweise schon seit Jahren – meine ehemalige Partnerin, damals noch mit unserem Kind in der Nähe von München lebend, wollte dort nach der Trennung eine Elternberatung nur bei diesem Verein beginnen, und schon damals warnte meine Anwältin mich nachdrücklich vor dieser Beratungsstelle und ihrer Zusammenarbeit mit einer nach ihren Auskünften ausgesprochen väterfeindlichen Münchner Anwältin.

Sollten sich die Vorwürfe von Papa-Ya bewahrheiten, dass der Verein es gezielt darauf angelegt hat, Väter aus der Beziehung zu ihren Kindern herauszuberaten und entsprechende Gutachten zu erstellen, dann wird vielleicht erst angesichts solcher konkreter Situationen klar, wie perfide ein solches Vorgehen ist. Schließlich ist diese Beratung für einen Vater, der willkürlich von seinen Kindern getrennt wird, oft eine letzte, zumindest aber sehr wichtige Hoffnung.

Dass eine Ärztin ein Gutachten erstellt, die mit äußerst willkürlichen Argumenten (die mit mir übrigens gar nichts zu tun hatten) und durch die Blume Umgangseinschränkungen empfiehlt, ohne jemals mit dem Vater gesprochen zu haben – das habe ich auch erlebt. Ich hatte nur das Glück, an einen Richter zu geraten, der sich für ein solches offenkundig voreingenommenes Gutachten nicht interessierte.

Dass dabei Mütter offen, und offen rechtsbrechend, gegen Väter aufgehetzt werden, ist oft überhaupt nicht nötig. Ich habe beispielweise eine Situation in der Familienberatung erlebt, in der die Beraterin ohne erkennbaren Anlass ein Gerichtsurteil vorlegte, nach dem einem Vater die gemeinsame Sorge vorenthalten worden sei, weil die Mutter nicht mit ihm habe sprechen wollen. Natürlich ist das ein Wink mit dem Zaunpfahl in Richtung Mutter, aber im Zweifelsfall könnte sie sich immer darauf berufen, uns lediglich eine sachlich relevante Information nicht vorenthalten zu haben.

Vor allem aber: Den Umgang mit unserem Kind aufrecht zu erhalten, kostet durchaus sehr viel, in mehrfacher Hinsicht.

Ich hätte mich gern an den Wohnort unseres Kindes versetzen lassen – ohne Sorgerecht und ohne Bereitschaft meiner Ex-Partnerin, wenigstens für die absehbare Zukunft dort auch wohnen zu bleiben, wäre das aber sinnlos gewesen. Ich habe also eine Zweitwohnung für den Umgang gemietet, weil das nicht viel teurer als ein Hotel, aber wesentlich sinnvoller ist, und fahre alle zwei Wochen hin. Mit den Kosten für die Zugfahrten, die Wohnung und den doppelten Haushalt bezahle ich schon für die Aufrechterhaltung des Umgangs etwa 700-800 Euro im Monat, der Kindesunterhalt ist noch nicht enthalten.

In den ersten drei Jahren, als ich auch der Mutter gegenüber noch Betreuungsunterhalt bezahlen musste, konnte ich den regelmäßigen Umgang nur aufrechterhalten, weil ich einen Kredit über mehrere tausend Euro aufgenommen habe – obwohl ich ja als A13-Beamter überdurchschnittlich viel verdiene.

Insgesamt ist das natürlich eine kranke Situation, in der für eine Umgang im Zweiwochentakt ein sehr großer Aufwand nötig ist und enorm viel Geld in die Luft gepumpt wird, das ich für unseren Sohn ausgebe, das aber niemals bei ihm ankommt. Perfide daran ist, dass ein Vater in dieser Situation ja eine ganz einfache Möglichkeit hat, nicht nur enorm viel Geld und Zeit zu sparen, sondern auch einen großen Teil der Autonomie über sein Leben zurück zu gewinnen. Er muss nur den Kontakt zum Kind aufgeben.

Worauf ich aber eigentlich hinaus will, ist etwas anderes. Mit einem normalen Facharbeitergehalt, mit dem Gehalt eines klassischen SPD-Wählers also, wäre es mir schon aus finanziellen Gründen nie und nimmer möglich gewesen, den Kontakt mit unserem Kind aufrecht zu erhalten. Im Kosmos der sozialdemokratischen Familienpolitik ist der Umgang eines Trennungskindes mit dem Vater, und der Umgang eines Vaters mit dem getrennt von ihm lebenden Kind, schon unter relativ gewöhnlichen Bedingungen ein Privileg Wohlhabender.

Nach allem, was von der neuen sozialdemokratischen Familienministerin bekannt ist, ist nicht zu erwarten, dass sie an dieser Situation etwas ändern oder sie auch nur als Problem begreifen wird. Ihre Prioritäten liegen bei der Frauenquote für Führungsgremien, ebenso wie die ihres Justiz-Kollegen Heiko Maas, für den die Einführung der Frauenquote in Aufsichtsräten „absolute Priorität“ hat (mehr dazu auch hier). Auch das ein Beispiel dafür, wie eng eine feministisch orientierte Politik und eine Fixierung auf die Interessen weniger Privilegierter zusammenhängen.

Da wurden gerade im NSA-Skandal die Rechte von Millionen auf informationelle Selbstbestimmung massiv verletzt, und da steht weiter die Frage im Raum, wie viele Freiheiten wir eigentlich für das Versprechen, vor Terror geschützt zu werden, noch aufgeben wollen – da steht die EU vor dem Auseinanderbrechen und kann nur mit massivem Einsatz finanzieller Mittel und mit erheblichen rechtliche Problemen zusammengehalten werden – und auch: Da wurde der Bundesrepublik vor wenigen Jahren de facto bescheinigt, mit ihrem Kindschaftsrecht die Grund- und Menschenrechte hunderttausender Kinder und Väter massiv verletzt zu haben, so dass es dringend wäre, endlich Rechtsfrieden herzustellen und mit dem Aufsammeln der Scherben zu beginnen –

– aber angesichts all dessen hat der neue sozialdemokratische Justizminister kein dringenderes Problem als die Frage, wie er möglichst schnell eine Handvoll ohnehin schon privilegierter Frauen per Gesetz auf lukrative Aufsichtsratsposten hieven kann.

Die Gedankenlosigkeit dieser Politik schlägt auf die Familienpolitik besonders gewaltsam um, weil gerade hier Kinder direkt betroffen sind. Als „Verrücktland“ bezeichnet unser Sohn ein imaginäres Land, in dem im gedanklichen Spiel immer das Gegenteil dessen behauptet wird, was eigentlich wahr ist. Aus diesem Land stammt auch weiterhin die deutsche Familienpolitik.

Wenn Kunstformen wie „Ein-Elter-Familien“ oder „Mutter-Kind-Familien“ als wesentliche Elemente moderner Familienpolitik verkauft werden, als ob sie nichts mit der Ausgrenzung von Vätern zu tun hätten – dann werden reaktionäre Positionen, nach denen allein die Mutter zum Kind gehöre, als progressive Politik verkauft. Dann kann natürlich auch der sozialdemokratische Ministerpräsident Beck der sozialdemokratischen VAMV-Vorsitzenden und Familienanwältin Edith Schwab für ihre Verdienste das Bundesverdienstkreuz verleihen.

Auf lokaler Ebene gibt es Mitarbeiterinnen des VAMV, die gesprächsbereit und konstruktiv agieren – auf dieser Ebene hat es auch schon vereinzelt eine Zusammenarbeit mit dem Väteraufbruch gegeben. Im Interesse der Kinder, und der Eltern, ist das wichtig. Die Politik des VAMV aber, für die vor allem Schwab steht, ist von solchen konstruktiven Ansätzen weit entfernt.

Diese Politik der mütterlichen Alleinerziehung hält an längst überlebten Geschlechterstereotypien fest und produziert damit beständig Konflikte, und sie missbraucht zugleich das Recht als Transmissionsriemen, um diese Konflikte in die Elternbeziehungen hineinzutragen – wo sie dann überhaupt nicht mehr lösbar sind.

Was am 3.2. in München vor Gericht ausgetragen wird, hätte also nicht vor ein Landgericht, sondern schon längst in die politische Diskussion gehört. Mit welchem Recht, beispielsweise, wird ein Verband aus Steuermitteln unterstützt, in dessen Eigeninteresse es ist, humane Änderungen in der Praxis des Kindschaftsrechts, also Entwicklungen zu einer besseren Beteiligung beider Eltern an der Sorge zu verhindern?

Dass der VAMV, oder Vertreterinnen dieses Verbands, Gerichtsverfahren gegen Kritiker anstrengen, ist jedenfalls nichts Neues. Im Gedächtnis geblieben ist die Strafanzeige des Verbands gegen Matthias Matussek, weil der es gewagt hatte, auf Forschungsergebnisse über Kindesmisshandlung und -missbrauch in der mütterlichen Alleinerziehung hinzuweisen (mehr dazu z.B. bei Arne Hoffmann: Sind Frauen bessere Menschen, S. 54). Die Strafanzeige war natürlich völlig aussichtslos – der großzügig aus Steuermitteln gedopte Verband aber kann es sich leisten, aussichtslose juristische Auseinandersetzungen zu beginnen. Das schüchtert Kritiker ein, die, auch wenn sie im Recht und nicht gerade Spiegel-Ressortchef sind,  weniger Geld für solche Auseinandersetzungen zur Verfügung haben als der Verband.

Eine Politik wiederum, die zwar Lippenbekenntnisse zur Bedeutung beider Eltern für die Kinder ablegt, aber zugleich die verbissenen Gegner der gemeinsamen elterlichen Sorge, und der väterlichen Sorge, großzügig finanziert und unterstützt – eine solche Politik signalisiert, dass sie Taktiken der Väterausgrenzung stillschweigend weiterhin für legitim hält.

Gleichwohl ist es vielleicht immerhin ein Fortschritt, dass diese politischen Konflikte am 3.2. wenigstens vor einem Gericht ausgetragen werden und nicht allein, wie sonst üblich, zwischen den Eltern – und mitten im Leben der Kinder.

Familienfreundlicher Militarismus und andere mediale Verzückungen (Monatsrückblick Januar 2014)

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Die Bundeswehr: familienfreundlicher! Jetzt mit noch mehr Auslandseinsätzen! Gern auch mit minderjährigen Soldaten!

Ob die neue Verteidigungsministerin sich irgendwann einmal Gedanken darüber gemacht hat, wie ihre verschiedenen Positionen miteinander vereinbar sind, spielte im vergangenen Monat keine Rolle. Wozu auch: Von der Leyen schaffte es zumindest, immer wieder allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Kritik daran wurde deutlich stärker in Blogs geäußert als in etablierten Medien. 
Sollte es hinter der medialen Wirklichkeit noch eine andere geben, die manchmal unvermittelt durchscheint? Und verwandelt jemand, der das glaubt, sich möglicherweise auf der Stelle in Maskuscheiße? Fragen des Monats Januar. (Quelle)
 
„Wer einen Hammer hat, für den ist jedes Problem ein Nagel. Und so war es nur konsequent, dass Feministin und Frauenquoten-Befürworterin Ursula von der Leyen als erste Amtshandlung in ihrer neuen Position als Verteidigungsministerin verkündet, die Bundeswehr nicht nur familienfreundlicher, sondern sogar zum attraktivsten Arbeitsgeber Deutschlands umzugestalten."
So zum Beispiel beginnt der Beitrag zur Bundesverteidigungsministerin im Wortschrank. Beim Spiegelfechter schreibt Jörg Wellbrog über den „Kriegsspaß für die ganze Familie“, den die Ministerin verspreche.
„Sie drängt den Krieg, die Toten, die Verletzten und seelisch Geschundenen in eine theoretische Ecke und will die Einsätze der Bundeswehr in den Alltag integrieren wie die Mittagspause bei Starbucks.  
Nichts davon wird sich umsetzen lassen. Ursula von der Leyen zeichnet ein Bild, das abstrakt bleiben wird.“
Ganz ähnlich Kai, der als „Frontberichterstatter“ eigentlich für„Neues von der Geschlechterfront“ zuständig ist:
„Das hier Soldaten mit posttraumatischen Belastungsstörungen in heimische Kasernen zurück kommen, das Menschen ihr Leben verlieren oder ihre körperliche Integrität, versucht von der Leyen durch Kitas und Teilzeit auszublenden und mit ihrem kühlen Lächeln zu überspielen.“
 Und:
„Adelige Frau aus der Oberschicht befehligt Soldaten aus der Unterschicht im Kriegseinsatz. Militär und Krieg war immer schon eine Domäne des Adels, nur dass diesmal eine Frau die Befehle gibt die Menschen über die Klinge springen lässt.“
Der Pelz-Blog bringt den Zusammenhang von demonstrativer Familienfreundlichkeit und einem Ende militärischer Zurückhaltung auf den Punkt:
„Während groß getrommelt wird, dass die Bundeswehr familienfreundlicher werden soll, werden Maßnahmen kriegerischer Natur eher bedeckt kommuniziert.“
Bettina Hammer wirft von der Leyen bei Telepolis ganz in diesem Sinne vor, ein geschöntes Bild der militörischen Wirklichkeit zu zeichnen:
„Wer diese Wirklichkeit ausblendet, aber zeitgleich von mehr ‚humanitären Einsätzen‘ in Ländern, in denen ‚Vergewaltigung und Mord an der Tagesordnung sind‘, redet, muss sich letzten Endes entweder Blindheit oder aber gezielte Desinformation vorhalten lassen.“
Dass die Unterstellung nicht hergeholt ist, die Ministerin verdecke mit routiniertem Familienministerinnen-Vokabular eine militaristische Politik, zeigen Beiträge vom Ende des Monats. Zugleich spielt hier eine zentrale Frage des zurückliegenden Monats eine Rolle: inwieweit nämlich Akteure in etablierten Medien überhaupt noch daran interessiert sind, zu demokratischen Auseinandersetzungen beizutragen, oder ob diese Funktion nicht, zumindest im Internet, mittlerweile viel besser von dezentraleren Medien erfüllt wird.



Familienfreundlicher Militarismus und andere Selbstverständlichkeiten Diese beiden Positionen wurden im vergangenen Monat prototypisch von Stefan Niggemeier und Jan Fleischhauer vertreten. Niggemeier unterstellte etablierten Medien, 
„dass sie ein grundsätzliches und nachhaltiges Problem damit haben, dass ihnen das Kritik– und das Aufmerksamkeits-Monopol abhanden gekommen sind."
 Fleischhauer hielt bei Spiegel-Online dagegen:
„wer über einen Platz in einer Zeitung verfügt, kann sich eher Gehör verschaffen als Leute, die das nicht tun. Das ist für alle, die von einer Gesellschaft der Gleichen träumen, schwer erträglich."
Dass aber lediglich Neid für die Enttäuschung über etablierte Medien verantwortlich ist, ist eine, ähem, angreifbare These, die sich schon bei Spiegel-Online selbst überprüfen lässt.

Bei der Sicherheitskonferenz in München verkündet von der Leyen eine Neu-Orientierung der Bundeswehr, die nicht nur für die deutsche Außenpolitik, sondern vor allem für die betroffenen Soldaten erhebliche Folgen haben kann.
„‘Gleichgültigkeit ist für ein Land wie Deutschland keine Option, weder aus sicherheitspolitischer noch aus humanitärer Sicht‘, ruft sie in den Saal. Sie spricht von Verpflichtungen, die Deutschland erfüllen müsse, und von Verantwortung. ‚Wenn wir über die Mittel und Fähigkeiten verfügen, dann haben wir auch eine Verantwortung, uns zu engagieren‘, so von der Leyen. Was damit gemeint ist, wissen die Anwesenden. Lange Jahre hat sich Deutschland bei internationalen Missionen zurückgehalten, dafür gab es regelmäßig Kritik.“
Wenn die Verteidigungsministerin hier, ganz offenbar abgestimmt mit Außenminister und Bundespräsident, eine Ende der militärischen Zurückhaltung Deutschlands verkündet, dann ist ihr bei der Sicherheitskonferenz Beifall sicher – auch wenn sie damit vielleicht viele der von ihr vertretenen Bürger überrennt, die gedanklich träge noch immer mit der Frage beschäftigt sind, wie denn größere Familienfreundlichkeit und eine Politik verstärkter Auslandseinsätze gleichzeitig realisierbar sind.

Worauf aber konzentriert sich das deutsche Leitmedium Der Spiegel, wenn er vom hier inszenierten neuen deutschen militärischen Selbstbewusstein berichtet? „Willkommen in der Macho-Welt“, ist der Beitrag überschreiben, und das setzt sich im Text so fort:
„Dieser kurze Moment vor der ersten Rede von der Leyens vor einem prominenten internationalen Publikum hat durchaus Symbolwert. Eine Frau mit Befehlsgewalt - im Macho-Kosmos des Militärs und der Sicherheitspolitik ist das noch immer Neuland.“
Der „Wert“ dieser Rede bestimmt sich für den Spiegel-Chefreporter Matthias Gebauer also nicht dadurch, was die Ministerin dort verkündet – sondern dadurch, dass es eine Frau ist, die…über irgendwas redet. Dabei gäbe es schließlich Anlass genug, die fröhliche Ausrichtung auf „mehr Auslandseinsätze“ in Frage zu stellen.

Was, beispielsweise, soll so eine allgemeine Aussagen? Wenn die Einsätze sich überhaupt legitimieren lassen, dann durch konkrete, fallbezogene Argumente. Wodurch wird, im konkreten Fall, ein militärisches Eingreifen nötig? Kann die Bundeswehr irgend etwas Sinnvolles beitragen? Wie hoch sind die Kosten eines Einsatzes, in jeglicher Hinsicht? Welche Möglichkeiten gibt es, den Einsatz in absehbarer Zeit auch wieder zu beenden? Warum Einsätze in der einen Situation, in anderen nicht?

Stattdessen einfach von „mehr Auslandseinsätzen“ zu reden, ist ungefähr so, als hätte die verantwortliche Ministerin verkündet, dass deutsche Soldaten doch bitteschön in Zukunft ganz einfach häufiger auf andere Menschen schießen und häufiger getötet werden sollten. Wieso eigentlich fällt angesichts solcher Positionen einem Spiegel-Redakteur nichts anderes ein, als die Geschichte einer tapferen Frau im Macho-Land zu erzählen?
 
Eine Geschichte zudem, die beliebte Geschichten darüber wiederholt, wie schwer Soldaten es allgemein Soldatinnen machen, und wie sie sexuelle Belästigung zur Einschüchterung einsetzen – beliebte Geschichten, die offenbar nicht auf sorgfältiger Recherche, sondern auf deren Vermeidung aufbauen.

 
Ähnlich klischeehaft war die massenmediale Darstellung anderer Themen dieses Monats – zum Beispiel die der Online-Petition gegen den Landesbildungsplan in Baden-Württemberg, die eine Einführung von gender-theoretischen Vorstellungen über die bloß soziale Konstruiertheit von Geschlechtern kritisierte, aber von einigen Unterstützern auch mit schwulenfeindlichen Statements versetzt wurde.
 
Die Diskussion in Blogsdazu war differenziert, argumentierend, auch vielfältig– die Darstellung in etablierten Medien hingegen versteifte sich auf Klischees und auf den Vorwurf, dass Kritik an dem Bildungsplan nur homophob und reaktionär sein könne (dazu eine knappe Zusammenstellung in dem entsprechenden Beitrag hier bei man tau).

Noch größer ist der Unterschied zwischen massenmedialer Präsentation und den persönlichen Erfahrungen und Einschätzungen vieler anlässlich eines Jubiläums – der „Aufschrei“ jährte sich zum ersten Mal. Tatsächlich könnte längst – wie z.B. durch die Analyse im Blog Maskulismus für Anfänger– klar sein, dass der Aufschrei keineswegs eine feministische Graswurzelbewegung, sondern eine mediale Inszenierung war.
 
Gleichwohl verbreiten Texte etablierter Medien noch immer, wie Lena Jakat in der Süddeutschen Zeitung, das Bild unschuldiger Frauen, „zum Schweigen gebracht von einer digitalen Front aus Aggression“, oder erzählen, wie Hannah Beitzer in derselben Zeitung, im Zusammenhang mit dem Aufschrei auch weiterhin Unerhörtes über einen „Gender Pay Gap“ von 22 Prozent – unbekümmert übrigens um den unwichtigen Sachverhalt, dass der Text, den Beitzer als Beleg verlinkt, ihrer eigenen Aussage widerspricht. (Zu beiden Texten hier bei man tau). Ähnlich unkritisch verläuft weiterhin die massenmediale Diskussion um Frauenquoten.


Die SPD und andere transzendentale Erfahrungen Andere Angehörige der Bundesregierung gaben sich im vergangenen Monat Mühe, konnten es aber mit der Publicity-Tauglichkeit von der Leyens kaum aufnehmen. Souverän ignorierte beispielweise der neue Justizmister Maas Lappalien wir den NSA-Skandal oder die europäische Krise und machte klar, was eigentlich wichtig ist: Die „oberste Priorität“ habe für ihn, so verkündete er unisono mit der „Familienministerin“ Manuela Schwesig, die Einführung der Frauenquote für Aufsichtsräte. 

Über diese entschlossene und beflissene Prioritätensetzung waren vermutlich selbst Befürworterinnen der Quote erstaunt, zumal es dafür eigentlich keinen anderen nachvollziehbaren Grund gibt als das Bedürfnis des Ministers, sich bei einer kleinen, privilegierten Gruppe von Menschen lieb Kind zu machen.

Der Versuch, sympathisch rüberzukommen und damit Wählerstimmen zu gewinnen, hat allerdings schon zu anderen Zeiten in Maas‘ Karriere nur eingeschränkt funktioniert. Als saarländischer Spitzenkandidat hatte er es innerhalb von nur zwei Jahren immerhin geschafft, die SPD von Reinhard Klimmts 44,4 % im Jahr 1999 auf 24,5 % im Jahr 2009 zu bringen. Die SPD, so die Wikipedia in grausamer Sachlichkeit,
„erzielte damit das schlechteste Ergebnis seit Bestehen des Saarlandes, bei ebenfalls starken Verlusten der CDU“. 
Natürlich hat ihn dieser Erfolg für eine sozialdemokratische Ministerkarriere qualifiziert, auch wenn er natürlich akzeptieren muss, dass er mit Sigmar Gabriel auch hier kaum mithalten kann – dem war es gelungen, nachdem er das Amt des niedersächsischen Ministerpräsidenten von Schröder und Glogowski geerbt hatte, bei nur einer einzigen Wahl 2003 14,5 % zu verlieren. Er wurde dann lieber SPD-Vorsitzender und ging nach Berlin.

Offensichtlich entwickelt sich die SPD überhaupt schon seit langer Zeit zu einer Partei, die Begrenzungen der üblichen Parteiendemokratie hinter sich lässt und transzendiert und die sich um Wählerstimmen, Akzeptanz der eigenen Politik bei den Wählern und solcherlei Schnickschnack nicht mehr weiter kümmert. Die SPD sei eine „Regierungspartei“, verkündete Thomas Oppermann in der Frankfurter Allgemeinen, und das ist immerhin insofern richtig, als sie nirgendwo eine überzeugende Oppositionspolitk macht. 

Ansonsten ist sie eher eine Mit-Regierungspartei, so wie es die FDP oder die Grünen schon immer waren – was den großen Vorteil hat, dass nur eine begrenzte Klientel bedient werden muss und man die lästige Aufgabe, sich mit dem Gemeinwohl, dem Ausgleich verschiedener Interessen oder sozialer Gerechtigkeit und solcherlei Firlefanz zu beschäftigen, anderen überlassen kann. Immerhin ist es verständlich, dass eine solche Partei eine heftige Vorliebe für Quoten entdeckt.

Auch angesichts der kategorisch verkündeten ungeheuren Dringlichkeit von Quoten wurden die naheliegenden Fragen nach der Vernunft ministerieller Entscheidungen eher in Blogs gestellt als in etablierten Medien. Tom veröffentlichte bei Mein Senf einen Artikel mit interessanten Statistiken zur Quote und schrieb in den Kommentaren:
„Wenn man denn unbedingt Frauen in den Vorständen haben will, dann geht das nicht top down sondern bottom up. Dann muss man den kleinen mädchen beibringen, dass geld das einzig wahre ist, gewinnen unendlich wichtig. Irgendwann will frau das dann vielleicht und ist bereit, karriere zu machen und den preis dafür zu zahlen. Ob das wirklich so toll ist? Das mag jede und jeder für sich entscheiden.“
Damit klingt unterschwellig eine Skepsis gegenüber Karrierewegen an, die weit überwiegend von Männern gegangen werden. Der Flussfänger drückt diese Skepsis noch expliziter aus:
„Man ist immer noch nicht im Vorstand des DAX-Konzernes? Wenn man zufällig eine Frau ist liegt das Versäumnis woanders, also hilft die Quote nach. Mit Kindern kann man nicht das gleiche Leben führen wie ohne? Wer konnte das ahnen, uns werden ja dauernd Vorbilder vor die Nase gesetzt die das erfolgreich schaffen! Aber wozu gibt es schließlich Ganztagsschulen. Oh, die Kinder sind noch gar nicht schulpflichtig? Na dann eben der Ganztagskindergarten. Auch dafür noch zu jung? Dann halt die Kindertagesstätte, am liebsten gleich schon nach der Geburt, ist eh besser für die Entwicklung sagt man. Und davor gilt dann ja das ‚Selbstbestimmungsrecht‘ der Frau, neuerdings auch gerne bitte bis unmittelbar vor der Geburt.“
 
Fragen zur Abtreibung und andere Maskuscheiße Das war ein überraschend wichtiges Thema in diesem Monat, und mein persönlicher Eindruck ist, dass es in Zukunft noch wichtiger wird: Das Thema Abtreibung kam wieder auf die Tagesordnung, verbunden mit Fragen nach dem Selbstbestimmungsrecht der Frau – und danach, inwieweit es hier überhaupt um eine Selbstbestimmung geht, schließlich sind auch die Interessen anderer erheblich betroffen.
 
Die Piratin Julia Schramm machte nicht nur durch die Ankündigung auf sich aufmerksam, nie wieder „Wahlkampf für eine Penisliste“ zu machen, sondern auch durch die Forderung, Abtreibung sollte bis zum neunten Monat im Ermessen der Frau liegen. Völlig überrascht stellte sie fest, dass sie daraufhin als „Mörderin“, gar „Terroristin" bezeichnet worden sei – immerhin beruhigte sie auf Twitter ein freundlicher Zeitgenosse, dass das gewiss nicht an ihr, sondern nur „an denen und ihrem Hass“ liege.

Wer von der Vorstellung ausgeht, die Frau müsse völlig autonom entschieden können, was mit ihrem Körper geschieht, der kann sich eben auch nicht mit der Vorstellung anfreunden, dass sie nach drei Monaten Schwangerschaft ein Kind schließlich, wenn keine weiteren Indikationen vorliegen, austragen muss – auch wenn sie es sich anders überlegt hat. Wäre ja auch noch schöner, wenn Autonomie bedeuten würde, die Konsequenzen eigener Entscheidungen zu akzeptieren.

Noch komplizierter wird es natürlich, wenn Männer auch mitreden wollen. Niemand, der ernstzunehmen wäre, tritt dafür ein, dass Frauen zu einer Abtreibung gezwungen werden können, wenn der Mann nicht das Kind will. Dass aber Männer, deren Leben sich durch ein Kind ebenfalls massiv wandelt, prinzipiell überhaupt nicht mitreden können, ist gleichwohl problematisch.

Ein Blogtext springt Julia Schramm bei, ohne allerdings eigens die Kleinigkeit zu erwähnen, dass sie keineswegs mit einigen Jahrzehnten Verspätung bloß die Legalisierung der Abtreibung, sondern ihre Legalisierung bis zum neunten Monat gefordert hatte.
„Die Zeugung ist ein beidseitiger Akt, mit Schwangerschaft und Geburt hat der Mann nicht unmittelbar etwa zu tun. Und wenn er etwas mit der Schwangerschaft zu tun hat, dann nicht aus körperlichen Gründen, sondern aus sozialen.“
Zu den „sozialen Gründen“, die ein Mitspracherecht natürlich nicht nötig machen, gehört nicht etwa nur, dass der Mann ebenso zum Vater wird wie die Frau zur Mutter – sondern auch, dass er bei Androhung einer Gefängnisstrafe zum Unterhalt für die Schwangere verpflichtet ist. Diesen Unterhalt verdient er selbstverständlich ganz ohne Einsatz seines Körpers.

Erstaunlich zudem ist es schon, wie schnell Menschen, die sonst verbissen auf der sozialen Konstruktion von Geschlechterrollen bestehen, urplötzlich nur noch biologische Zusammenhänge gelten lassen, sobald sie mütterliche Privilegien gefährdet sehen.

Der Hinweis auf die zitierte Unterhaltspflicht stammt übrigens aus einer der längsten Diskussionen bei Alles Evolution im vergangenen Monat. Zum Thema „Alkohol während der Schwangerschaft“ kreisten Hunderte von Beiträgen um die Frage danach, wo die Frau in ihrer Entscheidung die Interessen und das Leben des Kindes berücksichtigen müsse – und auch die des Mannes.

Tatsächlich verbirgt sich hinter der strikten Betonung weiblicher Autonomie ein erheblicher Besitzanspruch gegenüber dem Kind. Anita Heiliger begründet ihn, wie auch sonst, streng biologistisch mit dem Hinweis darauf, dass das Spermium biologisch betrachtet eigentlich gar kein Samen sei, sondern lediglich „den Anstoß zur Zellteilung des weiblichen Eies“ gebe.

Schon Anfang Februar, am 3.2., wird eine Gerichtsverhandlung darüber entscheiden müssen, ob eine im und für den VAMV tätige Anwältin – und andere Vertreterinnen des Verbands – diesen Anspruch in einer Weise durchgesetzt haben, sie systematisch deutsches Recht gebrochen hat. Wegen entsprechender Vorwürfe hat sie den Chefredakteur der Zeitung Papa-Ya, der darüber geschrieben hatte, verklagt. Es wird interessant zu sehen, ob und wie etablierte Medien über diese Verhandlung berichten.

 
Ansonsten zeigt schon das Beispiel Julia Schramm natürlich, dass das Internet keineswegs eine gute Gegenwelt gegen eine vermeintlich korrupte Welt der Mainstreammedien ist. Durch Vertreterinnen wie sie schafft es die Piratenpartei, dass neben ihr die etablierten Parteien plötzlich seriös und vertrauenswürdig aussehen.

Gerade bei Twitter sind zudem einige One-Women-Kommandos unterwegs, die aufopferungsvoll mit dem alten Klischee aufräumen, Feminismus hätte irgendetwas mit Zivilität oder Humanität zu tun. Die Bloggerin „Erzählmirnix“ z.B. wurde dort wiederholt und offen als „Maskuscheiße“ beschimpft, weil sie ab und zu Positionen bezog, die klassischen feministischen Positionen gegenüber kritisch waren.

Etablierte Medien, andererseits, können sehr viel erreichen, wenn sie sich Themen öffnen, die sie sonst verschweigen. Ein Beitrag der Zeit, in dem zwei Autorinnen unvoreingenommen die Frage stellten, ob es „Zeit für eine Männerbewegung“ sei, hatte ein enormes und ganz überwiegend positives Echo – und der Beitrag darüber bei man tau wurde in kurzer Zeit zu einem der hier am häufigsten gelesenen Texte überhaupt. 
 
Fleischhauer hat offenkundig unrecht – Skepsis gegenüber den Massenmedien speist sich nicht aus dem Neid auf die Etablierten, sondern aus der Enttäuschung darüber, dass diese ihre privilegierten Position so selten sinnvoll nutzen.
 
Umso seltsamer der Umgang der Zeit selbst mit ihrem Erfolgstext. Er war nur einen Tag lang auf der ersten Seite der Online-Ausgabe verlinkt, und obwohl er mit großem Abstand der meistkommentierte aktuelle Text des Magazins war, tauchte er in der entsprechenden Rubrik nicht auf. Offenbar hatte die Zeit Angst vor ihrer eigenen Courage – es scheint so, dass tatsächlich Mut erforderlich ist, um in etablierten Medien auch über Nachteile von Jungen und Männern zu berichten.

Zerstörte Chancen - Esther Vilar begegnet den Wundern im Alice-Land

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Nachdem nun das Ende der Dauerpräsenz Alice Schwarzers in den Medien bevorsteht, lohnt es sich, noch einmal einen Blick zurück zu werfen in die ferne Zeit, in der diese Präsenz begann.
 
1975 wurde der Vietnamkrieg beendet, starb der spanische Faschist Franco, wurden die Konditorei Coppenrath&Wiese und das Unternehmen Microsoft gegründet, David Beckham und Angelina Jolie geboren, Borussia Mönchengladbach wurde Deutscher Meister und gegen Twente Enschede UEFA-Pokalsieger, Spielbergs Der Weiße Hai wurde zum ersten Mal auf die Kinos losgelassen und Coppolas Der Pate II mit dem Oscar ausgezeichnet – und im deutschen Fernsehen lieferte sich Esther Vilar einen aufreibenden Schlagabtausch mit Alice Schwarzer. 
Alice Schwarzer bringt einige Notgroschen vor der politischen Verfolgung in Sicherheit.
Balthasar Esterbauer (1715): Schalldeckel der Kanzel in der Comburg - Die sieben Todsünden - Avaritia (Geiz, Habgier) (Quelle)
Beide waren vier Jahre zuvor schon allgemein bekannt geworden – Vilar mit dem provozierend-polemischen, aber seiner Zeit auch weit vorauseilenden Buch Der dressierte Mann, Schwarzer mit der Aktion Wir haben abgetrieben, bei der sich 374 Frauen in der Illustrierten Stern selbst der Abtreibung bezichtigten, um eine Reform des Paragraphen 218 zu erreichen. Dass die Selbstbezichtigung in vielen Fällen, auch in Schwarzers eigenem, unwahr war, spielte noch keine Rolle – wenn es einem guten Zweck dient, muss die Wahrheit sich eben ab und zu als flexibel erweisen.

Für diejenigen, die gern Körpersprache und soziale Manöver deuten, ist schon der Beginn der Sendung interessant – Schwarzer kommt zu spät, macht dafür seltsamerweise lauthals anderen Vorwürfe, wartet, bis Vilar sich einen Platz ausgesucht hat, verlangt dann diesen Platz für sich selbst und eröffnet schließlich unvermittelt das Gespräch mit einer gezielten Beleidigung:
„Das soll einige Leute geben, die glauben, dass das, was sie geschrieben haben, das sei also keine pure Dummheit oder so, das sei eine Satire.“ (1:09)
An dem, was dann geschieht, lässt sich wie an einem Kammerspiel zeigen, welche Entwicklung die deutschen Geschlechterdebatten in den Jahren darauf nahmen, welche Chancen sie ausgelassen haben – und welche Rolle Alice Schwarzer dabei spielte.



Alice Schwarzer kämpft, etwas verspätet, gegen den StürmerAuf den ersten Blick treten beide für dasselbe ein – dafür, dass Frauen selbstverantwortlich leben und eigenständig ihr Leben gestalten. Vilar bezeichnet sich in diesem Sinne selbst als „ganz offene Feministin“. (1:37) Beide unterscheiden sich dann aber grundsätzlich in der Einschätzung der Schwierigkeiten, die einer weiblichen Selbstständigkeit im Weg stehen.


Vilar beschreibt eine gegenseitige Abhängigkeit von Frauen und Männern, eine Angst vor der Freiheit bei beiden, in der die Frau „sich als Schutzobjekt gibt“. Sie versuche, „dass der Mann sie wie ein Kind behandelt“ (20:30), lasse ihn aber tatsächlich für sich arbeiten – was für sie erhebliche Vorteile habe, beispielsweise ein im Schnitt erheblich längeres Leben.
„Es gibt in der Bundesrepublik fast keine Frauen, die ein ganzes Leben lang ihre Familien selber ernähren, ihren Mann und ihre Kinder.“ (13:14)
Schwarzer hingegen sieht Frauen einer allgemeinen männlichen Unterdrückung und Ausbeutung ausgeliefert, räumt Nachteile von Männern bestenfalls in massiv abwertenden Formulierungen ein
„wie kaputt die sind, wie grotesk die manchmal sein können“ (22:39) –
und besteht auf einer klaren Opferhierarchie: Männer seien durchaus auch Opfer, profitierten aber eigentlich allesamt von der Männerherrschaft, und Frauen seien ganz gewiss die „Opfer der Opfer“ (36:46).

Vilar stellt diese Position gleich zu Beginn bloß:
„Dass die Welt von Männern beherrscht wird, ist genauso paradox wie zu sagen, dass die Seefahrt von Matrosen beherrscht wird.“ (2:13)
So provozierend diese Position für Schwarzer natürlich ist, so legt sie doch einen grundsätzlichen Widerspruch offen – einen Widerspruch, von dem sich ein Feminismus niemals befreit hat, der auf der Idee einer allgemeinen patriarchalen Unterdrückung der Frau basiert: Schwarzer fordert Selbstständigkeit für Frauen, beschreibt sie aber als fundamental unselbstständige Wesen, die hilflos einer umfassenden Männerherrschaft ausgeliefert seien.

Noch am Ende des Gesprächs kann sie beispielweise nicht akzeptieren, dass Frauen sich ihre Position als Hausfrau selbst wählen und nach Umfragen glücklich damit sind – während Vilar schlicht feststellt, dass sie doch nicht anderen Frauen vorschreiben könne, was sie unter Glück zu verstehen hätten. (42:34)
 
Dass Vilar ihre Bücher selbst geschrieben habe, zweifelt Schwarzer gleich zwei Mal an – sie könne sich zwar nicht vorstellen, dass eine Mann „eine solche Konfusität“ zu Papier bringen könne (9:07), möchte dann aber trotzdem wissen, wer eigentlich dahinter stünde (20:58): Dass eine Frau eigenständig auf Gedanken gekommen ist, die von ihren eigenen Gedanken abweichen, ist ein selbstverständlich inakzeptabler Gedanke.

Auffällig ist auch hier Schwarzers beliebiger Umgang mit der Wahrheit. Mal macht sie Vilar lächerlich und stellt sie als „Ruferin in der Wüste“ hin, die mit ihrer Meinung ganz allein dastehe (9:35), mal beklagt sie lauthals, wie massiv Vilar schon seit Jahren allüberall protegiert werde (19:25). Beliebig auch wirft sie Phantasiezahlen ins Spiel, dass etwa die Lebenserwartung von Frauen in der „Doppelbelastung“ geringer sein als die von Männern (sie wollten sich doch jetzt nicht gegenseitig langweilen, raunzt sie Vilar an, als diese Schwarzers Zahlen beharrlich korrigiert), oder dass Männer überhaupt nur ein Drittel der insgesamt anfallenden Arbeit verrichteten und deshalb völlig zurecht später in Rente gingen.

Dass Vilar am Ende gleichwohl immer stiller wird, liegt nicht nur daran, dass ihr Schwarzer beständig ins Wort fällt und sich selbst beständig in Rage redet – es liegt wohl auch an zwei Schlüsselsituationen des Gesprächs.


Verachtung von Frauen wirft Schwarzer Vilar vor und einen Verrat an ihrem Geschlecht – während diese betont, dass es ihr ganz im Gegenteil um eine „Ehrenrettung für mein Geschlecht“ (26:43) ginge. 
Schwarzer: Ich glaub, dass jemand, der so zynisch ist und so gemein wie Sie, der solche Dinge schreibt – ich wundere mich überhaupt, dass Frauen Sie noch nicht angegriffen haben. 
Vilar: Haben sie schon.
Schwarzer: Richtig. Richtig. (25:06-25:14)
Das konnte leicht als offener Aufruf zur Gewalt gegen Vilar verstanden werden und wurde so wohl auch verstanden. Viel später, im Jahr 2007, erzählt Vilar von ihren Gründen, Deutschland zu verlassen:
„Ja, auf der Toilette der Münchner Staatsbibliothek haben mich vier junge Frauen zusammengeschlagen. Das war nicht zum Lachen. Ich wurde bespuckt, ich bekam unentwegt Morddrohungen, mein Haus in München pinselte man mit Totenköpfen und Ähnlichem voll. Ich habe Deutschland von einem Tag auf den andern verlassen, ich hatte einen kleinen Sohn, ich konnte nicht mehr bleiben. Ich bin in die Schweiz.“ 
Noch irrwitziger, falls das möglich ist, wirkt aus heutiger Sicht eine andere Passage des Gesprächs. Vilars Bücher seien, so Schwarzer, so infam und unerhört, dass Frauen sich erkundigen sollten, ob juristische Schritte dagegen möglich seien.
„Wenn wir in ihren Büchern das Wort ‚Frau‘ ersetzen würden durch das Wort ‚Jude‘ oder ‚Neger‘, dann wären ihre Schriften reif für den ‚Stürmer‘! (…) Sie sind nicht nur Sexistin, sie sind auch Faschistin! Das ist eine sehr ernsthafte Anschuldigung und in Anbetracht ihrer persönlichen Situation, glaub ich, doppelt schwerwiegend.“ (31:19 – 31:40)
Die Vorwürfe begründet Schwarzer an keiner Stelle – der Gestus der aufrechten Empörung ersetzt bekanntlich jederzeit und umstandslos jedes Argument. Es ist auch nicht etwa Vilar selbst, die angesichts der Stürmer- und Faschismus-Vorwürfe die erzwungene Emigration ihrer jüdischen Familie in ihr Geburtsland Argentinien ins Gespräch bringt. Es ist Schwarzer, die implizit auf Vilars Judentum und das Schicksal ihrer Familie hinweist und diesen Hinweis dann sogleich gegen sie verwendet: Wenn sie, Schwarzer, nicht umhin komme, sogar die Jüdin Vilar als Faschistin zu bezeichnen, dann müsse diese Jüdin ja ganz gewiss etwas ganz ungeheuer Schreckliches getan haben.

Sollte es einmal einen Wettbewerb um die verlogenste Äußerung in der Geschichte des bundesdeutschen Fernsehens geben, dann müssten diese Sätze unbedingt zu den Top-Favoriten auf den Gesamtsieg zählen.
 

Gute Hetze, böse Unschuld und weitere Wunder im Alice-Land Vermutlich hatte es dreißig Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust für viele Deutsche eine erhebliche schuldentlastende Funktion, dass eine Jüdin im deutschen Fernsehen, zudem ohne nachvollziehbare Begründung und für die Angreiferin völlig folgenlos, als Faschistin und Stürmer-Agitatorin beschimpft werden konnte. Das legt die Frage nahe, ob sich nicht überhaupt der Erfolg Schwarzers ganz anderen Elementen ihrer öffentlichen Stellungnahmen verdankt als dem Klischee, sie habe für die Gleichberechtigung von Frau und Mann gekämpft.

Denn das hat sie ganz offensichtlich nicht, schon 1975 nicht. Der klassische Feminismus hatte sich weitgehend um gleiche Rechte, aber nicht um gleiche Pflichten bemüht – um das Frauenwahlrecht zum Beispiel, aber nicht um die Frauenwehrpflicht, oder um die Entscheidungsmacht des Familienoberhaupts, aber nicht um seine Versorgungspflichten. (Ausführlicher dazu ist z.B. das gerade erschienene und ohnehin sehr lesenswerte Plädoyer für einen liberalen Maskulismus).
 
Mit dieser Schieflage war ein stabiler, gleichberechtigter Geschlechtervertrag kaum zu etablieren, und es ist eines der wesentlichen Verdienste von Vilar, dass sie darauf reagiert. An keiner Stelle greift sie die Gleichberechtigung von Mann und Frau an, fordert aber, dass die gleichen Rechte mit gleichen Verantwortungen einhergehen müssten – und behauptet provokant, dass Frauen sich aus vielen Verantwortungen heraushielten.

Schwarzer hingegen konstruiert das Schreckensbild einer allgemeinen, erdrückenden und inhumanen Männerherrschaft, unter der Frauen nicht nur auf gleiche Rechte, sondern auf ganz besonderen Schutz Anspruch hätten. Anstatt damit aber angesichts der Widersprüche und der Unzeitgemäßheit einer klassischen bürgerlichen Geschlechterordnung nach Lösungen zu suchen, betoniert sie diese Ordnung, radikalisiert sie noch in der Phantasie der umfassend schutz- und hilflosen Frau – und behauptet zugleich schlankweg, sie würde damit zur Überwindung der Verhältnisse beitragen.

Eine tief reaktionäre Anlage von Schwarzers Denken war also eigentlich schon 1975 zu erkennen, wurde aber im Lauf der Jahrzehnte deutlicher. Wenn sie sich heute gegen einen „Rufmord“verwahrt, weil ihre Steuerhinterziehungen trotz Rückzahlung eines Teils des hinterzogenen Geldes öffentlich wurden, dann wirkt das komisch angesichts der Härte, mit der sie andere öffentlich attackiert. Antje Sirleschtov im Tagesspiegel:
„Die Frau, die Jörg Kachelmann öffentlich noch einen Vergewaltiger nannte, als das Gericht den Wettermann schon nicht mehr rechtlich belangte, die ihre Nachfolgerin an der Spitze der Zeitschrift 'Emma'öffentlich der Unfähigkeit bezichtigte und auch sonst das scharfe rhetorische Schwert gegen niemanden scheut, gibt sich zart besaitet, wenn es um ihr eigenes Leben geht und die Frage, was Geld und Moral miteinander zu tun haben.“
Eine wesentliche Wurzel für die Frauenbewegung der zweiten Jahrhunderthälfte war in Deutschland die „68er-Bewegung“. Es müsste für Alt-68er eigentlich seltsam sein zu sehen, wo ihre Bewegung mit Schwarzer angekommen ist – nämlich in der dauerhaften Ko-Operation mit Springers Bild-Zeitung zur systematischen öffentlichen Hetze gegen Einzelne.

Schwarzers Emma polemisierte derweil gegen die Unschuldsvermutung und schlug den Begriff, gemeinsam mit dem Begriff „einvernehmlicher Sex“, zum Unwort des Jahres vor.  Nun ist der Zweck der Unschuldsvermutung ja nicht, wie von Schwarzers Zeitschrift suggeriert, der Täterschutz, nicht einmal vorwiegend der Schutz Unschuldiger – sondern der Schutz einer liberalen Rechtsordnung vor dem Abgleiten in autoritäre Repression. Wenn der Staat Sanktionen gegen Einzelne verhängt, dann ist es auch die Verantwortung des Staats, nachzuweisen, dass diese Sanktionen legitim und notwendig sind – es ist nicht die Aufgabe der betroffenen Bürger, die Illegitimität der Sanktionen  nachzuweisen.
 
Wer die Unschuldsvermutung bekämpft, will den autoritären Staat. Das ist hier plausibel nur angesichts der Vorstellung, dass der Staat die Aufgabe habe, Frauen vor der allgegenwärtigen männlichen Bedrohung zu schützen.
 
Zugleich wirkt Gewalt gegen Männer damit legitim – legendär ist ja Schwarzers Kommentar zur Verstümmelung John Bobbitts durch seine Frau:
„Eine hat es getan. Jetzt könnte es jede tun. (…) Und da muß ja Frauenfreude aufkommen, wenn eine zurückschlägt. Endlich.“
Was wäre wohl umgekehrt geschehen? Wenn ein Mann seiner schlafenden Frau die Vagina mit einem Messer verstümmelt und ein berühmter deutscher Journalist dazu triumphierend kommentiert hätte, dass einer es nun getan habe („Nun kann es jeder tun.“) und dass nun ja „Männerfreude" aufkommen müsse – dann hätte dieser Journalist gewiss nicht das Bundesverdienstkreuz bekommen, sondern Job und Reputation verloren. Und zurecht. 
 

Wie man eine Persilschein-Maschine baut Ein autoritärer Staat, der nicht lange fackelt – starre und leicht erkennbare Freund-Feind-Muster – ein herrischer und beliebiger Umgang mit der Wahrheit – Gewaltnähe – Verweigerung von demokratischen Debatten – das Festhalten an Strukturen, die sich längt überlebt haben – ein starres Gefühl eigener moralischer Überlegenheit und die beständige Weigerung, sich und andere an denselben Maßstäben zu messen: Der Feminismus, für den Schwarzer steht, hat durchgängig alle Merkmale einer autoritären, reaktionären Politik.

Nun gibt es möglicherweise in vielen Ländern, auch in Deutschland, eine heimliche Sehnsucht nach einer solchen Politik, nur dass diese Sehnsucht eben gerade in Deutschland aus guten Gründen besonders verpönt ist. Die Ursache für den Erfolg von Schwarzers Feminismus ist also möglicherweise nicht, dass sie sich für Gleichberechtigung eingesetzt hat – denn das hat sie nicht.  
 
Die Ursache ist wohl, dass sie seit Jahrzehnten autoritäre und reaktionäre Sehnsüchte in einer schuldbefreiten Version bedient. Feminismus – als Behauptung, in einer „Männerherrschaft“ für den Schutz von Frauen tätig werden zu müssen – ist hier gleichsam eine Maschine, die beständig Persilscheine produziert.
„Der Feminismus in Deutschland bekäme die Chance, als so vielfältig wahrgenommen zu werden, wie er ist“,
wenn Schwarzers Dauerpräsenz ein Ende habe – so Stefan Kuzmany bei Spiegel-Online. Das ist wohl zu einfach. Ob Aufschrei,Mädchenmannschaft oder Femen in Deutschland – auch der Feminismus jüngerer Generationen arbeitet mit denselben betonierten Freund-Feind-Schemata, die schon Schwarzer seit jeher verwendet. Wäre beispielweise die liberale französische Feministin Elisabeth Badinter eine Deutsche, dann würde sie hier als Antifeministin gelten und auf entsprechenden Hater-Listen landen.
„Etwa gleich viel Männer und Frauen riefen spontan beim Sender an“,
schrieb 1975 Der Spiegel zur Reaktion auf das Gespräch von Schwarzer und Vilar. Indem Positionen wie die Vilars, im Wortsinne, aus dem Diskurs geprügelt wurden, hat sich eine Idee etabliert, die von jüngeren Feministinnen unbeirrt weitergetragen wird: die offen idiotische Idee nämlich, eine sinnvolle Geschlechterdebatte könne am besten unter Ausschluss der Männer geführt werden.


Pech nur, dass bei Schwarzers Steuerhinterziehungen die hausgemachten Persilscheine ihre Gültigkeit verlieren.
„Ja, ich habe einen Fehler gemacht, ich war nachlässig“,
gibt sie zu. Verstehe ich natürlich – das ist mir auch schon ein paar Mal passiert, dass ich aus lauter Nachlässigkeit plötzlich ein paar Schweizer Konten hatte.
„Ich habe in Deutschland versteuerte Einnahmen darauf eingezahlt in einer Zeit, in der die Hatz gegen mich solche Ausmaße annahm, dass ich ernsthaft dachte: Vielleicht muss ich ins Ausland gehen.“
Schon Arne Hoffmann hat darauf aufmerksam gemacht, wie deplatziert diese Begründung ist angesichts der Tatsache, dass Esther Vilar aufgrund der Gewalt gegen sie tatsächlich das Land verlassen musste – während Schwarzer sich immer weiter etablierte. Mehr noch: Schwarzer geht offenbar davon aus, dass bei einer erzwungenen Emigration auch ihr Vermögen beschlagnahmt worden wäre – als wäre die Bundesrepublik Deutschland ihr gegenüber womöglich so vorgegangen wie das nationalsozialistische Deutschland gegen Juden. Das ist allzu offensichtlich gaga.

Als„Hetze“ bezeichnet die Missy-Herausgeberin Stefanie Lohaus in der Zeit die scharfen öffentlichen Reaktionen auf Schwarzers Steuerhinterziehung, sie grenzt sich aber zugleich von Schwarzer und ihrer „Doppelmoral“ ab. Offensichtlich versucht sie, Schwarzer als Person zu kritisieren, aber den Feminismus in Deutschland vor dieser Kritik zu schützen.
 
Es gibt eine bessere Möglichkeit. 

Wenn Schwarzers auf Autopilot gestellte Dauerpräsenz in den Massenmedien tatsächlich zu Ende gehen sollte, ergibt sich daraus vielleicht die Gelegenheit, einmal in Ruhe die Frage zu stellen, welche Chancen in den vergangenen Jahrzehnten eigentlich verpasst, sogar zerstört wurden – durch eine reaktionäre, feministisch betonierte Geschlechterdebatte, die nicht auf rationalen Austausch, sondern moralisierend auf beständig verfügbare Gut-Böse-Holzschnitte setzte, nicht auf Kooperation, sondern auf Konfrontation, nicht auf den Austausch verschiedener Perspektiven, sondern auf den Ausschluss der einen Hälfte der Bevölkerung aus dem Gespräch.




Zu Esther Vilars „Der dressierte Mann“ gab es im vergangenen Jahr, off topic, eine interessante und längere Diskussion bei Alles Evolution, die mit diesem Kommentar begann.

Zu Alice Schwarzers „Der kleine Unterschied und seine großen Folgen“ habe ich dieseArtikel auf man tau veröffentlicht.

Ein weiteres, sehr interessantes Interview mit Alice Schwarzer findet sich hier (danke an Genderama für den Hinweis).


"Get away from me" - Gewalt gegen Männer (Gastbeitrag von Kai)

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"Starre und leicht erkennbare Freund-Feind-Muster" und "Gewaltnähe"– das waren einige der Aspekte von Alice Schwarzers Politik, die in diesem Text beschreiben wurden. Das ist nicht nur ein theoretisches Problem. Wenn eine solche Politik erfolgreich ist und wirksam, dann kann sie natürlich für das Leben vieler Einzelner dramatische Folgen haben. Das lässt sich besonders bedrückend an Themen beschreiben, die in der Praxis oft miteinander verbunden sind: an der Ausgrenzung von Vätern und den doppelten Standards bei häuslicher Gewalt.
 
Natürlich ist diese Politik nicht Schwarzer allein zu verdanken, sie ist allerdings ihre erfolgreichste Repräsentantin in Deutschland. "Gewalt ist nie zu rechtfertigen - egal, von wem sie ausgeübt wird"so zitiert der nachfolgende Text die Leiterin des "Bundesverbands Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (bff)", Katja Grieger. Das wäre absolut richtig, wenn Grieger hier nicht – aber das fällt ihr offensichtlich gar nicht auf – ausschließlich die Gewalt von Männern meinen würde. Häusliche Gewalt von Männern zu verurteilen ist natürlich richtig – aber es ist falsch, häusliche Gewalt von Frauen zu ignorieren und herunterzuspielen.
 
Wie selbstverständlich auch in den USA beliebige Menschen Gewalt zwischen den Geschlechtern radikal unterschiedlich danach bewerten, ob ein Mann gegen eine Frau oder eine Frau gegen einen Mann gewalttätig ist, zeigt diese berühmte Sendung der amerikanischen abc-News.
 
 
Kai hat mir angeboten, einen Text zur Gewalt gegen Männer und ihrer Verbindung mit dem Vaterentzug zu veröffentlichen – vielen Dank dafür! Kai ist seit vielen Jahren in der Elternarbeit tätig und hat sich insbesondere mit der Situation ausgegrenzter Väter intensiv beschäftigt. In seinem Text fließen Erfahrungen aus dieser Arbeit und aus öffentlich zugängliche Quellen zusammen – so werden auch hier die persönlichen Konsequenzen einer auf Freund-Feind-Mustern aufbauenden Politik deutlich.
 
Vieles von dem, was Kai beschreibt, kenne ich übrigens auch persönlich. "Im Hintergrund hört man die Kinder schreien und weinen, was die Frau nicht im Geringsten dazu veranlasst, inne zu halten."Oder: "Es geht sogar so weit, dass man sie nicht mal an den Armen festhalten darf, um nicht geschlagen zu werden." Das habe ich so auch erlebt.
 
Als die Mutter unseres gemeinsamen Kindes mich im Beisein unseres noch ganz jungen Sohnes und ohne für mich nachvollziehbaren Anlass getreten und auf die Brust geschlagen hat, wusste ich zugleich, tatsächlich regelrecht instinktiv, dass ich sie auf gar keinen Fall auch nur zur Verhinderung weiterer Schläge an den Armen festhalten darf, weil mir das danach hätte zur Last gelegt werden können.
 
Gleichwohl ist niemals irgend jemand der später Beteiligten, mit Ausnahme von mir, auf die Idee gekommen, auch nur die Frage zu stellen, ob nicht unser Sohn möglicherweise bei mir besser aufgehoben wäre als bei ihr. Hätte ich mich aber damals gewehrt, dann hätte ich womöglich auf längere Sicht die Chance verloren, unseren Sohn zumindest wiederzusehen.
 
Ich kann also Kais Text nur nachdrücklich empfehlen! Lucas Schoppe

 
 
Kai V: "Get away from me" - Gewalt gegen Männer
 
"Video löst Debatte aus: Darf ein Mann jemals eine Frau schlagen?"  So titelte Genderama im Dezember 2013. Ein guter Grund, um einmal über häuslicher Gewalt nachzudenken.

Auf der amerikanischen Ursprungsseite zum obigen Genderama-Beitrag sind Standbilder aus einem Video zu sehen. Dieses Video zeigt zwei Frauen, eine davon ist aufbrausend, beleidigend, sie schreit zu Anfang in die Kamera. Die andere ist beherrschter und spielt die Zeugin, die selbst mit ihrem Handy die Szenen filmt. Eine dritte Person filmt die beiden Akteurinnen, wie sie einen Mann, zufällig auch noch schwarz, angehen. Die Aufnahmen dieser Person sind auf dem Video zu sehen.

Man kennt die Vorgeschichte nicht, aber aus den Szenen, die man sieht, wird deutlich, die beiden Frauen sind auf Krawall gebürstet. Der Mann ist in diesem Konflikt meist passiv. Von ihm ist immer nur ein Satz zu hören:"Get away from me!" - "Geh weg von mir", "Halt Abstand" oder "Lass mich in Ruhe", während die beiden Frauen ihn immer wieder angehen.

Die Hauptagressorin beschimpft ihn, lehnt sich mit ihrem ganzen Körper an ihn, er reagiert mit "Geh weg von mir", sie schimpft weiter. Erst als die Frau ihn auch körperlich angreift schubst er sie weg und schlägt im weiteren Verlauf auch zurück. Die Frau nimmt mit erhobenen Fäusten die Körperhaltung eines Boxers ein und geht auf ihn los. Seine Reaktion: "Get away from me". Die andere Frau geht mir ihrer Handy-Cam dabei immer sehr nah mit ran, was für den Mann die ganze Situation noch bedrohlicher machen muss. Nur die zweite Person, die filmt, bleibt auf Abstand, sie filmt aus der Sicht einer unbeteiligten Person, die ihren Standort nicht ändert.

Wäre dort nicht eine Kamera, die diese Situation filmen würde, so würde der Mann wegen Körperverletzung belangt werden. Er, der nur deeskaliert, der sagt "Lass mich in Ruhe", dessen Wunsch aber nicht erfüllt wird. Männer haben Gewalt, Beleidigungen und Erniedrigungen von Frauen mit stoischer heldenhafter Ruhe zu ertragen, sonst werden sie verurteilt.


Parallelen zu häuslicher Gewalt Bei uns gibt es einen Vater, der mit seinem Handy filmt, wie die Frau ihn attackiert, sogar mit einer Schere in der Hand. Er sagt immer nur, „Ich filme Dich gerade“, sie attackiert weiter und fügt ihm auch Kratzer an den Armen zu, wohlwissend, dass ihr nichts passieren wird. Im Hintergrund hört man die Kinder schreien und weinen, was die Frau nicht im Geringsten dazu veranlasst, inne zu halten.

Als der Mann die Polizei ruft, schließt sich die Frau mit den Kindern in ein Zimmer ein. Die Polizei sagte, sie könne nichts machen. Was sollen sie auch tun, die armen Polizisten? Die Aggressorin aus dem Zimmer holen und von den Kindern trennen? Nein, sie bieten dem Vater an, solange zu bleiben, bis er seine Sachen gepackt hat, um ihn auf die Straße zu begleiten, so schilderte er uns den weiteren Verlauf. Als Begründung für ihr Desinteresse sagen sie, der Mann würde doch auf dem Video nicht den Eindruck machen, als ob er vor den Attacken der Frau wirklich Angst habe. Häusliche Gewalt gegen Männer auf französisch, deutsch, englisch oder amerikanisch...

Viele andere Fälle deuten in die gleiche Richtung. So sieht z. B. Gabriele Wolff im Fall Mollath die Sachlage folgendermaßen: 
Aus dem Gerichtsprotokoll die Aussage von Mollath: "Sie hätten sich heftig gestritten, sie hätte nicht aufhören wollen. Wie schon mal passiert, sei sie auf ihn los gegangen. Tritte und Schläge. Leider hätte er sich gewehrt."
Dazu dann Gabriele Wolff:
"...geht er [der Gutachter] in der Folge als Tatsachengrundlage seines Gutachtens allein von den belastenden Bekundungen der Ehefrau aus. Da weiß er sich einig mit den befaßten Richtern Huber, Eberl und Brixner: Frauen attackieren Männer nicht, und wenn sie es tun, darf sich der Mann nicht wehren – letzteres eine typisch männliche Einstellung, die auch Gustl Mollath teilt: schließlich tut es ihm leid, sich aktiv zur Wehr gesetzt zu haben. Ein Mann schlägt keine Frau, sondern nimmt deren physische Attacken widerstandslos hin."
Etwas, das auch wir immer wieder erleben. Männer, die zurück geschlagen haben, in einem Streit, der eskalierte. Viele sehen sich selbst danach als gewalttätig und empfinden Schuld. Eine Frau schlägt Mann eben nicht, niemals, auch wenn sie zuerst attackiert. Es geht sogar so weit, dass man sie nicht mal an den Armen festhalten darf, um nicht geschlagen zu werden. Blaue Flecken, die hierdurch entstehen, werden gegen den Mann verwendet.

So schreibt die Oberstaatsanwältin A.D. Gabriele Wolff in einem anderen Beitrag zum Fall Mollath:
"Tatsächlich bestätigt das Attest die Tatschilderung gerade nicht. Zwanzig Faustschläge auf den Körper verursachen mehr als das eine Hämatom an der Stirn und das andere am Beckenkamm. Die beiden handbreiten Hämatome an den Oberarmen bestätigen vielmehr die Darstellung des Angeklagten, daß er sich gegen einen Angriff gewehrt habe: jeder Rechtsmediziner würde sie als typische Festhaltegriffe werten. ..."

Frauenhäuser und Frauenberatungsstellen Auch die Leiterin des "Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (bff)" Katja Grieger zeigte in der "Brigitte"eine ähnliche Sichtweise von Frauenhäusern und -beratungsstellen. So antwortet sie der Brigitte-Journalistin, die sie zu den Aussagen von Prof. Amendt befragte, der Frauenhäuser gerne durch Gewaltschutzhäuser für Familien ersetzen möchte:
"Am meisten hat mich der Satz erschüttert: 'Frauen kränken und reizen Männer mitunter bis aufs Blut.' So rechtfertigt Amendt Gewalt. Und gleichzeitig stellt er damit die grundlegende Basis für Arbeit gegen Gewalt in Frage, nämlich: Jeder Mensch trägt zu 100 Prozent die Verantwortung für sein Handeln. Gewalt ist nie zu rechtfertigen - egal, von wem sie ausgeübt wird."
Gewalt ist immer ein bewusstes Überschreiten von Grenzen eines anderen Menschen. Leider teilt Frau Grieger uns nicht mit, wie eine Frau es schaffen kann, die Grenzen eines Mannes so massiv zu überschreiten, um ihn bis aufs Blut zu reizen und kränken, ohne ihrerseits Gewalt auszuüben. Es sind natürlich Väter/Männer, die die (Haupt-) Schuld tragen, Frauen können nur Opfer sein.

So ist es auch nicht verwunderlich dass Frauenhäuser auf ihren Seiten mit einer parteiischen Beratung werben, natürlich für die Frau. Man findet z. B. von Sabine Fischediek, Leiterin des Frauenhauses Rheine folgenden Ausspruch:
„Wir sind parteiisch. Die Sichtweise der Männer interessiert uns nicht.“
Die Sichtweise der Männer, wie die Leiterin des Frauenhauses Rheine mitteilte, interessiert nicht! Wie professionell eine solche einseitige Sichtweise ist, lässt sich an Paul Watzlawick drittem Axiom zur "Interpunktion" ablesen. Hierzu folgendes Beispiel:

Befragt man den Mann zu den Spannungen in der Ehe, so antwortet er, er sei selten zu Hause, da seine Frau immer meckern würde. Befragt man die Frau, so erhält man die Antwort, sie würde immer meckern, weil ihr Mann nie zu Hause ist. Die Frage ist, wann nahm die Geschichte ihren Anfang und wie kann dieser Teufelskreis durchbrochen werden?

Nun mag man einwerfen, Gewalt ist keine Kommunikation. Doch, Gewalt ist immer die Fortführung einer Kommunikation mit anderen Mitteln, was schon Militärstrategen wussten. Einseitige parteiische Beratung, die sich voll auf die Seite der Frau stellt, hilft hier genau so viel wie Kühlschränke in der Arktis. Nein, sie ist sogar kontraproduktiv!

Die fehlende Professionalität der Frauenhäuser und -beratungsstellen, die absolut einseitige Fixierung auf die Gewalt durch den Mann, mit fehlender systemischer bzw. ganzheitlichen Betrachtung und Beratung, führt mit hoher Wahrscheinlichkeit auch dazu, dass Frauen, die aus Gewaltbeziehungen in Frauenhäuser flüchten, wieder und wieder in einer (oftmals der alten) Gewaltbeziehung landen. Der so genannte Drehtüreffekt, der 60% der Frauen wieder, und oftmals als "neuen" Fall, in Frauenhäuser treibt.

Gewalt erzeugt nun einmal Gegengewalt und die Gewaltspirale schraubt sich erbarmungslos in die Höhe. Wenn diese Gewaltspirale nur einseitig, auf ein Geschlecht, bzw. einen Partner bezogen thematisiert und therapiert wird, dann kommt es zu solchen "Phänomenen".

Somit ist es, wie auch in obigem Video ersichtlich, für Frauen ein Leichtes, den Mann zu provozieren und zu attackieren, bis dieser eine Reaktion der Abwehr zeigt. Im Sprachgebrauch nennt sich das Notwehr, er hat das Recht, durch Maßnahmen Schaden von sich abzuwenden. Er muss nicht weichen, zumindest rein rechtlich. Die Praxis sieht leider anders aus, denn hier sind selbst ernannte Expertinnen, wie sie in Frauenberatungsstellen arbeiten, erschüttert, wenn Männer angegriffen werden, sich bis aufs Blut reizen lassen und dann zurück schlagen. Frauen haben dann hieran keinen Anteil!

Ich bin sogar fest davon überzeugt, dass Anwältinnen dieses Spiel mitspielen und ihre Mandantinnen auffordern zu provozieren. Wir haben Väter, die brauchen nur den Namen der Anwältin der Frau zu nennen und wir wissen bereits, es wird auch um häusliche Gewalt gehen. Dass Anwälte ihren Klienten zu einer Straftat oder einer Falschanzeige raten, ist für mich keine Frage von vielleicht, ich bin fest davon überzeugt. Auch hier, immer wieder das gleiche Vorgehen. Sie provoziert und attackiert, er wehrt die Gewalt ab, sie hat blaue Flecke, er Kratzwunden. Er muss gehen, sie bleibt in der Wohnung.

Aber auch viele andere Anzeigen, die wir bei uns sehen, sind nichts weiter als der Versuch, den Mann aus dem Haus zu kriegen. Hier kommt dann bei psychologischer Gewalt die Beleidigung als "blöde Kuh" genauso ins Spiel wie nicht existente blaue Flecke, oder welche, die bereits am Abklingen sind, obwohl die Tat nur zwei Stunden vorher passiert sein soll. Alles ist Recht, um den Vater aus dem Haus zu bekommen.
 
Ob sich diese Anschuldigungen beim Familiengericht verfangen oder nicht, das spielt keine Rolle. Der Mann ist durch die Polizei der Wohnung verwiesen worden, das Kind hat sich an die Situation gewöhnt, das Kind bleibt, wo es ist. Zusätzlich erhält die Frau als Kriegsbeute noch sämtliche Unterlagen zur Vermögenslage des Mannes, bzw. der Eheleute. Ob der Vater später noch weiter ausgegrenzt wird, spielt hierbei eine untergeordnete Rolle.
 
Hierzu bemerkte die SPD Abgeordnete Frau von Renesse:
"Wo das endet, machte die SPD-Familienexpertin von Renesse bei einer Anhörung im Bundestag deutlich: Ein Vater, der sich an den gemeinsamen Tisch setze, ohne dass die Mutter dieses wünsche, müsse der Wohnung verwiesen werden können, basta!"
Adel verpflichtet, bis heute, zumindest wenn man dem Novo Magazin Glauben schenken möchte.
 
Dass bundesweit heute bereits bei einem Viertel aller Gewalttaten im Bereich häuslicher Gewalt die Frau als Täterin identifiziert wird, zeigt diese Sendung auf 3Sat, die auf Youtube verfügbar ist. Der Öffentlichkeit wird hingegen weiter das Märchen vom Mann als Täter vorgespielt, damit Frauen weiter ungestört prügeln können.

Diese Broschüre des BIG (der "Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen") zeigt, wie Polizisten sich in einem Konfliktfall verhalten sollen. In der Broschüre wird immer wieder darauf hingewiesen, dass 84% der Taten von Männern ausgehen, komischerweise entgegen dem Bundestrend, der in Berlin in den letzten Jahren, unter einer Rot/Roten Regierung, immer wieder bestätigt wurde. Die erste Fassung der Broschüre hatte sogar noch im Vorwort des Polizeipräsidenten die Zahl von 98% männlicher Täter ausgewiesen. Seit die Zahlen sinken, wird dieses "Infoblatt" immer wieder überarbeitet, die Zahlen von um die 25% weiblicher Täter, die es in Berlin auch mal einige Jahre gab, tauchten natürlich nie auf.

Das Infoblatt zeigt aber auch, dass der Mann ruhig auf dem Hausflur, vor allen Nachbarn in einer Art Showprozess verhört werden soll, wo er sich mit Sicherheit anders verhält als in einer für ihn moderaten Situation, z. B. auf dem Polizeirevier.

So bekommt dann die Aussage der kanadischen Professorin Elizabeth Sheehy, ebenfalls auf Genderama verlinkt, einen ganz anderen Sinn. Diese Frau fordert, dass Frauen bei häuslicher Gewalt doch bitte ihre Ehemänner töten dürfen. Die finale Rache, attackiere den Mann, warte eine Reaktion ab, dann schlage ihn tot. So kann man dann gleich noch Haus und Hof erben.

Bereits heute gilt in Tötungsdelikten häuslicher Gewalt besonders die Todesdrohung durch den Mann als Hauptgrund für Strafminderung bzw. das Aussetzen zur Bewährung.




Kais eigenes Blog: Der Frontberichterstatter. Neues von der Geschlechterfront
 

Wie man böse Kerle zu netten Jungs umbaut - Progressive Mädchenpädagogik und die "Nice Guys Engine"

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Der folgende Text ist ein Beitrag zur Blogparade des Monats Februar, die Geschlechterrollen zum Thema hat. Alle Ähnlichkeiten zu einer Satire sind unbeabsichtigt und ungewollt, aber unglücklicherweise unvermeidbar.
 
Ein Partnertest. Nicht etwa in der Bravo oder auf einer wenig vertrauenswürdigen Internet-Seite, sondern in einem wissenschaftlichen Angebot für Schulen, erstellt in Zusammenarbeit mit der Fachhochschule Erfurt, Abteilung Sozialwesen, und weithin empfohlen für den Unterricht. Eine Vierzehnjährige überprüft damit gewissenhaft am Computer, ob eigentlich ihr Freund für sie geeignet ist.
 
„Du benimmst dich, wie du wirklich bist, wenn ihr zusammen seid“ klickt sie an, außerdem „Er akzeptiert deine Art zu leben, deine Kultur“ und„Er hört dir zu, wenn du was erzählst“. Was sie allerdings stört, ist, dass er manchmal Bier trinkt („Es sind Alkohol oder Drogen im Spiel“). Sie klickt auf die „Fertig, zum Ergebnis“-Schaltfläche, ein neues Fenster öffnet sich, und sie erfährt:
„Bei diesem Typ…bekommst du bald Schläge.“
Dieser Partnertest gehört zur „Nice Guys Engine“, der Nette-Jungs-Maschine, die seit 2006 als Internetangebot für Schulen verfügbar ist. „Spass oder Gewalt?“ ist die Internet-Plattform überschrieben, und das ist natürlich keine echte Frage – Kinder und Jugendliche sollen damit lernen, dass das, was Jungen als Spaß empfinden, tatsächlich oft Gewalt ist.
 
Papa macht's doch auch Ein Bild auf der Website Cristina Perinciolis, der Produzentin der Nice Guys Engine. Es entstammt Anita Heiligers Münchner Kampagne gegen Männergewalt und schlägt gleich drei Fliegen mit einer Klappe: Es zeigt, dass Jungen gewalttätig sind, es zeigt, dass Männer gewalttätig sind, und es zeigt, dass Väter für Jungen nicht gut sind. Dass es bei Jungen noch immer, wie seit eh und je, verpönt ist, Mädchen zu schlagen, konnte angesichts dieser wichtigen Vorteile leider nicht berücksichtigt werden.
 
Wer könnte etwas gegen ein Programm haben, das  Gewalt, und insbesondere sexueller Gewalt gegen Mädchen vorbeugt? Entsprechend wurde diese aufwendig gestaltete Plattform auch großzügig aus öffentlichen Geldern gefördert, von der „Stiftung Deutsche Jugendmarke e.V.“, die über Vorstand und Geschäftsführung an das Bundesfamilienministerium angebunden ist, und durch erhebliche Investitionen der Fachhochschule Erfurt, deren Professorin Cäcilia Rentmeister das Projekt geleitet und über viele Semester hinweg insgesamt über einhundert Studierende des Fachbereichs Sozialwesen am „Praxistransfer“ beschäftigt hat.
 
Natürlich wurde dieses Projekt auch mit einem Preis ausgestattet, schon 2007 mit dem Thüringer Frauenmedienpreis des Landesfrauenrats Thüringen e.V. und der Thüringer Landesmedienanstalt.

Für Jungen hält die Plattform übrigens keinen Partnertest bereit, dafür können sie sich damit beschäftigen, wann ihr Verhalten gegenüber Mädchen als Vergewaltigung zu werten ist. Das aber ist nur einer der vielen kleinen Unterschiede dieses Projekts.


Eine Maschine, die aus bösen Kerlen nette Jungs macht Für Inhalt und Produktion der Nette-Jungs-Maschine ist mit ihrem eingetragenen Verein „Cream e.V.“, dem es um die „Chancengleichheit von Mädchen und Frauen auf dem Gebiet der neuen Technologien“ geht, die Regisseurin und Produzentin Christina Perincioli  zuständig, die zufällig zugleich die Lebensgefährtin der Professorin Rentmeister ist. Beraten wurde das Projekt von Dr. Anita Heiliger vom Deutschen Jugendinstitut in München.

Angekündigt hat Heiliger die Plattform schon 2005, als
„Website für Jungen, die ab Mitte 2006 die Möglichkeit bieten wird, patriarchale Männlichkeit zu hinterfragen und eine gewaltfreie und frauenrespektierende Männlichkeit zu fördern“ (Heiliger: Mädchen stärken in Eigensinn und Widerstand, S. 6).
Die Geschlechterrollen der Mädchen nämlich hätten sich geändert, die der Jungen aber seien starr geblieben.
„Die zur emanzipativen Weiblichkeit (passende) männliche Identität hinsichtlich Respekt vor Frauen, vor Mensch und Natur überhaupt, Distanz zu Gewalt, Aggression und Dominanz, Fürsorglichkeit im Umgang mit seiner Umwelt wie mit sich selbst, steht nach wie vor aus. (…) Ihnen Grenzen zu setzen bei Abwertung von Mädchen und Übergriffen, sie zu unterstützen bei Achtsamkeit. Täterprävention ist daher mein derzeitiger Schwerpunkt in der Konsequenz aus den Erfahrungen von Mädchen- und Frauenarbeit.“ (S. 5-6).
Jungen in ihrer Männlichkeit sind also weiterhin respektlos, gewalttätig, aggressiv, dominant, war ja schon immer so. Das notwendige Gegenstück zur fördernden Mädchenarbeit ist daher bei ihnen die Täterprävention.

Wenn sich nun engagierte Lehrkräfte daran machen, progressive Mädchenarbeit und vorausschauende Täterprävention in der Schule mittels moderner Technologien trefflich zu verbinden, dann sollen sie laut Projektplanung ihrer Klasse („Mädchen und Jungen ab 12, auch mit Migrationshintergrund") erst einmal einen kurzen Film zeigen. Die Handlung ist direkt aus dem Leben gegriffen und schnell skizziert – noch bevor der Film beginnt, wird der Klasse allerdings mitgeteilt, dass es dabei um die „Vergewaltigung einer 14jährigen Schülerin durch gleichaltrige Mitschüler an der Berliner Weißensee-Gesamtschule“ geht.
Zwei Jungen und ein Mädchen stehen in einer abgelegenen Ecke eines Schulhofs, ein Mädchen kommt, um sein Fahrrad aufzuschließen. Olli, ganz typischer Junge, kommentiert: „Ey, schau mal. Da kommt Evi, das Tittenmonster. Hüpf…hüpf…hüpf… Sag mal, haste überhaupt keine Angst, mit diesen beiden Dingern irgendwo mal hängenzubleiben?“ Auch Marion macht mit: „Vorsicht, schwingt aus.“ Olli: „Ja, echt ey. Ich wüsste zu gern, ob die echt sind. Ey Micha, überprüf das mal. (der angesprochene Micha zögert) Was‘n los, ich dachte, du bist hier der Frauenversteher. Traust dich nicht, du Weichei? Ja, Mann, jetzt an die Titten, Mann, los.“  
Schließlich greift Micha Evi wie von Olli gewünscht an die Brüste, Evi wehrt sich, Olli wird wütend und gibt Micha die Order, zu überprüfen, ob sie einen Schlüpfer anhabe. Evi fleht vergeblich um Marions Hilfe. Ein Lehrer kommt vorbei, versteht die Situation nicht und macht lediglich kurz darauf aufmerksam, dass hier Rauchverbot herrsche.
Nach einer Diskussion in der Klasse geht es dann in geschlechtergetrennten Gruppenarbeiten weiter. Die Mädchen überlegen, wo Marion die Gewalt hätte stoppen können, die Jungen erfahren:
„Wenn heute ein Junge als Belästiger auffällt, wird er zu 60% als 24jähriger vorbestraft sein.“  
Mädchen „befragen Mädchen zu erfahrener Belästigung“, und „Jungen finden heraus, was nette Jungen fies werden lässt“. Dazu kreuzen beide identische Listen an, jeweils unter der Überschrift „Gewalterfahrung von Mädchen“ bzw.„Werden bei uns Mädchen belästigt?“ (Jungen) – „anstarren“, „mit Worten beleidigen“, „hinterherpfeifen und johlen“, „zwischen die Beine fassen“, etc..
 
Sollten Mädchen oder Jungen auf die Idee kommen, sich über die „Böse Jungen – nette Mädchen“-Klischees zu ärgern, ist vorgesorgt: Sie klicken dann ein entsprechendes Feld an und erfahren:
„Wenn ihr euch über diese Fragen aufregt, wenn ihr es ungerecht findet, dass hier die bösen Mädchen kein Thema sind: Dann überlegt bei jeder hier aufgezählten Handlung – wäre sie umgekehrt von einem Mädchen an einem Jungen denkbar?“
Die Frage wird nirgends beantwortet, als ob sich allein durch ihre Formulierung die Bedenken schon erledigt haben müssten. Dabei sind die meisten Handlungen umgekehrt sehr wohl denkbar, sind zum Teil auch üblich – allein „Rock hochheben“ und „an Brust fassen“ lassen sich schwer übertragen.


Schocktechnik, in die Eier! - Wir tummeln uns selbstständig auf der Spielwiese Noch schlimmer wird das Ungleichgewicht dann auf der „Spielwiese“, die mit einem Spiel tatsächlich – von ganzen kurzen Intermezzi abgesehen – nichts zu tun hat. Hier sollen sich Schüler und Schülerinnen, säuberlich nach geschlechtergetrennten Rubriken aufgeteilt, selbst an den Computern beschäftigen, wenn sie mit den Arbeitsblättern zur „Gruppenarbeit“ fertig sind.

Mädchen erfahren hier:
„Jedes vierte Mädchen wird von ihrem Freund körperlich, sexuell, emotional oder verbal misshandelt. Andere Studien zeigen, dass es sogar jede zweite erlebt.“
Was genau darunter zu verstehen ist, erfahren Mädchen allerdings nicht – was zum Beispiel eigentlich eine „emotionale Misshandlung“ ist, bleibt offen und der Fantasie überlassen – und sie lesen schon gar nicht, dass ein Gewaltbegriff untragbar ist, der keinen Unterschied macht zwischen schweren körperlichen Misshandlungen und verbalen Beleidigungen, die im Unterschied zu Misshandlungen übrigens bei Jungen UND Mädchen an der Tagesordnung sind. Wichtig ist die Botschaft, dass der Junge, den sie für ihren Freund halten, tatsächlich eine Bedrohung ist.

Sie können, dergestalt wohlinformiert, dann mit dem Partnertest beginnen und überprüfen, ob der eigene Freund zu den gewalttätigen Jungen gehört. Es gibt, je nach geklicktem Feld zu seinen Eigenschaften, Plus- und Minuspunkte.
 
„Bei diesem Typ“ - „erwartet dich ein Alptraum“ (-15 - -60) oder „lebst du wie im Gefängnis“ (-5 - -10) oder „bekommst du bald Schläge“ (0-5) oder (schon deutlich im Plusbereich, bei 10-15 Punkten) „musst du dich oft wehren“. Bei 20 bis 25 Punkten erscheint die Aufforderung, den Test noch einmal zu machen – sicher ist sicher, und erst bei hohen Pluszahlen, die angesichts des Testdesigns unwahrscheinlich sind, „lohnt sich ein Versuch“. 
 
„Bei diesem Typ findest du das Glück“ ist nur bei völlig unrealistischen Konstellationen möglich, wenn ein Junge sämtliche positive Eigenschaften, aber keinerlei problematische hat. Die Mädchen lernen hier also zwanglos eine wichtige Lektion: Wenn Du glauben willst, das Du glücklich wirst, musst Du Dir was vormachen.

Die Schülerinnen erfahren zudem, selbstständig und mit Einsatz neuer Medien und dergestalt ganz entsprechend der Grundsätze eines modernen Schulunterrichts: Es ist dringend nötig, dass sie die Selbstverteidigung beherrschen. Die wird ihnen dann auf ein paar Videos beigebracht, die eine Judolehrerin mit einer Mädchengruppe zeigen.
 
Die Lehrerin führt ihre Übungen –  es ist schließlich wichtig, realistisch zu bleiben – vorwiegend mit einer der Schülerinnen vor, die eine androgyne Erscheinung hat und für einen Jungen gehalten werden könnte. Schon beim ersten Film, der die Reaktion auf das „Würgen von vorne“ zeigt, ist es für die Mädchen an ihren Computern gewiss putzig und lustig anzusehen, wie die erwachsene Lehrerin wieder und wieder und mit viel Freude Schläge und Tritte gegen die Schülerin simuliert, die das Unglück hat, wie ein Junge auszusehen. „Schocktechnik, in die Eier!"
 
Die Jungen hingegen lernen natürlich keine Selbstverteidigung, die prügeln bekanntlich eh schon viel zu viel und sind ohnehin die Angreifer. Sie sollen stattdessen einen Fragebogen zu ihrem Pornokonsum ausfüllen, und sie erfahren, wann Selbstbefriedigung schlecht ist – „wenn sie auf Machtfantasien basiert“, „gegen Einsamkeit“ oder „wenn man Angst hat vor ‚schlechtem Gewissen‘“.
 
Ein Junge, der ein schlechtes Gewissen ob seiner Sexualität hat, gerät also auf die schiefe Bahn – diese Information ist natürlich besonders achtsam und mitfühlend angesichts der Tatsache, dass Jungen zu diesem Zeitpunkt schon etwa zwei Schulstunden lang ein schlechtes Gewissen ob ihrer Sexualität gemacht worden ist.


Neben Horrorgeschichten über Männer, die durch ihren „Selbstbefriedigungszwang“ ins soziale Abseits gerieten und nimmer wieder eine Chance auf eine reale Freundin haben werden, erfahren Jungen immerhin auch, wann Selbstbefriedigung gut ist: wenn sie damit „aufmerksamere – und damit bessere – Liebhaber werden“. Warum die preisgekrönte Plattform nicht auch zwölfjährigen Mädchen mitteilt, dass ihre Masturbation dann gerechtfertigt ist, wenn sie daraufhin Jungen und Männer besser befriedigen können – das hat sich mir trotz umfangreicher pädagogischer Vorbildung noch nicht vollständig erschlossen.


In einem einzigen Teil des Programms können auch Jungen mit Empathie rechnen: bei der Frage „Können Jungen vergewaltigt werden?“ nämlich. Natürlich beeilen sich die Macherinnen, den Jungen mitzuteilen, dass sie vorwiegend von Männern vergewaltigt würden – ansonsten stehen Jungen hier ein einziges Mal nicht als Täter da, sondern haben, auch sie, Anspruch auf „Rat und Hilfe“.


Hier, zum Beispiel, wird deutlich, wie nützlich es gewiss gewesen wäre, wenn angesichts aller anerkennenswerten Professionalität bei der Eintreibung von Mitteln und bei der Werbung für eigene Projekte auch irgendjemand beteiligt gewesen wäre, der zumindest ein rudimentäres Verständnis pädagogischer Zusammenhänge hat. Kinder und Jugendliche können sich nämlich zwar sehr wohl mit Opfern identifizieren – es ist aber problematisch, ihnen eine Identifikation abzuverlangen, allein weil jemand ein Opfer ist. Die Identifikation hat für sie schließlich immer auch den Sinn, Modelle für ein gelingendes Leben auszuprobieren und zu überprüfen – und dieses Modell bietet jemand ja gerade nicht an, der durch nichts anderes hervorsticht als dadurch, Opfer anderer zu sein.


Eine solche unüberlegte und erwachsenenzentrierte Opfer-Pädagogik produziert notorisch unsinnige Resultate – eine oberflächliche, nämlich von den Lehrern explizit gewünschte Solidarisierung und eine vitale, aber stillschweigende Distanzierung. Die Solidarisierung mit männlichen Gewaltopfern wäre hier also durchaus gut und richtig, wenn nur Jungen nicht in allen anderen Teilen dieser Plattform abgewertet und als dumme, geile, gewalttätige und sozial inkompetente Figuren präsentiert würden.


Und einmal ganz unverbindlich nebenbei gefragt: Wie sehr verachten eigentlich die erwachsenen Frauen, die diese Plattform erstellt haben, Jungen, wenn das Junge-Sein an sich als eine solch große Schuld erscheint, dass lediglich die Erfahrung einer Vergewaltigung für eine Weile als Buße dieser Schuld akzeptiert und der Junge als Mensch wahrgenommen wird?




Unhold und verfolgte Unschuld –  und weitere progressive Geschlechtermodelle„Wann ist es eine Vergewaltigung?“ Dieser Frage gehen die Jungen angesichts von zwei Situationen nach, die jeweils aus der Sicht des Mädchens und der des Jungen geschildert werden und die jeweils in einem sexuellen Übergriff des Jungen enden – den dieser aber nicht versteht. Diese kurze Sektion beinhaltet im Kleinen das Muster des gesamten Programms: Nur scheinbar stehen sich hier zwei gleichberechtigte Perspektiven gegenüber, tatsächlich aber ist nur die eine tragfähig, die der Mädchen, während die Perspektive der Jungen grundsätzlich als Legitimation von Gewalt erscheint.


Das ist nicht einmal im Sinne der Mädchen. Wer Mädchen vermittelt, Jungen seien nur akzeptabel, soweit sie die Bedürfnisse der Mädchen erfüllen – und wer ihnen angesichts der Probleme, die durch eine solch narzisstischen Haltung entstehen müssen, allzeit verfügbare Schuldige anbietet – der hat natürlich nicht das Ziel, Mädchen zukunftsfähige Geschlechterrollen anzubieten.


Schlimmer aber noch ist die absurd jungenfeindliche, autoritäre Boot-Camp-Pädagogik der Plattform. Jungen lernen, dass sie so, wie sie sind, grundsätzlich schlecht sind – dass sie sich aus dieser Schlechtigkeit nur dann befreien können, wenn sie den Blick der Mädchen auf sie (der eigentlich der Blick der Projektleiterinnen ist) als maßgeblich akzeptieren und sich entsprechend ändern. Was Du bist, muss erst verschwinden – erst dann kann Neues entstehen.


Und: Lass deinen Schwanz in Ruh!


Die pädagogischen Konsequenzen der widersprüchlichen Geschlechterrollen dieses Projekts sind enorm, und enorm negativ. Tatsächlich sind die Darstellungen der Geschlechter zeitentrückt und reaktionär, reproduzieren wieder und wieder das Bild der Damsel in Distress, die vom männlichen Unhold bedroht wird. Dem Selbstverständnis der Macherinnen entsprechend werden dabei allerdings, zu allem Überfluss und zur allgemeinen Verwirrung, zukunftsweisende, progressive Modelle angeboten – wobei es natürlich nebensächlich ist, das sowohl Mädchen als auch Jungen mit diesen Modellen kaum werden leben können.


Wer Geschlechterrollen tatsächlich offen gestalten möchte, darf sich nicht auf betonierte Gut-Böse-Schemata festlegen – dieser Zusammenhang ist so naheliegend, dass ich noch nicht so recht verstehe, wieso er den doch gewiss hochkompetenten Verantwortlichen dieses Projekts so tief verborgen bleib.

Nun denn. Ich mache mich jetzt jedenfalls daran, eine ebenso progressive Nice Girls Engine zu entwickeln. Mädchen können damit lernen, dass sie eigentlich völlig unerträglich und inakzeptabel sind, es sei denn, sie bedienen die Bedürfnisse von Jungen und Männern. Jungen wiederum lernen, dass Mädchen ihnen eigentlich nur Schlechtes wollen, dass es aber vielleicht seltene Ausnahmen gibt – die ein Junge daran erkennen kann, dass sie sich ganz nach seinen Wünschen richtet.


Ein sicher bald preisgekröntes Programm für alle Schulen, das ich in Zusammenarbeit mit einer Uni und ihren Studenten entwickle und auf das Lehrer sicher gern zurückgreifen werden (schließlich ist es immer gut, die Klasse eine Doppelstunde lang beschäftigt zu haben, ohne selbst allzu viel tun zu müssen; zumal es ja für einen guten Zweck ist).


Just Kidding. Niemand würde für einen solchen Dreck öffentliche Mittel verwenden, natürlich nicht, niemand würde dafür auch noch Preise verteilen, und nirgendwo gäbe es so angepasste und unkritische Studenten, dass sie dabei auch noch über Jahre mitmachen würden. Aber: Alles andere in diesem Text stimmt.


Auch wenn das noch so schwer zu glauben ist.



Nachwort: Beim „Deutschen Präventionstag 2011" wurde die Nice Guys Engine vorgestellt, angeblich hatte sie zu diesem Zeitpunkt 3600 Teilnehmer.



Die Plattform ist vielfältig verlinkt, zum Beispiel:
- Beim österreichischen Bundesministerium für Unterricht, Kunst, Kultur
- Bei der überkonfessionellen Plattform für Religionspädagogik und Religionsunterricht
- Beim Fachkräfteportal der Kinder- und Jugendhilfe Niedersachsen
- Bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, natürlich beim „Frauengesundheitsportal“ (Wen interessieren schon die Jungen?)



Wie groß die Gesamtkosten für dieses Plattform waren, habe ich nirgends herausgefunden. Ich gehe davon aus, dass sie leicht größer waren als, zum Beispiel, die Kosten für das Blog man tau.







Andere Texte der Blogparade zum Thema Geschlechterrollen



Christian Schmidt (Alles Evolution): Geschlechterrollen: Häufungen wird es immer geben, dies sollte aber keinen Konformitätszwang erzeugen
man.in.th.middle (Maskulismus für Anfänger): Fuck ju Dschända!
Martin Domig (Flussfänger): Das Gras auf der anderen Wiese
Tom (Mein Senf):Rollen
Arne Hoffmann (Genderama): Identity Economics: Wie mit ungedeckten Schecks "Männlichkeit" verkauft wird


 

Zen oder die Kunst, über Männlichkeit zu schreiben

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Einerseits erinnerte es mich selbstverständlich an den Film Und täglich grüßt das Murmeltier, wieder einmal dem Vorwurf zu begegnen, Männerrechtler würden sich am Feminismus abarbeiten, anstatt sich einfach einmal mit Männlichkeit zu beschäftigen.
„Einen Maskulismus zu erleben, der sich tatsächlich mal nur mit Maskulinität auseinander setzt, wäre ja so wahnsinnig erfrischend“,
schreibt Robin in ihrem Blog und wiederholt damit eine schon mehrmalsdiskutierte Position – über die auch bei Alles Evolution schon ausführlich debattiert wurde.
„Ich habe ja schon mehrmals kritisiert, dass sich der Maskulismus meiner Meinung nach zu sehr am Feminismus abarbeitet, statt sich mal um existentielle Fragen rund um Männlichkeit zu kümmern.“
Und was existentielle Fragen für sie sind, das können Männer natürlich nicht allein entscheiden.
„Klar: ‚Feminismus, Feminismus, Feminismus‘. Oder wahlweise auch: ‚Frauen, Frauen, Frauen‘. Und ich so: Meh, meh, meh.“
Das ist aber auch zu blöd: Da regen sich manche Männer ewig+3Tage darüber auf, dass sie aufgrund einer nunmal ungünstigen Geschlechtszugehörigkeit ihre Kinder nicht mehr sehen können, anstatt einfach einmal ungezwungen darüber zu debattieren, wie sie ihren „ersten Samenerguss erlebt“ haben.
 
Oder wie wär es mit einer Antwort auf diese Frage:
„Gibt es Dinge, die du dich nicht traust, gegenüber deiner Frau/Freundin/Sexualpartnerin anzusprechen?“
Genau – worüber ich mit meiner Partnerin nicht zu reden wage, das diskutiere ich natürlich gern, offen und ungezwungen im Internet.
Matthias Mala: Messerrasur
Andererseits aber habe ich etwa zur gleichen Zeit einen Text gelesen, den der Autor und Maler Matthias Mala, der auch bei man tau mitliest und kommentiert, auf seinem eigenen Blog veröffentlicht hat: „Zen und die Lust, ein Rasiermesser zu führen“.
 
Es geht darin um die traditionelle Gesichtsrasur, nicht um die der Beine, des Körpers, des Intimbereichs. Das natürlich ist klassisch männlich, eine routinierte Tätigkeit, regelmäßig wiederholt, in den Alltag eingebettet, zudem übersichtlich in verschiedene Schulen zu unterteilen: Jeden-Tag-Rasierer, Alle-paar-Tage-Rasierer, Bartstutzer, Wachsenlasser, quer dazu natürlich Trocken- und Nassrasierer, und unter diesem wiederum die Gruppe der Mutigsten und Spleenigsten, die Rasiermesserrasierer.

Der Text ist – gerade weil eine alltägliche, unspektakuläre, ganz und gar nicht auf Geschlechterpolitik bezogene private Alltagshandlung im Mittelpunkt steht – ein guter Anlass, um zu überlegen, was das Reden oder Schreiben über „Männlichkeit“ eigentlich so schwer macht, oder was es eben: ermöglicht.


Ein blutverschmierter Alptraum (Mann gönnt sich ja sonst nichts)
„Blitzender Schmerz. Die Hand mit dem Messer schnellt zurück. Du blickst in den Spiegel, auf den weißen Schaum, nichts ist zu sehen. Ein, zwei Wimpernschläge später, nur so lang wie der Donner dem Blitz nacheilt, färbt ein hellroter Strich die schaumigen Flocken. Du setzt das Messer wieder an, grollst mit dir ob deiner Unachtsamkeit, führst die Klinge nun schräg zum Schnitt, um die Haut nicht weiter zu öffnen und doch die gewohnte Glätte in dein Gesicht zu schleifen.“
So beginnt der Text Malas. Natürlich – was richtig männlich ist, kommt ohne ernstzunehmende Gefahr und ihre Beherrschung nicht aus.
„Einem Anfänger geschieht so etwas nicht. Er hat zu großen Respekt vor der Klinge, mit der er beim ersten Schärfen eine tiefe Scharte in den ledernen Riemen schnitt. Fingerdick hätte sie das Fleisch geöffnet, die Wange durchtrennt, die Gurgel durchschnitten. Ein blutverschmierter Albtraum.“
Die allseits präsente Gefahr der umfassenden Selbstverstümmelung aber steht gar nicht im Mittelpunkt des Textes. Wichtiger ist der Gestus der Distinktion, der Absonderung von anderen und die Kultivierung des Eigenen. Eine solch „stille Noblesse“ hätte er nicht von ihm erwartet, eine solche „Sinnlichkeit“– das schreibt der Erzähler über einen Freund: Als „ich (…) hörte, er rasiere sich mit dem Messer, biss mich der Neid“.
 
Am Ende ist er es dann, der das Gefühl hat, andere neidisch zu machen: Gelegentlich
„findest du den Schlenker, um einem Freund, Kollegen oder Kontrahenten recht beiläufig mitzuteilen, dass du dich mit dem Messer rasierst. Den respektvollen Blick, den du darauf erhaschst, quittierst du mit dem milden Lächeln eines Siegers.“
Teure Utensilien, Anspielungen auf Zen und fernöstliche Kultur („Meditation“, „Dojo“, „Koan“)– die hier beschriebene Männlichkeit sucht nicht, wie die Weiblichkeit in Robins Text, die Gemeinsamkeit („Da sitzt frau mit ein paar anderen Frauen zusammen und plötzlich dreht sich das Gespräch um die erste Menstruation. Oder überhaupt um Menstruation. Ein sehr, SEHR ergiebiges Thema.), sondern das Unterscheidende.

Das ist nicht allein ein Bemühen um Statussignale – denn zugleich wird der Gestus der Unterscheidung auch beständig ironisiert. In „die Sphäre männlicher Eigentümlichkeit“ zieht sich der Erzähler zurück, bereit zum„einsamen Kult der letzten Ritter“, er konterkariert den Kult des Edlen mit Werbesprüchen („Mann gönnt sich ja sonst nichts.“) und die Zen-Meditation mit dem Unglück des ungeschickten Selbstverstümmlers –
„du stolperst ins Flugzeug oder zum Termin, als wärest du geradewegs vom Paukboden gefallen.“
Zentral für diese Ironie ist, dass dem Blick des Erzählers in den Spiegel, der sich in diesen Passagen passend mit „du“ anspricht, beständig ein anderer Blick in die Quere gerät – der Blick der Partnerin. Nimmt er den zu Beginn noch, zu Recht oder zu Unrecht,  als „bewundernd“ wahr, so ist er schließlich eher spöttisch:
„nachlässiges Gestoppel wird sofort gerügt, während ein blutiger Schnitzer in deinem Gesicht statt Mitleid nur noch ihre Spottlust kitzelt“.
Am Ende steht neben dem „besorgt bewundernden Blick der Frau“ der „Schelm, der da meint, du pflegtest nur deine Eitelkeit.“

Was aber soll eigentlich der Kult um das Unterscheidende, anstatt nach Gemeinsamkeiten zu suchen? Warum müssen Männer offenkundig, anstatt im solidarischen Gespräch die allseitige Erfahrung der ersten Rasur oder des ersten Samenergusses zu zelebrieren, sofort Unterschiede finden, sich in Nass- und Trockenrasierer und diverse Untergruppen aufspalten?
 
Warum keine Konzentration auf das Gemeinsame der „Männlichkeit“?


Männer sind anders (Frauen nicht?) Der Grund ist wohl, dass es dieses Gemeinsame ganz einfach nicht gibt. Als soziale Kategorie ist Männlichkeit in den meisten Situationen hoffnungslos unbrauchbar – Gemeinsamkeiten des Berufs, der Ausbildung, des sozialen Status oder auch der politischen oder religiösen Überzeugung sind in aller Regel aussagekräftiger.

Bei Frauen ist das, traditionell, anders: Weiblichkeit ist für sie in herkömmlichen bürgerlichen Verhältnissen ein zentrales Element ihrer Aus- und Einkommens. Sie sind finanziell vom Mann versorgt, weil sie ihrerseits – als Mutter – die gemeinsamen Kinder und – als Hausfrau – die Familie in Alltagstätigkeiten versorgen.
 
Was Robin als ungezwungen-schwelgerisches Frauengespräch über die gemeinsame Weiblichkeit darstellt, bezieht sich noch immer weitgehend auf eben diese beiden traditionellen Weiblichkeitsmuster der (potenziellen) Mutter und der (potenziellen) Partnerin: die „erste Periode“,„Mutterschaft“, das „erste Mal“, das Aussehen der Brüste, die Frage „Findet er meinen Geruch/Geschmack eklig?“

Offenbar hat sich an traditionellen Weiblichkeitsmustern weniger geändert, als es das Klischee allseits emanzipierter und selbstständiger Frauen vermittelt. Wenn heute beispielweise auch unverheiratete Mütter, die sich vom Vater ihres Kinder trennen, eben gerade deshalb an ihn einen Anspruch auf Betreuungsunterhalt erwerben – und wenn andererseits ein vergleichbarer Anspruch unverheirateter Väter an Mütter faktisch ausgeschlossen ist – dann ist das nur ein Beispiel dafür, wie sich das Muster des Lebensunterhalts durch Geschlechtszugehörigkeit bewahrt hat.

Das wäre Männern so kaum möglich – Männer bestreiten in traditionellen Mustern ebenso wie in anderen ihren Lebensunterhalt in aller Regel durch spezifische berufliche Tätigkeiten, und sie verdienen potenziell umso besser, je solider sich ihre spezifischen Fähigkeiten von denen anderer Männer unterscheiden.
 
Es ist männlich, dass es niemals einfach ausreicht, Mann zu sein – und so geht es im Gespräch oder beim Schreiben über Männlichkeit in aller Regel notgedrungen um mehr als  um Männlichkeit allein. Das klingt paradox, zen-verdächtig, ist aber eigentlich selbstverständlich. Wesentlich fragwürdiger ist der Glaube, ein Gespräch über „Weiblichkeit“ sei fraglos möglich – weil ein solches Gespräch auf Mustern von Weiblichkeit aufbaut, die eigentlich längst nicht mehr funktional sind.


Im Spiegel boshafter Augen (Meh meh meh) An Malas Text lässt sich aber auch nachvollziehen, warum Männlichkeit, Weiblichkeit und Geschlechterverhältnisse heute überhaupt aus männlicher Perspektive zum Thema werden.
 
Der Blick der Frau dort ist mehrdeutig, mal bewundernd, mal wenig interessiert, mal spöttisch, und er schafft daher eine Fallhöhe für den „Adler in seinem Horst“. Ohne die Ironisierung, für die dieser Blick eine wesentliche Funktion hat, würde der Text in seiner zentralen Situation der Selbstbetrachtung vor dem Spiegel erstarren – eine ungebrochene Darstellung der Rasur als Zen-Ritus, ohne den Kontrast des offen ausgesprochenen Vorwurfs der Eitelkeit, wäre irritationsfrei reizlos.

Eine ebenso positive Funktion wie hier der weibliche Blick könnte übrigens auch der männliche Blick für weibliche, und gerade auch für feministische, Selbstdarstellungen haben, wenn er dort nicht traditionell dämonisiert und als Blick des Unterdrückers diffamiert würde. Wenn hingegen bei Mala die Selbstdarstellung des Erzählers ironisch, aber nicht destruktiv wird, liegt das offenkundig auch daran, dass der Blick der Frau dort grundsätzlich wohlwollend ist.

Vom „Spiegel boshafter Augen“(„mirror of malicious eyes“) spricht der irische Dichter Yeats in einer berühmten Formulierung  – als beschmutzte und verunstaltete Gestalt würde man sich in einem solchen Spiegel sehen, bis man schließlich glauben würde, man sähe tatsächlich so aus. Ein solch boshafter Blick erlaubt keine Balance zwischen Selbstversunkenheit und ihrer Ironisierung wie in Malas Text, sondern wird, wenn er nicht ignoriert werden kann, zu einer ernsthaften Belastung.

Yeats‘ Formulierung bezeichnet exakt den Blick, den die pädagogische Apparatur der Nice Guys Engine auf Jungen richtet, die dort als allseits geile, potenziell gewalttätige Gestalten erscheinen, welche der Empathie weder fähig noch wert sind. Es war für mich etwas bedrückend in der Diskussion, die auf den Text darüber folgte, dass in Stellungnahmen von Frauen – die es hier immerhin ausnahmsweise gab – die Böswilligkeit dieser Wahrnehmung überhaupt nicht registriert wurde.
 
Schüler werden hier ja nicht nur mit einem enorm negativen Blick Erwachsener auf sie konfrontiert, sie sind ja auch aufgefordert, diesen Blick auf sich zu übernehmen – oder andernfalls erst recht als potenzielle, reflexionsunwillige Gewalttäter dazustehen. Wer diesen Blick akzeptiert, steht als gewalttätig da – wer ihn nicht akzeptiert, auch.

Es ist typisch für gegenwärtige Geschlechterdebatten, dass Männer mit einer solchen immunisierten und zugleich institutionell gestützten Feindseligkeit konfrontiert sind. Fast ikonisch ist beispielsweise die Situation von Trennungsvätern, die akzeptieren müssen, dass sie aus familiären Zusammenhängen, die für ihr Leben und für das ihrer Kinder zentral sind, regelrecht gelöscht werden, dass sie diese Löschung zudem finanzieren müssen – und dass sie bei nachdrücklichen Protesten gegen diese Situation erst recht als eine Bedrohung für die Mutter und das gedeihliche Aufwachsen der Kinder dastehen.

Erst angesichts solcher Strukturen wird Männlichkeit als Oberbegriff für viele überhaupt zum Thema – weil sich die erfahrene Feindseligkeit nicht gegen bestimmte Handlungen, sondern gegen Männlichkeit generell richtet und dabei sogar Kinder nicht ausnimmt. Die Macherinnen der Nice Guys Engine etwa sind ganz auf die Imagination eines Herrschaftsgefälles zwischen Männern und Frauen, zwischen Jungen und Mädchen, wohl sogar zwischen Jungen und Frauen fixiert – und sie ignorieren dabei unbekümmert das fraglos bestehende und wesentlich offensichtlichere Herrschaftsgefälle zwischen Erwachsenen und Kindern.

Wenn erst angesichts der Erfahrung, mit solchen Spiegelbildern boshafter Augen allein aufgrund der eigenen Geschlechtszugehörigkeit konfrontiert zu sein, diese Geschlechtszugehörigkeit zum Thema wird – dann ist es selbstverständlich, dass in ein Gespräch darüber immer auch die erfahrene Aggression gehört.
 
Wenn Robin nicht versteht, dass daher der institutionalisierte Feminismus für Männer immer wieder zum Thema wird, dann wohl deshalb, weil sie sich ein unschuldiges Bild dieses Feminismus bewahren konnte, in dem Aggressionen entweder grundsätzlich gerechtfertigt sind, als Notwehr, oder lediglich am Rande eine Bedeutung haben.

Wer beispielweise als Trennungsvater seine Kinder aufgrund willkürlicher Entscheidungen nicht mehr sehen kann und damit institutionell verpflichtet wird, in einem wesentlichen Bereich des Lebens in die eigene Löschung einzuwilligen, steht vor existentiellen Schwierigkeiten, denen dieses unschuldige Bild nicht gerecht wird. Auf den Versuch, diese Schwierigkeiten zu artikulieren, mit einem kecken „Meh meh meh“ zu reagieren und sie pauschal als Gejammere zu präsentieren, ist auf infantile Weise grausam.

Männer, das zumindest ist meine Erfahrung, hätten in aller Regel Besseres zu tun, als sich an feministischen Positionen abzuarbeiten, wenn diese nicht weiträumig institutionalisiert und daher in vielen Fällen von erheblicher und willkürlich exerzierter Bedeutung für das Leben Einzelner wären. Die Auseinandersetzung ist wohl auch deswegen oft verbissen, weil sie so ungleich ist.
 
Es gibt einfach keine Lösung für das Problem der institutionalisierten Feindseligkeit – die einzige Lösung bestünde im Verschwinden des Problems. Es hat beispielsweise keinen Sinn, wenn Jungen oder Männer feindselige Zuschreibungen widerstandlos akzeptieren und fortan versuchen, nette Jungs oder gute Männer zu sein – sinnvoll kann es nur sein, die Feindseligkeit selbst zum Thema zu machen und zu hoffen, dass sie mit der Zeit abgebaut wird.

Wo aber diese Feindseligkeit tatsächlich in den Hintergrund tritt, da ist es offenkundig problemlos möglich, über Männlichkeit zu schreiben, sie gerade in individuellen Unterschieden, im Unterscheidungswunsch und nicht im großen Gemeinsamen zu skizzieren, sie zu ironisieren und dabei männliche und weibliche Perspektiven spielerisch einander gegenüberzustellen.

Wie man die Biologie abschafft, die Evolution blockiert und nebenbei die ideale Gesellschaft baut

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„Baden-Württemberg will Biologie-Unterricht abschaffen. Stuttgart in den Händen der Gender-Ideologen.“
So betitelte Mitte des Monats die Wirtschaftswoche  einen Artikel über die grün-rote Bildungsplanreform. „Denn die Biologie ist ihnen ein Greuel“, begründet dessen Autor Ferdinand Knauß ohne Angst vor falschem Pathos die Pläne der Landesregierung.
Vermutlich wäre der Artikel für die Erregung von Empörung weniger geeignet gewesen, wenn Knauß zumindest nebenbei erwähnt hätte, dass die Landesregierung lediglich in den Schuljahren 5 und 6 das Fach „Naturphänomene und Technik“ einführen möchte, das sich „aus den Fächern Physik, Chemie, Biologie und Technik“ zusammensetzt.  Knauß hätte bei der Gelegenheit dann übrigens auch gleich erwähnen können, dass diese Zusammenlegung von naturwissenschaftlichen Fächern an Gesamtschulen schon seit Jahrzehnten üblich ist – es lässt sich darüber streiten, ob das sinnvoll ist, aber es ist gewiss keine Konsequenz der „Gender-Ideologie“.

Einerseits wird also in Baden-Württemberg das Fach Biologie keineswegs abgeschafft, andererseits hätte der Autor ebenso gut von einer Abschaffung des Fachs Chemie, oder Physik, oder Technik sprechen können. Diese Fächer allerdings hätten sich kaum als Alptraum der „Gender-Ideologen“ verkaufen lassen.
So belegt der Artikel vor allem ein erhebliches Misstrauen gegenüber der Landesregierung – und das Wissen darum, dass eine am Gender-Begriff orientierte Geschlechterpolitik, die Frau und Mann als „soziale Konstruktionen“ versteht, mit der Biologie ein ganz besonderes Problem hat.
Könnte also daher nicht die Biologie besonders geeignet sein, um einer Gender-Politik grundlegend und systematisch zu widersprechen? Über diese Frage gab es vor wenigen Wochen bei Alles Evolution eine lange, zu Teil auch harte und bittere Diskussion – angestoßen durch Elmar Diederichs, der in einem Artikel die Frage „Was können Biologisten?“ stellte, und der dann in der darauffolgenden Diskussion in seinem Blog und bei Alles Evolution darauf bestand, dass der Maskulismus keineswegs auf Biologie angewiesen sei. 
Ich kann diese interessante und zum Teil auch überraschend scharfe Diskussion hier natürlich nicht fortführen. Interessant aber ist für mich die Frage, warum die Biologie für Anhänger der Gender-Theorie eigentlich einen so großen Provokationswert hat – und welche politischen Konsequenzen sich daraus ergeben.


Fußball, Halma und die Ablehnung der Biologie Es gehört zu den Selbstverständlichkeiten der Gender Studies, soziale Zusammenhänge zu betonen und demgegenüber biologische Argumentationen abzuwerten oder gar zu skandalisieren. Warum aber können sich Vertreter dieser Richtung eigentlich nicht mit Biologen arrangieren und akzeptieren, dass beide Disziplinen unterschiedliche und womöglich komplementäre, also sich gegenseitig ergänzende Zugänge zum selben Thema haben?

Das ist kaum ohne den Hinweis zu verstehen, dass die Gender Studies sich nicht allein als wissenschaftliche Disziplin verstehen, sondern in aller Regel auch deutliche politische Anliegen haben. Wenn Unterschiede zwischen den Geschlechtern rundweg sozial konstruiert sind, und wenn einige Gruppen von Menschen – nämlich Frauen, natürlich – durch diese Unterscheidungen benachteiligt werden, dann kann vom Staat auch gefordert werden, Mittel zum Ausgleich dieser Unterschiede einzusetzen.
Wenn aber diese Unterschiede zumindest zu einem guten Teil biologisch begründet sind und daher durch staatliche Interventionen auch nicht kurzfristig nivelliert werden können, oder wenn Geschlechterunterschiede gar nachvollziehbare Funktionen erfüllen, dann lässt sich eine „Gender Mainstreaming“-Politik weit weniger begründen.

So werden biologische Erkenntnisse in den Gender Studies in aller Regel auch nicht als Ergänzung zu den eigenen Positionen anerkannt, sondern ausgeblendet. Eben damit begeben sich Gender-Theoretiker allerdings in eine leicht angreifbare Position,

Vor wenigen Jahren der norwegische Soziologe Harald Eia in einer Reihe von Fernsehfilmen die Gender Studies seines Landes in eben dieser bewussten Ignoranz erheblich bloßgestellt  – mit dem Resultat, dass ein mit Millionen gefördertes Gender Studies Institut in Oslo geschlossen wurde. Daher ist die Hoffnung verständlich, mit biologischen Argumenten auf ähnliche Weise Klischees der – in aller Regel feministisch positionierten – Gender Studies maskulistisch auszuhebeln, sie ist aber auch trügerisch.

Gerade weil sich Vertreter der Gender Studies regelmäßig gegenüber biologischen Argumenten gleichgültig oder ablehnend verhalten und weil diese Ignoranz von den politischen Geldgebern noch akzeptiert wird, gehen biologische Argumente gegen diese Position ins Leere. Wer auf ihnen beharrt, wirkt tatsächlich wie jemand, der seinerseits lediglich seine „kleine Farm verteidigen“  möchte.

Anders formuliert: Wer von Vertretern der Gender Studies verlangt, biologische Argumente als Widerlegung der eigenen Position zu akzeptieren, verhält sich wie jemand, der beim Fußballspiel dem Gegner vorschlägt, statt Fußball sollte man doch einfach mal Halma spielen. Warum sollte der sich darauf einlassen?

Denn wenn der Gesprächspartner hundert schlüssige Hinweise darauf nicht zu Kenntnis nimmt, dass Geschlechtsunterschiede auch biologisch begründet sind, wird er sich vom hundertersten Hinweis aller Voraussicht nach nicht plötzlich überzeugen lassen. Zudem wären überzeugte Vertreter von Gender-Theorien wohl ohnehin taub gegenüber kritischen Argumenten – das aber muss nicht in gleichem Maße für ihre politischen und medialen Unterstützer gelten.

Was also in der politischen Geschlechterdiskussion fehlt, sind Versuche der Vermittlung zwischen biologischen und anderen, also beispielsweise soziologischen oder politischen Zugängen. Eia gelang diese Vermittlung vohl gerade deshalb, weil er Soziologe und eben kein Biologe ist. Es reicht also nicht, wieder und wieder drauf hinzuweisen, dass die Gender Studies gegenüber biologischen Argumentationen weitgehend ignorant sind – wichtiger ist es, die politischen Folgen dieser Ignoranz zu verdeutlichen.


Vom guten und bösen Biologismus – und von unwichtigen Samenzellen Dabei argumentieren Feministinnen übrigens durchaus nicht streng anti-biologistisch. Kai hatte bei man tau vor Kurzem beispielweise eine Passage von Anita Heiliger zitiert.
„Interessant an diesem Thema ist nebenbei die aktuell zum Ausdruck kommende hohe Bewertung des Samens, wie es z.B. die Klägerin [gemeint ist die junge Frau, die ein Bundesverfassungsgerichtsurteil zur Auskunft über Spenderväter erklagt hat] ausdrückt: Sie möchte wissen, wem sie ihre Existenz verdankt. Das Sperma ist ja biologisch gar kein Samen, aus dem der neue Mensch wächst, sondern er gibt bekanntlich den Anstoß zur Zellteilung des weiblichen Eies und fügt Chromosomen hinzu..."
Von der vermeintlichen Bedeutungslosigkeit der männlichen Samenzelle schließt Heiliger hier ohne unnötige weitere Überlegungen auf die Bedeutungslosigkeit des Vaters, den zu kennen für die junge Klägerin doch eigentlich völlig unwichtig sein müsse. Was eigentlich stört Feministinnen an biologischen Argumenten, wenn einige von ihnen dich selbst – und gerade bei der Privilegierung der Mutterschaft gegenüber der Vaterschaft ist das notorisch – bei Gelegenheit gern biologistische Schnellschüsse abgeben?

Der Hinweis reicht nicht, die Biologie würde Geschlechterunterschiede „naturalisieren“, also Unterschiede, die tatsächlich sozial begründet sind, als natürlich darstellen und sie so scheinhaft legitimieren. Tatsächlich werden biologische Zusammenhänge  manchmal in dieser Weise verwendet, aber gerade dann wäre es eigentlich besonders wichtig, sich eingehend mit biologischen Erkenntnissen auseinanderzusetzen und auch ihre Grenzen deutlich machen zu können.

Möglicherweise also hat die genderpolitische Gegnerschaft zu biologischen Argumentationen also einen ganz anderen Grund, der damit im Zusammenhang steht, dass biologische Erklärungen menschlichen Verhaltens in aller Regel auch evolutionäre Erklärungen sind.
Warum das eine Provokation sein kann, lässt sich an Überlegungen des amerikanischen Philosophen und Pädagogen John Dewey zeigen.


Wie man im Interesse des Fortschritts Evolutionen blockiert Dewey geht von dem einfachen Gedanken aus, dass eingeübte, also habitualiserte Verhaltensweisen bestimmte sinnvolle Funktionen erfüllen – sonst wären sie nicht habitualisiert worden. Natürlich kann eine Änderung dieser Verhaltensweisen gleichwohl wichtig werden, beispielsweise, weil sich ihr Kontext verändert und sie nun nicht mehr funktional sind.
Nun ist aber ein Verhalten nicht einfach durch ein anderes zu ersetzen – Änderungen von Verhaltensweisen sind nur auf der Basis eben des Verhaltens möglich, das geändert werden soll. Ein schönes und übliches Beispiel für diesen Zusammenhang ist der Umbau eines Schiffes auf hoher See, bei dem eben nicht kurzerhand das ganze Schiff auseinandergenommen werden kann, sondern seine grundsätzliche Seetauglichkeit beständig bewahrt bleiben muss. So ist es dann beispielsweise wichtig anzuerkennen, dass auch ein ungünstiges Verhalten bestimmte Funktionen erfüllt – und zu überlegen, wie diese Funktionen auf andere Weise erfüllt werden können.

Eben das aber wird von nicht-evolutionären Konzepten der Veränderung nicht anerkannt. Dewey skizziert sie so:
„Wir argumentieren weiter so, als ob die Schwierigkeit in dem bestimmten System stecken würde, das versagt hat, und als ob wir nun endlich zum Punkt gekommen wären, auf ein System zu stoßen, das dort wahr ist, wo alle anderen falsch waren.“ (1)
Anstatt auf dem Bestehenden aufzubauen und es konkret zu beschreiben, orientiert sich dieses Modell der Veränderung an einem abstrakten Ideal und wertet das Bestehende kurzerhand und verallgemeinernd als falsch" ab.

Das führt zu Spaltung zwischen dem abgewerteten Realen und dem Ideal, das angeblich allein zur verlässlichen Orientierung dienen kann. Angesichts dieser Spaltung wird allerdings eine Entwicklung tatsächlich nicht etwa vorangetrieben, sondern blockiert – anstatt bestehende Strukturen weiter zu entwickeln, werden sie konserviert, aber als etwas Neues ausgegeben.

Mir hat Deweys Unterscheidung zwischen evolutionären Modellen und Modellen, die an einem abstrakten Ideal orientiert sind, immer eingeleuchtet, gerade in pädagogischer Hinsicht. Natürlich bauen Kinder und Jugendliche (und übrigens auch Erwachsene) manchmal Mist – ihnen deshalb aber das Gefühl zu geben, sie seien fundamental falsch und wertlos, ist nicht nur inhuman, es ermöglicht auch keine positiven Veränderungen.

Wie destruktiv das Desinteresse an der Funktionalität des Bestehenden und die Fixierung auf ein abstraktes Ideal sein kann, zeigt beispielsweise die Nice Guys Engine. Die realen Jungen werden als falsche Systeme behandelt, die durch richtige, von den Verantwortlichen der Maschine entworfene Systeme, nämlich die Nice Guys, zu ersetzen seien. Dass diese Pädagogik mit großer Sicherheit (und Gott sei Dank) nicht erfolgreich sein wird, kann dann der Widerborstigkeit der beteiligten Jungen angelastet werden.

In politischen Geschlechterdebatten ist für mich eines der einprägsamsten Beispiele für Deweys Gegenüberstellung  das Ideal der mütterlichen Alleinerziehung, das von Autorinnen wie Anita Heiliger, aber auch von Lobbyorganisationen wie dem VAMV als Befreiung der Mütter von der Herrschaft der Väter verkauft wird.
Bei diesem Bemühen um die Überwindung der bürgerlichen Ehe spielt der Gedanke keine Rolle, welche Funktionen diese Institution eigentlich erfüllt, und wo genau sie nicht oder nicht mehr funktional ist. Stattdessen wird ein Ideal der Alleinerziehung an ihre Stelle gesetzt, das abstrakt bleibt, weil die Frage niemals wichtig wird, wie dieses neue Ideal wichtige Funktionen der traditionellen bürgerlichen Familie eigentlich übernehmen kann.

Da aber eine dieser klassischen Funktionen, die der finanziellen Versorgung von Müttern und Kindern durch die Väter, nicht einfach unwichtig wird, wenn man sie nur lange genug ignoriert, wird diese Funktion kurzerhand ausgerechnet an die ausgegrenzten Väter delegiert. Ein Outsourcing von Handlungszwängen.

Das Resultat ist eben keine Veränderung bestehender Strukturen, sondern ihre Zuspitzung ins Absurde: Anstatt dass vorwiegend die Mutter sich um die Kinder kümmert, hat nun ausschließlich sie das Recht zur Kindessorge – und anstatt das der Vater bloß einen großen Teil des Tages fern von der Familie im Beruf zubringt, bleibt nun von ihm gar nichts anderes mehr als die Funktion des finanziellen Versorgers übrig.

Was aber soll das? Wer kann ein ernsthaftes Interesse daran haben, begrenzte, aber reale Möglichkeiten der vernünftigen Gestaltung sozialer Interaktion zu ignorieren und sie durch die Illusion einer umfassenden und willkürlichen Handlungsmacht im Sinne abstrakter Ideale zu ersetzen? Bei der Antwort kann ein Kommentar helfen, den LoMi hier bei man tau vor Kurzem gepostet hat.


Nach diesem doch eigentlich recht elegant platzierten Cliffhanger wird der Text (der mir, ehrlich gesagt, ein bisschen zu lang geraten war –ganz unüblich für mich, eigentlich) übermorgen fortgesetzt. Es geht dann unter anderem um die Fetischisierung von Minderheiten, um den Zusammenhang zwischen einer Ablehnung der Biologie und einer seltsamen Art von Politik – und darum, dass die Umwandlung linker Parteien in maskulistische Organisationen möglicherweise kurz bevorsteht.

Hier ist dieser zweite Teil: Wie man durch Unfreiheit Freiheit schafft, rückwärts vorwärts fährt und dabei viel Kuchen bekommt


Das Dewey-Zitat im Text habe ich selbst übersetzt. Hier das Original:

(1) „We continually reason as if the difficulty were in the particular system that has failed and if we were on the point of now finally hitting upon one that is true as all the others were false.”

John Dewey: Individualism, Old and New, in ders., The Later Works, Vol. 5: 1929-1930, S. 41-123, hier S. 99f.


Außerdem:
John Dewey: Human Nature and Conduct, in ders: The Middle Works, Vol. 14: 1922, S. 1-230


Wie man durch Unfreiheit Freiheit schafft, rückwärts vorwärts fährt und dabei viel Kuchen bekommt

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Ein Professor der Erziehungswissenschaften an der Berliner Humboldt-Universität hatte – darauf macht Crumar in einem Kommentar zum ersten Teil dieses Textes aufmerksam – in einer Vorlesung für Erstsemester einen entscheidenden Fehler gemacht: Er hatte nämlich, wie eine Studentin der Vorlesung berichtet,  unklugerweise „unter den Pflichttexten auch Autoren wie Platon, Kant und Rousseau" aufgenommen.

Das geht natürlich nicht, und so kam selbstverständlich unter dem hoffnungsvollen akademischen Nachwuchs der Bundeshauptstadt „die Frage auf, wieso wir denn Texte aus der Antike lesen sollten, also aus einer Zeit, in der Frauen unterdrückt und Menschen versklavt wurden". Da Frauen ja bekanntlich immer unterdrückt wurden, kann man eigentlich auch gleich fragen, warum man überhaupt Texte lesen sollte, und überhaupt, wieso ausgerechnet im Studium, aber in dieser gedanklicher Konsequenz gingen die Beteiligten nicht vor. Nicht ganz.

Die Frage danach, ob die Lektüre eigentlich legitim sei, wurde auch „im Zusammenhang mit Autoren wie z.B. Kant und Rousseau wiederholt gestellt"– schließlich ist deren Verhältnis zum Rassismus ja, gelinde gesagt, ungeklärt.
„Den Höhepunkt dieses Gefechts bildeten dann die Vorfälle in der letzten Vorlesung. Die kleine Gruppe Studierender, die zuvor Fragen gestellt hatte, rekrutierte, wie es aussah, einige ihrer Kommilitonen der Gender-Studies, die dann ironischerweise lautstark applaudierten und jubelten, sobald der Professor anfing zu reden. Diese letzte Vorlesung war für die meisten Studierenden ungemein wichtig, da auf Verständnisfragen bezüglich der klausurrelevanten Themen eingegangen werden sollte. Dies war nun nicht möglich. Der Professor versuchte in dem Chaos auch eine Annäherung, ging zu den Beteiligten, die in den Bänken saßen und versuchte ein Gespräch. Parolen wurden gerufen, er wurde ignoriert."
Was soll das? Woher kommt – und zwar nicht auch, sondern ausgerechnet im akademischen Bereich – die Lust an Freund-Feind-Strukturen, mit denen Abwertungen im Rundumschlag verteilt werden und einer als korrupt wahrgenommenen Welt schnurstracks der Glaube an die eigene Lauterkeit entgegengehalten wird, die sich ganz gewiss, und ohne Kompromisse machen zu müssen, schließlich gegen die verderbte Welt behaupten kann?
Der evolutionäre Sinn der Freude an der Rückentwicklung ist noch nicht vollständig geklärt (Quelle)
Der erste Teil dieses Textes endete mit einer ganz ähnlichen Frage: Wer kann ein ernsthaftes Interesse daran haben, auf diese Weise begrenzte, aber reale Möglichkeiten der vernünftigen Gestaltung sozialer Interaktion zu ignorieren und sie durch die Illusion einer umfassenden und willkürlichen Handlungsmacht im Sinne abstrakter Ideale zu ersetzen?


Wie man Handlungszwänge los wird und aus Minderheiten Fetische bastelt Es sei, so LoMi hier in einem Kommentar mit Bezug auf den Soziologen Karl Otto Hondrich,
„ein grenzenloser Optimimus, alles gestalten und umformen zu können. Davon hat Hondrich die Soziologie abgegrenzt, weil diese sich eigentlich mit unvermeidlichen Handlungslogiken beschäftige, die der Mensch nicht gestalten könne.“
Auch wer Geschlechter als soziale Konstruktionen begreift, könnte diese Konstruktionen eigentlich jeweils daraufhin überprüfen, welche Funktion sie erfüllen und welche Grenzen sie haben. Wer hingegen im Anschluss an Judith Butler die „heterosexuelle Matrix“ lediglich als Reproduktion gesellschaftlicher Herrschaft begreift, interessiert sich nicht für solche konkreten Überlegungen, sondern weiß auch ohne näheres Hinsehen und abstrakt immer schon, dass sich etablierte Geschlechterverhältnisse weitgehend auf die Funktion der Herrschaftssicherung reduzieren lassen.

Pragmatische Handlungszwänge, wie etwa der Zwang des Gelderwerbs, können dabei großzügig als irrelevant übersehen und komplikationslos auf das Konto umfassender Herrschaftsstrukturen gebucht werden – als könnten wir ohne diese Strukturen schnurstracks frei von solchen Handlungszwängen sein. Die Idee der umfassenden Reproduktion von Herrschaftsstrukturen im traditionellen Geschlechterverhältnis etabliert so eine bequeme Spaltung der Wirklichkeit, bei der einer verbissenen und notorisch abstrakten Herrschaftskritik auf der anderen Seite die Illusion einer umfassenden Handlungsmacht gegenübersteht.

Besonders verdächtig wird in einer solchen Perspektive der Begriff der „Normalität“. Pragmatisch wie evolutionsbiologisch lässt sich leicht erklären, dass es bestimmte Verhaltensweisen gibt, die zwar nicht in jedem Einzelfall, aber im Großen und Ganzen erfolgreich sind, die weiter gegeben werden, sich weiträumig etablieren und schließlich als „normales Verhalten“ wahrgenommen werden.

Das bedeutet nicht, dass davon abweichendes Verhalten falsch oder krank ist, es könnte sogar als Ressource für Veränderungen oder als Erweiterung des Handlungsspielraums begrüßt werden. (Zu eben diesen Zusammenhängen hat Christian Schmidt schon etwas bei der letzten Blogparade geschrieben.)

Allerdings erfüllt auch die Idee der „Normalität“ selbst eine wichtige Funktion. Wir sehen bestimmte Verhaltensweisen als selbstverständlich an, und wir können damit unsere Erwartungen an andere ebenso wie ihre Erwartungen an uns abschätzen. Ohne diese Selbstverständlichkeiten wären wir beständig damit beschäftigt, die Grundlagen der sozialen Interaktion zu hinterfragen, und würden darüber überhaupt nicht mehr zum Interagieren zu kommen.

Auch hier aber können Abweichungen von den Selbstverständlichkeiten gleichwohl eine wichtige Funktion erfüllen, beispielsweise als Möglichkeit, über sie zu reflektieren – und dies im konkreten Fall, nicht im ungefähren Allgemeinen.

Wer hingegen Verhaltensweisen, die weithin etabliert sind, allein als Reproduktion von Herrschaftsstrukturen begreift, der reflektiert nicht lediglich über die Möglichkeiten, die sich aus abweichendem Verhalten ergeben – sondern er macht aus der Normabweichung einen Fetisch. Die Abweichung von der Norm nämlich lädt er auf mit den Sehnsüchten nach dem abstrakten Ideal des herrschaftsfreien Lebens – als ob beispielsweise Schwule oder Transsexuelle nicht etwa Menschen wären, die in den meisten Belangen ihres Lebens in ganz gewöhnliche pragmatische Alltagsnotwendigkeiten verstrickt sind, sondern stattdessen mehr oder weniger unfreiwillige Avantgardisten einer lichteren Zukunft. (Zu diesem Thema ist ein Brief des Transsexuellen Walter Greiner an Genderama sehr lesenswert.)

Hier kann auch eine Kritik am Stuttgarter Bildungsplan ansetzen, die sich nicht auf eine Gegnerschaft gegen Homosexualität kapriziert. Es ist ganz gewiss gut vertretbar, dass der Bildungsplan das Ziel hat, Ausgrenzungen von Schülern aufgrund bestimmter Eigenschaften entgegenzutreten. Warum aber fixiert sich der Plan so sehr auf sexuell konnotierte Ausgrenzungen, warum etwa ist die so wichtige soziale Ausgrenzung für ihn irrelevant? Und wenn er sich auf sexuelle Zusammenhänge konzentriert, warum geht es ihm dann wieder und wieder um Homosexuelle und Transsexuelle, aber niemals, beispielweiese, um Sadomasochismus? Warum also nur LGBT, kein BDSM?

Anders gefragt: Was haben Homo- und Transsexualität, die ja als sexuelle Orientierung oder als geschlechtliche Identität ganz unterschiedlichen Kategorien angehören, miteinander gemein, das sie auf der einen Seite von BDSM, auf der anderen von den Formen sozialer Diskriminierung unterscheidet?

Mir fällt tatsächlich als Gemeinsamkeit nur ein, dass sich sowohl Homosexuelle als auch Transsexuelle aus unterschiedlichen Gründen in Distanz zu traditionellen heterosexuellen Partnerschaften befinden. So verständlich es aber sein mag, Jugendliche, die außerhalb heterosexueller Selbstverständlichkeiten leben, vor Diskriminierungen zu schützen – der Bildungsplan setzt diese Absicht auf seltsame Weise um, wenn in ihm die Distanzierung von herkömmlichen heterosexuellen Partnerschaften als Bedingung für die „Akzeptanz“ diskriminierter Gruppen erscheint.

Dass die Landesregierung nicht pragmatisch mit der Situation umgeht, sondern sich (ebenso allerdings wie auch Gegner des Bildungsplans) in Freund-Feind-Mustern verfängt, zeigt sich an ihrer Reaktion auf Kritik. Anstatt eine Diskussion ihres Regierungshandelns als demokratische Selbstverständlichkeit anzusehen, stigmatisiert sie Kritiker generell als „homophob“ und verweist ihre Kritik in die „unterste Schublade“.

Anstatt also etwa konkrete Möglichkeiten zu entwerfen, Homosexuellen an Schulen das Leben zu erleichtern, benutzt die Landesregierung sie als Deckung und versteckt sich hinter ihnen, um offene Diskussionen ihrer Politik vermeiden zu können.


Quoten für die Reichen, Pay Gaps für die Armen, Kuchen für mich Damit aber ist immer noch nicht klar, welchen Sinn es eigentlich hat, pragmatische Handlungszwänge – aber eben auch Handlungsmöglichkeiten– zu Gunsten der Illusion umfassender idealer Handlungsmacht zu ignorieren. Ein weiteres Zitat Dewey kann bei der Antwort vielleicht helfen.

Dewey versteht einige klassische Probleme der Philosophie, wie etwa das Leib-Seele-Problem, als Spiegelung sozialer Strukturen. Eine Geringschätzung der Auseinandersetzung mit dem Materiellen und eine Idealisierung abstrakter Formen bringt er beispielweise mit der Struktur der antiken griechischen Gesellschaft in Zusammenhang:
„Formen sind ideal, und das Ideale ist das Rationale, das von der Vernunft begriffen wird. (...) (Die) griechische Reflexion, die von einer müßigen Klasse im Interesse einer Liberalisierung der Muße getragen wurde, war vorwiegend die des Zuschauers, nicht die des Teilnehmers am Prozeß der Produktion. Arbeit, Produktion, schien keine Formen zu schöpfen, sie hatte es mit der Materie oder mit sich wandelnden Dingen zu tun (…).“  (1)
Das gilt so nicht nur für die griechische Antike. Wer sich die Illusion umfassender Handlungsmacht bewahrt, Geschlechter beispielweise abstrakt allein als „soziale Konstruktionen“ versteht, die – etwas guten Willen vorausgesetzt – auch einfach ganz anders konstruiert werden könnten, und wer dabei pragmatische Handlungszwänge ebenso ignoriert wie die biologischen Grundlagen unseres Lebens – der muss sich diese Position überhaupt erst einmal leisten können.

Diese Position kann sich aber nur jemand leisten, der daran gewohnt ist, dass ihm andere Menschen alltägliche Handlungsnotwendigkeiten abnehmen.

In diesem Sinn ist die Spaltung der Welt in das Ideal ihrer umfassenden Formbarkeit auf der einen und die Abwertung der konkreten, also biologischen oder sozialen Gegebenheiten auf der anderen Seite ein schlichter Ausdruck von gesellschaftlichen Privilegien. Das bedeutet nun nicht, dass Frauen allüberall gegenüber Männern privilegiert wären – aber feministisch inspirierte Gender-Konstrukte sind hervorragend geeignet, um die Interessen wohletablierter, privilegierter, bildungsbürgerlich sozialisierter Gruppen gegenüber anderen Gruppen der Gesellschaft zu verteidigen.

Wer die internen Konflikte der bürgerlichen Geschlechterordnung auf die Gesellschaft insgesamt projiziert und sie dort zu deren Hauptwiderspruch hochspielt, der weigert sich, etwas anderes wahrzunehmen als das, was er ohnehin immer schon kennt. Das ist wesentlich effektiver, als offene Debatten um soziale Gerechtigkeit durch einfache Verbote zu verhindern – sie werden stattdessen ersetzt und durch farcehafte Simulationen aus der öffentlichen Wahrnehmung gedrängt, die das vertraute Muster des Klassenkampfes als Geschlechterkampf nachspielen.

Diese Fixierung auf Ersatzdebatten ist natürlich kein Ergebnis einer heimlichen Verschwörung, sondern eher das Resultat einer konsequenten, aber weitgehend uneingestandenen und in ihren Konsequenzen unreflektierten Verbürgerlichung von politischen Gruppierungen mit einem „linken“ Selbstverständnis. Der Wille, die eigenen Privilegien zu verteidigen, trifft sich hier mit dem Bedürfnis, sich zugleich als integre, sozial verantwortliche Streiter für die Belange Unterprivilegierter präsentieren zu können. „Dann sollen sie doch Kuchen essen (aber bitteschön nicht meinen)."

Besonders bedrückend ist natürlich die Entwicklung der ehemaligen Arbeiterpartei SPD, deren Protagonisten sich mit Konvertiteneifer die Klischees des Geschlechterkampfes zu eigen gemacht haben (dazu ist bei Cuncti gerade ein Buch von Klaus Funken erschienen: Zum 150sten keine Festschrift. Anmerkungen zur SPD heute).

Wenn der sozialdemokratische Justizminister Heiko Maas im Gleichklang mit der sozialdemokratischen Frauen- und Familienministerin Manuela Schwesig dem Gesetz zur Frauenquote in Aufsichtsräten „oberste Priorität“ einräumt, dann schieben beide erstaunlich selbstverständlich die Interessen einer kleinen Gruppe ohnehin schon Privilegierter in den Mittelpunkt ihrer Politik.

Weniger privilegierte Frauen hingegen werden durch die Rede vom „Gender Pay Gap“ abgespeist, die verbissen in der öffentlichen Debatte gehalten wird, obwohl ihre sachliche Haltlosigkeit vielfach belegt ist: Frauen, die wenig verdienen, erfahren, dass es ganz gewiss allein die Bevorzugung der Männer sei, unter der sie leiden.

Unterprivilegierte Männer wiederum erfahren, dass sie im Vergleich zu Frauen noch immer viel zu viele ungerechtfertigte Vorteile genießen.

Auch diese Diskussionen bleiben sorgfältig im Abstrakten und Allgemeinen – je mehr bei der Untersuchung des Verdienstes von Männern und Frauen auf den konkreten Kontext geachtet wird, desto mehr verschwindet bekanntlich der Eindruck einer Lohn-Diskriminierung von Frauen.

Problematisch ist vor allem, dass diese Form der Politik sich mit großer Entschlossenheit in öffentlichen Institutionen festbeißt. Ebenso abstrakt wie die Diskussion über das Gender Pay Gap bleiben beispielsweise die Klischees der „geschlechtergerechten Sprache“, deren Verwendung an manchen Universitäten verpflichtend und die für einige Dozenten (generisches Maskulinum) gar Bedingung dafür ist, studentische Arbeiten überhaupt anzunehmen. Soziale Gerechtigkeit wird nach dieser Vorstellung, so abstrakt wie nur möglich, durch die mechanische Manipulation grammatikalischer Regeln produziert.

Dieses Vorgehen wird nur Menschen einleuchten, deren alltägliche Wirklichkeit tatsächlich vorwiegend sprachlich verfasst ist und die gegenüber den meisten pragmatischen Handlungsnotwendigkeiten gleichgültig bleiben können. Auch die Plausibilität „geschlechtergerechter Sprache“ begrenzt sich damit weitgehend auf einige privilegierte Gruppen, die im Allgemeinen einen akademischen Hintergrund haben – und auch dort weitaus eher auf Sozial- und Geisteswissenschaftler als auf Naturwissenschaftler. Diese nämlich werden kaum der Illusion erliegen, Wirklichkeit ließe sich tatsächlich dadurch ändern, dass jedem zweiten Substantiv ein „_in“ angehängt wird.


Wie man linksrum nach rechts und rückwärts vorwärts fährt Nun aber lässt sich die Ablehnung biologischer Argumente in den Gender Studies besser verstehen. Anders als die Chemie oder die Physik tritt die Biologie in eine direkte Konkurrenz zu gendertheoretischen Erwägungen, weil eben auch sie systematisch Aussagen über die Bedingungen menschlichen Verhaltens trifft. Die Ablehnung begründet sich allerdings kaum auf dem Vorwurf der „Naturalisierung“ der Geschlechter – naturalisierende und generalisierende Äußerungen über Männer sind Gender-Theoretikerinnen schließlich in aller Regel kaum der Rede wert.

Allerdings stimme ich Crumar völlig zu, wenn er hier in den Kommentaren schreibt:
„Es geht nicht nur um den Feind namens 'Biologie', sondern der Genderismus ist m.E. inzwischen ein unverhohlenes Projekt zur GEGENAUFKLÄRUNG.“
Die Gegnerschaft zur Biologie ist nicht das wesentliche Anliegen dieses Projekts, sie ist aber symptomatisch. In dieser Ablehnung zeigt sich eher eine fatale politische Schwerpunktsetzung: eine Fixierung auf die Illusion beliebiger Formbarkeit menschlichen Verhaltens und auf abstrakte Ideale.

Diese Fixierung ist notwendig verbunden mit einer Gegnerschaft zu pragmatischen und evolutionären Überlegungen, die bestehende Strukturen nicht im hoffnungslosen Vergleich mit abstrakten Idealen abwerten, sondern deren Funktion und Grenzen untersuchen – die an konkreten Nachweisen der eigenen Positionen interessiert sind – und die auf dieser Basis auch konkrete Handlungsalternativen entwerfen können.

Es ist eine Fixierung in entschlossener Gegnerschaft zu evolutionären Modellen, seien sie nun biologisch, politisch oder soziologisch formuliert.

Gerade aber, weil es nicht allein um Biologie und auch nicht allein um Naturwissenschaft geht, ziehen Gegner dieser Fixierung die Grenzen an einer falschen Stelle, wenn sie einen Fakultätenstreit inszenieren und im Gegenzug gegen Sozial-und Geisteswissenschaften polemisieren. Ein Beispiel, eines von vielen möglichen, ist ein Text von Hadmut Danisch, in dem er einen Beitrag von Christoph Kucklick empfiehlt, zwischendurch aber kaum an sich halten kann.

Der Begriff „Diskurs"  ist ihm selbstverständlich ein „Begriff aus dem Reich des Geisteswissenschaftlergeschwätzes", er listet „Erkennungsmerkmale für Sozioschwätzer" auf und kritisiert Kucklick dafür, dass er „mittendrin aber auch mit diesem saudummen Gender-Geschwätz daher" käme. Ebenso wie andere Positionen, die Judith Butler gemeinsam mit Theodor Adorno oder der Einfachheit halber gleich mit der ganzen Soziologie als „Sozialkonstruktivismus" verdammen, zieht Danisch hier die Grenzen, die Gender-Theoretikerinnen kalkulierend setzen, einfach nur von der anderen Seite nach.

Tatsächlich läuft die Grenze nicht zwischen den Fakultäten, und eine überzeugende Position gegen gendertheoretische Positionen und ihre politische Verwendung lässt sich nur formulieren, wenn deutlich wird, dass es dort um etwas ganz anderes geht: um die Sicherung von Privilegien – um die Besetzung öffentlicher Debatten mit narzisstischen Positionen, in denen privilegierte Gruppen ihre internen Probleme zu Grundproblemen der Gesellschaft emporschreiben und hinaufschreien – um die Etablierung fester Freund-Feind-Strukturen  – und um die Verhinderung von Entwicklungen.

Dass die damit verbundene Politik umfassender Formbarkeitsillusionen feministisch daherkommt, ist allerdings nicht notwendig. Diese Orientierung hat ihren Grund wohl darin, dass feministische Positionen in aller Regel an eben die gesellschaftlichen Strukturen anknüpfen, die zu überwinden sie vorgeben – insbesondere an schroffe Gegenüberstellungen von Weiblichkeit und Männlichkeit und an stillschweigend reproduzierte Erwartungen an männliche Versorgungsleistungen.

Würde der Maskulismus eine bessere Möglichkeit bieten, eine reaktionäre Politik der Privilegiensicherung als progressiv verkaufen zu können, dann würden sich die Parteien der bürgerlichen Linken vermutlich innerhalb von kurzer Zeit in maskulistische Parteien verwandeln.

Was allerdings nicht bedeutet, dass das ein vernünftiges politisches Ziel wäre.




(1) John Dewey: Erfahrung und Natur, Frankfurt am Main 1995, S. 100



Dieser Text ist der zweite Teil eines längeren Textes. der erste Teil ist dies: Wie man die Biologie abschafft, die Evolution blockiert und nebenbei die ideale Gesellschaft baut

Die Piraten entern sich selbst und spielen Schiffeversenken

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Mein Vater war am Ende des Zweiten Weltkriegs ein kleines Kind. Seine Großmutter war mit ihm aus Schlesien geflohen, und im März 1945, nach vielen Stationen und vor vielen anderen, kamen beide auch nach Dresden.

Wären sie einen Monat vorher angekommen, dann hätten sie womöglich auch zu den Opfern des Bombenangriffs auf die Stadt gehört. Im März 1945 aber – das erzählte er uns viel später – war mein Vater beeindruckt von den vielen Trümmern, die sie sahen, als sie durch die zerstörte Stadt gingen. Er kann sich noch heute an seinen staunenden Unglauben erinnern, als seine Oma ihm erzählte, dass hier auch viele Kinder getötet worden seien – dass der Krieg sich auch direkt gegen Kinder richtet, konnte er, selber Kind, nicht begreifen.

Wenn heute eine Frau, die Berliner Bezirksverordnete für die Piratenpartie ist und auf Platz 5 der Lise für die Europawahl kandidiert,  ihre blanken Brüste in die Kamera hält, um dem Verantwortlichen für den Bombenangriff zu danken– dann ist das ist gleich auf ganz verschiedenen Ebenen eine verrückt schamlose Aktion. Ob denn wohl auf die Frauen mit nackten Brüsten bald Männer mit entblößten Penissen folgen würden, fragt ein Kommentator unter einem der wohl besten Artikel zu dieser Aktion. Ich finde es durchaus schmerzhaft, mich in dieses Szenario hineinzuversetzen. 
Ein Kommentar der PARTEI zu Anne Helms Dank für die Luftangriffe auf Dresden.
Dass Anne Helm ihre Femen-Aktion mittlerweile ungeschehen machen möchte, kann ich mir also gut vorstellen. Was ich mir nicht vorstellen kann, ist, warum sie nicht schon vorher mal auf die Idee gekommen war, dass ihr „Thanks Bomber Harris“-Spruch sich nicht in erster Linie gegen Nazis richtet, die das Gedenken an die Dresdner Opfer für ihre eigene Gewaltverliebtheit funktionalisieren, sondern gegen die zivilen Opfer.

Denn es ist ja keineswegs so, dass sie sich lediglich für die Befreiung von der Nazi-Herrschaft gedankt hätte. Wer den Krieg gegen Nazi-Deutschland richtet findet, kann trotzdem die Bombardierung Dresdens ablehnen. Wer Bomber Harris dankt, kann das nicht. Also geht es bei Helm natürlich nicht allein um Dank für die Befreiung vom Nationalsozialismus.

Noch interessanter finde ich die Frage, wie es möglich ist, dass eine vor noch nicht allzu langer Zeit sehr erfolgreiche politische Organisation, die Piraten-Partei, eine solch bekloppte Aktion ihrer Europa-Kandidatin Helm akzeptiert und verteidigt, ohne dass die Parteiverantwortlichen sich für diese Parteischädigung weiter interessieren würden.


Asterix bei den PiratenHadmut Danisch hat einmal geschrieben, die Piraten hätten nicht einmal Elfmeter hätten versemmelt, sondern Bälle, die ihnen drei Meter vor dem Tor frei vor den Füßen gelegen hätten. Die gigantische NSA-Affäre, das Vorgehen gegen Assange, die Vorratsdatenspeicherung, aber eben auch die Entwicklung politischer Debatten im Netz, vorbei an den etablierten und filternden Strukturen der Massenmedien und der Parteipolitik – sollte es tatsächlich eine heimlich steuernde Instanz des Weltgeschehens geben, sei es nun der Weltgeist oder das fliegende Spaghettimonster, dann hatte diese Instanz vermutlich die Absicht, die Piraten in das Kanzleramt zu tragen.

Das aber haben die Piraten selbst wirkungsvoll verhindern können. Sie haben sichere Chancen tatsächlich nicht einmal vergeben, sie haben gar nicht erst geschossen, sich überhaupt nicht weiter für den Ball interessiert, sondern sind stattdessen wieder und wieder in den eigenen Strafraum gelaufen, um dort den eigenen Torwart umzusäbeln.

Oder, um bei der Bildlichkeit der Partei zu bleiben: Sie haben sich benommen wie die Piraten in den Asterix-Comics, die routiniert und prophylaktisch ihr eigenen Schiff versenken, nur um nicht Gefahr zu laufen, von den Galliern versenkt zu werden.

Da die Piraten wohl politisch tot sind, ist deren Schicksal – das tragisch nur für diejenigen ist, die für die Partei seit Jahren idealistisch gearbeitet haben – an sich nicht weiter interessant. Interessant aber ist die Frage, wie es funktioniert, dass eine ehemals erfolgreiche, ehemals pragmatisch und unideologisch agierende, ehemals mutige Partei sich in so ungeheuer kurzer Zeit zu einem verschüchterten Haufen entwickeln konnte, der den aggressiven Aktionen weniger Egomanen hilflos zuschaut. Die Antworten könnten auch für andere politische Bereiche interessant sein.
 
 
Muss ich eigentlich solidarisch sein mit denen, die mich bekämpfen? Einerseits kann es sich die Mehrheit der Piraten offenbar nicht vorstellen, dass politisch extreme Aktionen sich weniger gegen Nazis oder andere Demokratiefeinde richten als gegen die zivile Mehrheit der eigenen Partei.
 
Das Hissen von Antifa-Bannern durch den Berliner Fraktionsvorsitzenden Oliver Höfinghoff auf dem Podium des Parteitags in Bochum, offenbar begleitet von Gewaltdrohungen gegen Piraten, die dieses Banner nicht wollten – die wiederholten bekloppten Grenzverletzungen Julia Schramms, einer engen Vertrauten des Parteivorsitzenden, die mal gegen eine „Penisliste“ wettert, mal das Recht auf Abtreibung bis zum neunten Monat fordert – die Titten-und-Bomben-Aktion Anne Helms – die Antifa-Piraten treten moderatere Piraten gezielt aus dem ohnehin kleiner werdenden Fokus des öffentlichen Interesses heraus, und das vordringliche Problem dieser Moderaten angesichts dieses Verhaltens scheint lediglich zu sein, dass sie nicht wissen, ob sie sich damit eigentlich solidarisch erklären sollen oder nicht.

Der Landesvorstand in Berlin jedenfalls gibt in einer satirischen, aber ernst gemeinten Erklärung zu Helms Dankesgrüßen der CDU die Schuld an allen Schwierigkeiten und beklagt sich bitter über den Sexismus von Zeitungen, Oben-Ohne-Fotos von Helm zu veröffentlichten, die Helm hatte produzieren lassen, damit Zeitungen sie veröffentlichen. Die Piratenpartei insgesamt hatte sich schon zuvor in einer satirisch gemeinten, aber plötzlich ernst gewordenen Mitteilung über den ersten Tag der Luftangriffe auf Dresden lustig gemacht.

Auch der Kommentator ReVolte hat hier festgestellt, dass es an einer effektivem Gegendruck gegen solche betonschädligen Einseitigkeiten fehlt. Das allerdings ist ein klassisches Problem für Gruppen, die – was ja richtig und nötig ist – politische Gewalt ablehnen. Es ist schließlich tatsächlich wichtig, aber nicht einfach,  zivile, nicht-gewalttätige Strategien gegen politische Gewalt und gewaltverliebte Statements zu finden.
 
Zudem sind die Antifa-Piraten zwar selbst aggressiv, reagieren aber äußerst sensibel, wenn sich jemand ihren Zielen in den Weg stellt. Der „Orgastreik“, der die Infrastruktur der Piraten kurz lahmlegte, war ja tatsächlich nur ein sehr kurzer Piraten-Warnstreik aus Protest gegen die destruktiven Selbstinszenierungen politscher Egomanen – gleichwohl sahen Höfinghoff und andere ihre demokratische Rechte sogleich tief verletzt. Was würde wohl erst bei einem effektiven Streik passieren, der nicht beendet wird, bevor nicht die Verantwortlichen für parteischädigendes Verhalten gegangen sind?

Besonders unübersichtlich wird die Situation zudem dadurch, dass die gewaltverliebten Antifa-Piraten Gruppen zum Feind haben, die tatsächlich enorm abstoßend agieren. Wenn ich lese, welche Bedrohungen Anne Helm von Nazis zugeschickt bekommen hat,  dann habe ich auch das Gefühl, dass der Schutz ihrer Person Vorrang haben muss vor der Kritik ihrer Aktion. Das ist natürlich nur halb richtig: Ganz gewiss muss sie als Person geschützt werden, aber das macht ihre Aktion nicht weniger kritikwürdig.
 
Wer sich nur noch auf die gegenseitige Feindschaft von – bei aller Kritik an der Antifa: sehr unterschiedlichen – extremen politischen Gruppen konzentriert, der schiebt die moderat und zivil agierende Mehrheit in beständige Solidarisierungszwänge und erschwert es ihr damit erheblich, offen und ungehindert für die eigenen Positionen zu werben. Dazu asemann:
„Und darum war es kontraproduktiv mit dem Spruch 'Thank you Bomber Harris' dieses richtige, empathische Empfinden der Menschen ebenso anzugreifen wie die Neonazis, die damit getroffen werden sollten.“ 
Wer mit der Gewalt flirtet, egal aus welchen Gründen, der nützt den notorisch gewaltbesoffenen Nazis eher, als dass er sie bekämpft.

Oliver Höfinghoff hat bei der Einweihung seines Kreuzberger Büros eine Rede gehalten, in der er revolutionäre Positionen im kopierten Duktus eines DDR-Apparatschiks formuliert. Eine Pseudo-Ironie – er verkauft seine Parolen als Spiel, während zugleich jederzeit deutlich wird, dass er von ihnen jenseits aller Ironie und allen Spieles überzeugt ist. Dass Höfinghoff tatsächlich für linken Autoritarismus schwärmt, können nur die bezweifeln, die es unbedingt bezweifeln wollen.

Wie kann so etwas erfolgreich sein in einer Partei, die einmal besonderen Wert auf offene Diskussionen, auf uneingeschränkte Beteiligung aller Interessierten gelegt hat?


Was alles passieren kann, wenn man vom Computer aufsteht Ein Grund ist möglicherweise der, dass das formale Ideal der offenen Diskussion nicht ausreicht, sondern dass es auch so etwas Konservatives und Biederes wie einen gemeinsamen Wertekanon braucht, der die offene Diskussion schützt vor Akteuren, die sie für Partikularinteressen kapern.
 
Eine ganz vorsichtige, sehr kleine Versicherung solcher gemeinsamer Werte waren in der Männerbewegung beispielsweise die Blogparaden: So allgemein und bruchstückhaft die Gemeinsamkeit der Solidarität mit Homosexuellen und des Zweifels an festgelegten Geschlechterrollen war, so war diese Gemeinsamkeit doch ein Zeichen gegen Positionen, deren Vertreter sonst ihrerseits bereitwillig Andersdenkende des Gespräches verweisen – ein zumindest kleines Zeichen gegen Schwulenfeinde und gegen Vertreter zementierter Geschlechterbilder.

Die Bereitschaft, sich zu wehren und die offene Debatte zu verteidigen gegen diejenigen, die diese Offenheit dazu missbrauchen, ihrerseits Ausschlüsse Andersdenkender zu organisieren – diese Bereitschaft hat den Piraten offenbar gefehlt.
 
Eine zweite Bedingung für die Selbstversenkung der Piraten ist aber möglicherweise noch wichtiger. Die Diskussion im Internet ist wichtig, um sich unabhängig machen zu können von etablierten Institutionen und Parteien. Die Gemeinschaft, die dadurch entsteht, ist aber fragil und begrenzt.
 
„Preaching to the choir“– im Internet werden vorwiegend diejenigen erreicht, die ohnehin schon aufmerksam, interessiert oder vielleicht auch überzeugt sind. Das Internet kann ein enorm wichtiges Hilfsmittel sein – aber wer auf Dauer erfolgreich sein und seine Position nicht nur jeweils Gleichgesinnten oder Fast-Gleichgesinnten vortragen möchte, wer also seine Position im Austausch mit Gleichgültigen oder Menschen ganz anderer Meinung überprüfen will, dem wird dies kaum allein im Netz gelingen.

Wie gewinnen wir – und zwar auf zivile, gewaltlose Weise – die Aufmerksamkeit derer, die noch nicht aufmerksam sind? Auf diese Frage haben die Innovationen der Piraten-Partei, die eine offene Diskussion im Netz ermöglichen sollten, nie eine Antwort gegeben. Dadurch fehlte der Partei aber gewissermaßen die Erdung, oder, um im Bild zu bleiben, der Landgang – die Konfrontation damit, wie man selbst aus der Perspektive derer gesehen wird, die vieles ganz anders wahrnehmen, interpretieren und für wichtig halten als man selbst.

Das zeigt sich auch noch an der Aktion Helms, die zwar immerhin – wenn auch für eine idiotische politische Aktion – ihren Computer verlassen hat, die aber offenkundig in ihrer eigenen Filterbubble befangen und vielleicht tatsächlich nicht auf die naheliegende Idee gekommen war, dass der Spruch „Thanks Bomber Harris“ nicht nur eine Provokation für Nazis, sondern auch eine ernsthafte Verletzung vieler anderer sein könnte.


Die Selbstversenkung der Piraten ist, auch wenn damit möglicherweise eine wichtige Variante der Partiepolitik verlorengeht, natürlich schon längst keine Tragödie mehr, sondern eine Farce. Das bedeutet jedoch nicht, dass daraus niemand etwas lernen könnte.


 

Mütterliche Väter, beschämte Jungen und ungedeckte Schecks (Monatsrückblick Februar 2014)

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Der Februar war ein Monat der Selbstzerlegungen. Alice Schwarzers Steuerhinterziehungen hätten ihr möglicherweise weniger geschadet, wenn sie sich nicht nach deren Aufdeckung als Opfer politischer Verfolgung präsentiert hätte, das zur Sicherheit Geld in der Schweiz deponiert habe – und wenn sie sich nicht ihrerseits so ausdauernd aus öffentlichen Kassen bedient hätte. 

Die Piraten sind weiterhin intensiv und begeistert damit beschäftigt, sich selbst zu versenken. Anne Helms Femen-Pose des Danks für die Zerstörung Dresdens konnte beitragen zu einer Frage, die auf Alles Evolution diskutiert wurde: ob nämlich feministische Aktionen in ihrer Überzogenheit – dem Aufschrei-Hype, den Brust-statt-Hirn-Aktionen der Femen, den Professorinnen in Leipzig – zu Pyrrhussiegen und feministische Klischees schließlich als lächerlich präsentieren würden.

Wie im Fußball ist es allerdings wohl auch in der Geschlechterpolitik keine überzeugende Taktik, bloß auf Eigentore des Gegners zu warten – wenn nicht klare und bessere Alternativen erarbeitet werden, dann werden wohl auch betonfeministische Aktionen am Rande der Selbstdestruktion oder der Lächerlichkeit keine ernsthaften Folgen haben.
 
In diesem Monat erschienen dazu gleich zwei Bücher von Arne Hoffmann: Not am Mann, die schlankere und pointiertere Version seines Textes Plädoyer für eine linke Männerpolitik. Der Wunsch, eine linke Männerpolitik etablieren zu können, motiviert wohl auch Klaus Funkens Buch über den Niedergang der SPD in den vergangenen Jahrzehnten, Zum 150sten keine Festschrift, das in elektronischer Version und als Taschenbuch erschienen ist.
Ohne die massiven Veränderungen der Geschlechterrollen in den vergangenen Jahrzehnten würden wir jetzt vermutlich alle so zu Hause herumsitzen. (Quelle)
Die zweite männerrechtliche Blogparade, „Geschlechterrollen", hat zudem aus den unterschiedlichen Perspektiven der Blogger ein stimmiges Gesamtbild zu einem der zentralen Themen von Geschlechterdebatten präsentiert. Es lohnt sich, in der Monatsrückschau auf dieses Gesamtbild zu konzentrieren – und auf die Frage, warum die erarbeiteten Positionen, auch wenn sie überzeugend sind, noch nicht ausreichen.


Wie man Geschlechterrollen zementiert und das „emanzipatorisch" nennt Hinrich Rosenbrock hatte es immer schon gewusst: Die Männerrechtsbewegung ist auf den „modernen Geschlechterdualismus“ fixiert.
„Er gilt als biologisch gegeben und somit als soziale (Zwangs-)Norm, die durchzusetzen ist.“ (S. 15)
Diese Fixierung Rosenbrocks und der grünen Partei, die Rosenbrocks Klischees von den „antiemanzipatorischen Männerrechtlern“ und ihrer Sehnsucht nach der guten alten Zeit auf Kosten der Steuerzahler unter die Menschen bringt, wurde in der Blogparade des Monats Februar nur ein Mal ausdrücklich angesprochen. Unterschwellig war sie aber Thema in allen Beiträgen, die aus ganz verschiedenen Perspektiven zwei grundlegende Fehler des Ressentiments von Rosenbrock und anderen vorführten.
 
Falsch ist die Vorstellung, es ginge Männerrechtlern um die Durchsetzung von Zwangsnormen und um die Wiederbelebung antiquierter Geschlechterrollen – falsch ist aber auch die Vorstellung, Feminismus, Gender-Theorien und die institutionalisierte Geschlechterpolitik seien emanzipatorisch an der Durchsetzung individueller Rechte und die Etablierung neuer, offener Geschlechtermodelle interessiert.

Ausdrücklich gegen Rosenbrock macht Kai im Frontberichterstatter-Blog deutlich, dass Männerrechtler eben nicht gegen die Veränderungen von Geschlechterrollen, sondern gegen die Blockade von Veränderungen protestieren. 
„Männer, die Rechte und Privilegien abgegeben haben, die bereit waren sich an neue und gerechteren Modelle anzupassen, selbst wenn sie dabei verlieren, haben wenig bis keine neuen Möglichkeiten. Für sie wurden keine neuen Rollen geöffnet. Sie haben die Wahl zwischen der Rolle des Ernährers und Familienvaters, der Rolle des Unterhaltszahlers und, wenn Mutter das möchte, des Besuchsvaters. Selbst der Hausmann und somit mütterliche Vater kann nur dann existieren, wenn die Frau das möchte, wenn sie bereit ist Vollzeit arbeiten zu gehen. Wenn sie das nicht möchte, muss der mütterliche Vater, spätestens nach der Scheidung, arbeiten gehen um den Unterhalt ranzuschaffen."
Bedingung für die Aufhebung dieser Blockade sei, die Mutterschaft gegenüber der Vaterschaft nicht weiter zu privilegieren – und das Bedürfnis danach hätten Männer keineswegs erst angeregt durch den Feminismus entwickelt.
„Mein Vater war ein mütterlicher Vater, meine beiden Großväter, soweit ich den Erzählungen meiner Eltern entnehme, waren es auch. Sie wechselten die Windel, versorgten die Kinder oder erzählten ihnen stundenlang Geschichten, bastelten und spielten mit ihnen. Es gab nur noch nicht die offizielle Rolle für sie, oder einfach die Anerkennung in der Gesellschaft, unter anderem, weil Menschen die andere noch in Stereotypen aus Zeiten von Rousseau einteilen, wie Herr Rosenbrock, dieses bis heute verhindert haben!"
Es sind also gerade Akteure wie Rosenbrock und die politischen Gruppen, für die er spricht, die sich humaneren Veränderungen von Geschlechtererwartungen entgegenstellen.
 
 
Die Freiheitsversprechen genderfeministischer Positionen sind auch für Christian Schmidt, den Initiator der Blogparaden, fragwürdig. Diese Positionen, so schreibt er in seinem Beitrag auf Alles Evolution,  würden möglicherweise Angehörige weniger Minderheiten unterstützen, dies aber um den Preis tun, die Vorstellungen einer Mehrheit der Menschen erheblich abzuwerten – die propagierte „Befreiung“ von den „traditionellen Geschlechterrollen“ sei also nur eine Freiheit für wenige.

Diese exklusive Zuteilung und willkürliche Verweigerung von Freiheiten basiere auf einer falschen Alternative:
„Entweder man unterdrückt/fügt sich dem Druck und lebt die Geschlechterrollen und muss dann nach dieser Meinung die mit dem abweichenden Verhalten einschränken oder man stellt sich außerhalb dieser Regeln und muss dann gegen die Unterdrücker ankämpfen.“
Christian macht auf eine naheliegende weitere Möglichkeit aufmerksam: Er zeigt, dass sich „Häufungen“ bestimmter Verhaltensweisen herausbilden, dass es demnach durchaus sinnvoll ist, von „Normalität“ zu sprechen und diesen Begriff nicht wieder und wieder als Verschleierung von Herrschaftswillen zu entlarven. Er zeigt aber auch, dass diese Akzeptanz von Häufungen keineswegs zur Folge hat, dass abweichendes Verhalten diskreditiert werden müsse.

Wie bei Kai erscheint der Genderfeminismus hier eher als Blockade denn als Motor von Veränderungen: Da er Geschlechter klischeehaft als Reproduktion – hegemonial männlicher – Herrschaftsstrukturen interpretiere und das Interesse an Frauen an der Aufrechterhaltung bestehender Strukturen leugne, könne
„ein humanistisches Projekt (…) mit genderfeministischen Theorien nicht umgesetzt werden“.
 
Ganz in diesem Sinn versteht auch man.in.th.middle Geschlechterrollen bei Maskulismus fürAnfänger nicht als einseitige, herrschaftsstabilisierende Dekrete, sondern als „Ergebnisse von Aushandlungsprozessen“, und er stellt fest:
„Sowohl bei den Frauen wie bei den Männern können wir eine auffällige Diskrepanz feststellen zwischen den tatsächlichen Verhaltensänderungen und deren öffentlicher Darstellung, die in den Medien und der Politik konstruiert wird.“
Die Rede vom Veränderungswillen der Frauen und der Blockadehaltung der Männer ist, wie er an vielen Beispielen zeigt, eher ein mediales Konstrukt und Ausdruck politischer Interessen als eine akkurate Wiedergabe der Realität. Die Politik der „Gleichstellung“ steht dabei als blinde, rückwärtsgewandte Reaktion auf Zumutungen der Moderne da:
„Übersehen wird beim Durchschnittsmodell, daß unsere Wohlstandsgesellschaft nur möglich wurde, weil die Arbeitseffizienz durch Arbeitsteilung und Spezialisierung erheblich gegenüber der handwerklichen, vorindustriellen Gesellschaft gesteigert werden konnte.“
 
Wie Aushandlungen zwischen Männern und Frauen aussehen können, zeigt Martin Domig in seinem Flussfänger-Beitrag über seine Väterkarenz. Er berichtet über seinen Ärger angesichts der Vorstellung, als Mann könne er sich keinen Begriff von den Schwierigkeiten der Kinderversorgung machen – als ob
„der Arbeitsalltag im Betrieb im Gegensatz zur Kinderbetreuung zu Hause ja wohl das reinste Zuckerschlecken wäre.“
Er zeigt, wie seine Frau nach der Rückkehr in den Beruf „das, was ich zuvor erlebt, aber nie angesprochen hatte“, nun ihrerseits erlebt – den Arbeitsalltag nach schlafloser Nacht, die Betreuung der Kinder nach einem langen Arbeitstag, zudem die Einsicht, dass das Berufsleben aus der Sicht der häuslichen Arbeit leicht idealisiert werde.
„Am Ende lernten wir beide zu schätzen, was der jeweils andere den ganzen Tag für die Familie leistet und kennen die jeweils andere Welt.“
Auch diese Einsicht versperrt ein Feminismus, der die Welt von Männern immer schon zu kennen vorgibt und die Bereitschaft zur Perspektivübernahme stur nur eben diesen Männern, nicht aber Frauen abverlangt.
 
 
Zudem wird hier wie bei Tom klar, wie verkürzend und einseitig es ist, Geschlechterrollen routiniert als Ausdruck von Herrschaft zu interpretieren – ohne auf die pragmatischen Funktionen zu achten, die sie erfüllen.
„An einem Tag mache ich so mindestens 3-6 Rollenwechsel mit“,
schreibt Tom bei Mein Senf, und er bezieht dies ausdrücklich nicht allein auf Geschlechterrollen. Er erzählt davon, wie die Pläne von seiner Frau und ihm, dass sie ein Jahr nach der Geburt der Tochter in Teilzeit wieder arbeiten würde, an Bedingungen der Arbeit zerschellten und dann doch mit Zeitverzögerung realisiert werden konnten.
 
Die klassische Rollenverteilung wird hier wie im Beitrag des Wortschrank-Blogs weder idealisiert noch verdammt, sondern mit pragmatischen Funktionen in Zusammenhang gebracht.
„Rollenbilder resultieren (…) auch aus den Ansprüchen, die eine Tätigkeit an sie hat und diese Ansprüche wiederum erklären die alte, klassische Rollenverteilung“,
schreibt dort der Autor.

Gerade weil aber Rollen an Funktionen gebunden seien, sei eine größere Offenheit möglich geworden:
„Nun hat sich unsere Gesellschaft aber in solchem Maße technologisiert, optimiert und organisiert, dass viele der oben erwähnten Eigenschaften für unseren Arterhalt obsolet geworden sind.“
Wenn Menschen in klassischen Mustern leben wollten, sollten sie die Möglichkeit haben – nicht das Aufbrechen traditioneller Muster sollte das Ziel eines humanistischen Maskulismus oder Feminismus sein, „sondern das Tolerieren sämtlicher selbst gewählter, ja selbst gefundenen Rollenbilder“.


Wie man ganz unterschiedliche Jungen drangsaliert Wie destruktiv die Folgen sind, wenn diese Toleranz nicht gewährt wird, zeigen zwei ganz unterschiedliche Beispiele. Adrian erzählt auf Gay West von einem elfjährigen Jungen in North-Carolina, der versucht hatte, Selbstmord zu begehen.
„Der an ADHD leidende Schüler wurde in der Schule von anderen aufgezogen weil er Fan der Animationsserie ‚My little pony‘ ist, Mitschüler bezeichneten ihn als ‚schwul'. In seinem Zimmer erhängte er sich an seinem Etagenbett.“
Adrian selbst war ebenfalls, wie er erzählt, My Little Pony-Fan, auch wenn das Pony, das ihm seine Eltern als Spielzeug kauften, mittlerweile verloren gegangen sei.
„Woran ich mich allerdings noch sehr gut erinnere ist, dass ich intuitiv wusste, dass mein Wunsch nach diesem Spielzeug nicht ‚normal‘ ist.“
Er hat von seiner Begeisterung für das Pony offenbar kaum jemandem erzählt – der Junge in North-Carolina sei also vielleicht mutiger gewesen als er selbst damals.
„Oder aber, es war ihm nicht bewusst, dass er in einer Gesellschaft lebt, die fein säuberlich zwischen dem unterscheidet, was sich für Jungen (Männern) und Mädchen (Frauen) gehört und was nicht. Und das die Überschreitung solcher Regeln soziale Konsequenzen zur Folge hat.“
 
Ebenfalls mit gezielten Beschämungen arbeitet ein pädagogisches Projekt, dass ich hier auf man tauvorgestellt habe: die Nice Guys Engine, die – finanziert aus öffentlichen Mitteln – in Schulklassen gezielt den Eindruck vermittelt, Jungen seien gewalttätig, unsensibel, geil, eben insgesamt ungenügend. Die Nette-Jungs-Maschine hält allerdings glücklicherweise auch ein Rezept bereit, um aus diesen prinzipiell misslungen wirkenden Gestalten doch noch akzeptable Menschen zu machen – indem sie sich nämlich an den Wünschen orientierten, die Mädchen an sie haben. Es ist nicht weiter verwunderlich, dass diese Wünsche selbstverständlich weitgehend die Wünsche der erwachsenen Produzentinnen der Nice Guys Engine sind.

Darauf, dass Verhärtungen in der Interpretation von Geschlechterrollen in beide Richtungen – gegen Abweichungen UND gegen Bestätigungen von traditionellen Vorstellungen – möglich sind, macht auch Arne Hoffmann auf Genderama aufmerksam.
„Auf der einen Seite wird ein Junge so sehr ausgegrenzt, weil er die Fernsehserie My Little Pony mag, dass er schließlich versucht, sich umzubringen. Am anderen Extrempunkt will ein feministischer Skandalverein wie Dissens, der später ins ‚Bundesforum Männer‘ übergegangen ist, einem Jungen, dessen Männlichkeitskonzept Dissens-Mitarbeitern nicht passte, weismachen, er wäre in Wirklichkeit gar kein richtiger Junge, sondern tue nur so und besäße in Wirklichkeit eine Scheide. Selbsterklärtes Ziel der Dissens-Ideologen war die ‚Zerstörung von Identitäten‘. (…)  
In beiden genannten Fällen wurden Jungen drangsaliert, weil sie sich nicht bereitwillig in die von anderen vorgegebenen Raster von Männlichkeit gefügig hineinrammen lassen.“
Arne Hoffmann greift auf dieselbe Bildlichkeit zurück wie Kai, der ironisch beklagt, dass wir unsere „Payback-Karten vergessen“ hätten – in den Geschlechterdebatten würde „mit ungedeckten Schecks ‚Männlichkeit‘ verkauft“. Dahinter steht nicht allein die Frage, was denn eigentlich für Männer bei diesen Debatten herausspringe – wesentlicher noch geht es hier um die Vorstellung vieler Beiträge der Blogparade, das diese Debatten eigentlich Aushandlungsprozesse sein sollten, an denen grundsätzlich alle Seiten beteiligt sind.
 
Anstatt aber die Debatten zu öffnen, haben feministische Denk-Klischees wie die Fixierung auf eine „patriarchale Herrschaft“ sie geschlossen und einseitig gemacht. Arne Hoffmann:
„Die vielen Forderungen an die neuen Männer sind bei Licht betrachtet eine Fortschreibung der alten Verhältnisse, mit ein wenig neuer Tünche“
– die Position des Mannes als Versorger der Frau, die dysfunktional geworden ist, wird gleichwohl aufrecht erhalten und wieder und wieder mit der Idee legitimiert, dass Diskriminierungen von Frauen unter der Männerherrschaft besonderen Schutz und Ausgleich notwendig machen würden.


Raus aus der Filterbubble und ran an die Windmühlen? In den Blogs der liberalen Männerbewegung, von denen immer wieder neue dazukommen, nun auch ein Gemeinschaftsblog, bzw. ältere reaktiviert werden, entwickelt sich etwas, was für die Filterbubble eigentlich zu schade ist. Bücher wie Not am Mann sind gewiss ein wichtiges Instrument, um die Bubble zu verlassen. Einflussreich werden auch solche Bücher aber wohl nur, wenn Männer männerpolitisch auch außerhalb des Internets aktiver werden.

Auch die Bedeutung von Institutionen ist dabei wichtig – in Geschlechterdebatten stehen ein paar Freizeitaktivisten einer großzügig aus Steuermitteln finanzierten Institutionenlandschaft gegenüber und können so leicht als verbissene Kämpfer gegen Windmühlen lächerlich gemacht werden. Männerpolitische Institutionen werden entweder, wie MANNdat, von ehrenamtlichen Mitarbeitern getragen, oder sie werden, wie das Bundesforum Männer, zwar recht großzügig finanziert, sind aber männerpolitisch nicht aktiv.

Das, zum Beispiel, wird von Männern wohl viel zu selbstverständlich akzeptiert: Dass es eine offizielle Interessenvertretung „für Jungen, Männer und Väter“ gibt, dass diese Interessenvertretung sich aber systematisch allein für das Nichtstun bezahlen lässt – eine Alibi-Institution, deren Sinn gerade in ihrer Unsinnigkeit und Wirkungslosigkeit besteht. 
 
Das Bundesforum verschwendet damit immerhin nicht nur Steuergelder, sondern verweigert auch Jungen und Männern, die Hilfe gebrauchen könnten, den Beistand – um beflissen zu betonen, dass ihre Interessen „nicht gegen Gender und Feminismus" vertreten werden sollten. Vielleicht wäre es sinnvoll zu versuchen, die Mitglieder dieses Forums nachdrücklicher mit den Interessen von Jungen, Männern und Vätern zu belästigen.

 
Nicht nur angesichts der Blogparade habe ich jedenfalls den Eindruck, dass wir grundsätzlich gute Antworten haben – jetzt müssen wir noch deutlich machen, dass die dazugehörigen Fragen überhaupt wichtig sind.
 

Von Monstern und Papageien - Die EU-Studie zur Gewalt gegen Frauen

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„Es sind erschreckende Einblicke in die Lebenswirklichkeit von Frauen in Europa.“ So beginnt Benjamin Knaack bei Spiegel-Online seinen Bericht über die EU-Studie Gewalt gegen Frauen: eine europaweite Erhebung“. Da das möglicherweise noch nicht deutlich genug war, schreibt er im Text weiter, dass die Studie „erschreckende Ergebnisse“ liefere und „einen detaillierten und erschreckenden Einblick in die Gewalterfahrungen von Frauen“ biete.
„Das enorme Ausmaß des Problems verdeutlicht, dass Gewalt gegen Frauen nicht nur wenige Frauen betrifft, sondern sich tagtäglich auf die gesamte Gesellschaft auswirkt",
zitiert er ohne unnötige journalistische Distanz den Verantwortlichen für die Studie, den Direktor der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) Morten Kjærum, der weiterhin klarstellt:
„Frauen sind nicht sicher auf den Straßen, am Arbeitsplatz und schlussendlich auch nicht zu Hause."

So illustriert die Tagesschau auf ihrer Webseiteöffentlich-rechtlich ihren Bericht zur FRA-Studie. Ein Beispiel von vielen möglichen.
Alexander Roslin allerdings kommentiert solche und ähnliche Texte so:
„Keine kritischen Nachfragen, einfaches affirmatives Abnicken und Weiterverbreiten der Demagogie (…).“
Martin Domig schreibt:
„Ich habe diese und ähnliche Meldungen jetzt oft genug gehört um mich ernsthaft zu fragen was daran gelogen ist, und warum diese Lüge so oft wiederholt wird.“ 
Und auch Wolle Pelz wirkt nicht angemessen erschrocken:
„Studien zur Gewalt gegen Frauen gibt es scheinbar jährlich. Gibt es solche Studien auch wegen männlichen Opfern von Gewalt?“
Was haben die bloß?


Umarmen, schubsen, erschießen Tatsächlich hat die Studie natürlich Schwächen, die so offenkundig sind, dass sie nur mit Mutwillen übersehen werden können.
„Was wieder mal geflissentlich verschwiegen wird ist die Tatsache, dass häusliche Gewalt keineswegs nur von Männern gegen Frauen stattfindet. Dass nur Frauen, aber keine Männer nach Gewalterfahrungen gefragt wurden. Dass eine ungewollte Umarmung gleich schlimm sein soll wie eine brutale Vergewaltigung, und dass durch diesen Kunstgriff die Opferzahl nach oben korrigiert wurde.“
So Martin Domig in seinem Beitrag auf dem Flussfänger-Blog.

Den hier verwendeten erweiterten Gewaltbegriff, der massiv gewalttätige Handlungsweisen und weit weniger problematisches Verhalten beliebig nebeneinanderstellt, hat beispielweise die französische Feministin Elisabeth Badinter  schon vor zehn Jahren als manipulativ und tendenziös kritisiert.
„Darf man eine Vergewaltigung und eine unfreundliche oder verletzende Bemerkung mit derselben Vokabel erfassen?“,
fragt sie in ihrem 2003 erschienenen Buch Die Wiederentdeckung der Gleichheit.

Für die Studie ist das kein Problem. Jede Frau, die an ihr teilnimmt, wird gefragt, ob sie seit ihrem fünfzehnten Lebensjahr „geschubst oder gestoßen“ wurde, „gepackt oder an den Haaren gezogen“ oder ob „Sie mit einem Messer verletzt oder auf Sie eingestochen, oder auf Sie geschossen“ wurde. (S. 18) Wenn sie hier  irgendwo mit „Ja“ antwortet, gilt sie als Gewaltopfer. Tom kommentiert:
„Wäre die Studie wirklich ehrlich ausgefüllt worden, bin ich mir sicher, dass 100% der Frauen in Europa Opfer von körperlicher und oder sexueller Gewalt sind. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand seit dem 15. Lebensjahr ungeschubst durch das Leben kommt. Was soll das?“ 
Allein bei Angaben zur sexuellen Gewalt – insbesondere bei der Feststellung, dass fünf Prozent aller europäischen Frauen nach ihrem 15. Lebensjahr Opfer einer Vergewaltigung werden (21) – verzichtet die Studie auf die Vermischung gravierender und weniger gravierender Erfahrungen.

Anders ist das wieder bei Fragen zu psychischer Gewalt, die offenbar in Deutschland ein besonderes Problem sei: Hat Ihr (Ex-)Partner „Sie der Untreue verdächtigt?“„Sie unter vier Augen herabgesetzt oder gedemütigt (…)?“– oder aber die Frau eingesperrt, ihr gedroht, Verwandte oder Freunde zu töten, ihr den Kontakt zur Familie genommen? (25)

Oder hat ein Mann die Frau gestalkt, nämlich: „Beleidigende Kommentare zu Ihrer Person im Internet veröffentlicht?“ (demnach wären, nebenbei bemerkt, annähernd sämtliche Jugendlichen beiderlei Geschlechts Stalkingopfer) – „auf Sie gewartet, ohne berechtigten Grund?“„Ihr Eigentum absichtlich sabotiert und zerstört?“ (28)

Wurde die Frau „unerwünscht berührt“– hat sie „unangemessene Einladungen zu einem Rendezvous“ erhalten – sich durch Kommentare zu ihrem Aussehen oder durch Witze „angegriffen/beleidigt“ gefühlt – oder hat sich jemand vor ihr „unsittlich (…) entblößt“? (30) Dann ist sie Opfer sexueller Belästigung.

Dieser beliebige Gewaltbegriff hat offenkundig vor allem das Ziel, besonders hohe Zahlen zu produzieren, indem – für Männer wie für Frauen – alltägliche Unannehmlichkeiten wie die Verdächtigung der Untreue oder dämliche Kommentare von Kollegen (generisches Maskulinum) mit ernsthaften Gewaltakten und Übergriffen weitgehend gleichrangig gewertet werden.


What about teh menz? - Allein die Frage ist schon Gewalt... Gestolpert bin ich vor allem über die Frage, ob der Partner der Frau als Akt „psychischer Gewalt“ gedroht habe, ihr „die Kinder wegzunehmen“? Von wegen „gedroht", dachte ich – sie hat es einfach getan. Das ist der zweite massive und offenkundige Fehler der „Studie“ – nach den Erfahrungen von Männern wird überhaupt nicht gefragt. Arne Hoffmann kommentiert:
„Dieser Nonsens schafft es ganz automatisch auf die Titelseiten etlicher Tageszeitungen. Über Jahrzehnte hinweg von anerkannten Fachleuten durchgeführte seriöse Forschungen über beispielsweise häusliche Gewalt gegen Männer schaffen das nicht.“
Eine Liste von über 500 dieser Forschungsstudien ist bei Genderama verlinkt. 

Auch Wolle Pelz schreibt auf seinem Blog darüber, wie viele dieser Erfahrungen er als Mann schon gemacht hat, mit einer ehemaligen Partnerin. Ich selbst hätte auch in jedem der Kapitel eine oder mehrere Fragen mit „Ja“ ankreuzen können – wie Tom wundere ich mich weniger über den hohen Anteil der Gewaltopfer als darüber, dass dieser Anteil angesichts der Breite des Gewaltbegriffs überhaupt bei unter hundert Prozent liegt.

Welchen Sinn aber hat es, nur Frauen und nicht Männer nach Gewalterfahrungen zu befragen? Die Auskunft, dass nun einmal Frauen- und nicht Männererfahrungen das Thema gewesen seien, beantwortet die Frage nicht, sondern verschiebt sie nur – denn warum wurde das Thema so eingegrenzt?

Zwei mögliche Erklärungen gibt es dafür. Entweder wurden die Gewalterfahrungen von Männern für weniger wichtig gehalten als die von Frauen – oder die Verantwortlichen gingen von vornherein und gegen die Belege aus Hunderten anderer Studien davon aus, dass Gewalt weitgehend nur Frauen treffe und dass daher nur Gewalt gegen Frauen untersucht werden müsse.

Mit der ersten Erklärung wäre die Studie der Grundrechtsagentur unethisch, mit der zweiten wissenschaftlich unhaltbar.

Auf jeden Fall kann die Studie natürlich gar nicht das aussagen, was sie auszusagen vorgibt – dass es nämlich europaweit eine spezifisch frauenfeindliche Gewalt gäbe. Diese Aussage hätte überhaupt nur dann getroffen werden können, wenn die Gewalterfahrungen von Frauen und die Gewalterfahrungen von Männern auf seriöse Weise untersucht und dann auf seriöse Weise verglichen worden wären.

 
Papageien im Gleichschritt Weder die offensichtlich unhaltbare Anlage der Studie noch völlig unplausible Teilergebnisse sind in den Medien, die darüber berichten, Anlass für Kritik. Spiegel-Online:
„Die höchsten Gewaltraten gibt es in Dänemark (52 Prozent), Finnland (47 Prozent) und Schweden (46 Prozent).“
Dass ausgerechnet in den skandinavischen Musterländern feministischer Politik die Gewalt von Männern gegen Frauen besonders grassiert, ist keinem der Kommentatoren auch nur eine Nachfrage wert. Könnte es vielleicht sein, dass die beständige Wiederholung des Klischees vom männlichen Gewalttäter und weiblichen Opfer die Wahrnehmung vieler Menschen schließlich prägt? Dass also die der FRA-Studie zugrunde liegenden Klischees selbst erheblich zu den Ergebnissen beitragen, welche die Studie misst?

Diese naheliegende Frage stellen die Verantwortlichen der Studie natürlich nicht, wenn sie die gemessenen Unterschiede zwischen den Ländern zu erklären versuchen. (16) Gravierender womöglich ist, dass auch die berichtenden Medien solche Fragen nicht stellen.

Im Englischen gibt es den Begriff „parroting“– etwas nachplappern wie ein Papagei. Tatsächlich nicken die Medien hier die Vorgaben aus der politischen Ebene lediglich ab und reichen sie weiter, ohne auch nur auf den Gedanken zu kommen, dass ein Mindestmaß an kritischer Distanz eine journalistische Tugend sein könnte.

Das liegt sicher auch daran, dass die Studie gezielt wissenschaftliche Sachauskunft und moralisierenden Appell vermischt. Wenn es doch darum geht, Frauen vor der europaweiten Allgegenwart der Gewalt zu schützen, vor Schlägen, Terror und Vergewaltigung – wer kann es dann wagen, vernünftelnd an den Grundlagen dieser dringlichen Forderung herumzukritteln? Deutlich wird hier besonders ein Kommentar in der Frankfurter Rundschau:
„Die Verharmloser machen sich zu Helfern der Gewalttäter - indem sie die Opfer einschüchtern, entmutigen, zum Schweigen bringen. Härtere Strafen für Gewalttäter... sind das eine. Aber der Täter habhaft werden kann man erst, wenn die Opfer nicht mehr schweigen - und stattdessen die Verharmloser.“
Wie, bitteschön, sollen denn die Kritiker zum Schweigen gebracht werden? Und seit wann genau ist es eine journalistische Tugend, Kritik am Agieren politischen Institutionen zu verhindern?
 
Wie beunruhigend der Gleichschritt ist, mit dem die deutschen Massen- und, nunja, Qualitätsmedien die Ergebnisse der Studie weiter verbreiten, lässt sich sehr gut an den Bildern illustrieren, mit denen die Artikel und Webseiten zur Studie versehen sind. Diese Bilder nämlich sind von bemerkenswerter Ähnlichkeit.

Wieder und wieder wird eine Frau gezeigt, die klein im Bild zu sehen ist, sich in eine Ecke oder auf einen Sessel kauert und sich zu schützen versucht – und vor ihr riesenhaft im Bild die Hand eines Mannes, bedrohlich zur Faust geballt, vielleicht auch erhoben. Dasselbe Arrangement imSpiegel, im Stern, bei der Tagessschau und bei den Heute-Nachrichten  (beim Video Tabuthema: Gewalt gegen Frauen) bis hin zur Neuen Osnabrücker oder zur Mittelbayerischen Zeitung. Auf der Webseite des Senders ffh  ist, immerhin, ausnahmsweise auch einmal der Kopf des bedrohlichen Mannes zu sehen, wenn auch nur von hinten.

In der Wirkung der vereinheitlichten Bilderwelt ist nicht nur der Mann riesig und gewalttätig und die Frau schutzbedürftig – die Bilder zeigen auch allein die Frau als menschliches Wesen, während der Mann auf das reduziert ist, was ihr Gewalt antut: eine bildfüllende Faust, die wohl irgendwo auch an irgendeinem Körper hängt.

Noch etwas anderes ist bemerkenswert an der uniformen medialen Bilderwelt. Wer das Bild sieht, nimmt unwillkürlich die Perspektive des Mannes ein – bei der Wiener Presse ist sogar nur die Frau zu sehen, die sich verzweifelt gegen einen Angreifer zu wehren versucht, dessen Perspektive der Betrachter des Bildes ganz übernimmt.
 
Indem der Betrachter so in die Perspektive des Gewalttäters hineingezwungen wird, haben die Bilder einen enormen Appell-Charakter: Ein Mann müsse unbedingt bereit sein, die Frau vor der männlichen – und das heißt: vor seiner eigenen – Gewalt zu schützen. Auf diese Weise wird die Verantwortung für die Situation ganz auf den großen, aktiven, monströsen Mann geschoben, während die hilflose, passive Frau schlicht einen unbedingten Anspruch auf Beistand hat.
 
Eine Bildlichkeit von erheblicher Demagogie.
 
 
Angesichts der Anlage der Studie, die sich einseitig auf die Gewalterfahrungen der Angehörigen nur einer Gruppe fixiert und die dabei einen willkürlich erweiterten Gewaltbegriff verwendet, könnte beliebig jede gesellschaftliche Gruppe als Opfer der Gewalt einer anderen Gruppe präsentiert werden: auch Weiße als Opfer von Schwarzen, Deutsche als Opfer von Ausländern, Christen als Opfer von Moslems. Der Rassismus und die Fremdenfeindlichkeit einer solchen Studie allerdings würde vermutlich irgendjemandem in den etablierten Medien irgendwann einmal auffallen – und diese Medien würden sich wohl hüten, entsprechend rassistische Bilder zur Illustration ihrer Berichte zu verwenden.

Der offensichtliche Sexismus der Studie aber bleibt den Verantwortlichen in den Medien ebenso verborgen wie ihr eigener.

Josef und Nivea. Und eine Weihnachtsgeschichte.

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„Mit Blick auf das nahende Weihnachtsfest empfahl Franziskus seinen Mitarbeitern Josef als Vorbild. Dieser habe sich fürsorglich ‚um seine Braut und das Kind‘ gekümmert und dabei ‚still‘ an der Seite Marias gestanden.“
Ganz ähnlich wie von Papst Franziskus, aber mit ganz anderer Bewertung, wird Josef von Marcus Spicker im Kuckucksvaterblog beschrieben:
„Er, der sich um Maria und ihr Kind kümmerte, aber stets im Hintergrund stand und in der Bibel nie zu Wort kommt. (…) Er, dessen Geschichte sich nüchtern betrachtet am Anfang genauso liest, wie die unzähligen Geschichten von heutigen Scheinvätern.“
Josef, der berühmteste Kuckucksvater der Religionsgeschichte, habe aber nur deshalb so tolerant sein können,
„weil er von Anfang an Bescheid wusste über seine Nicht-Vaterschaft und er die Verantwortung für den Jungen auch tatsächlich, zumindest eine Zeit lang, übernehmen durfte. Letztendlich wurde er aber genauso entsorgt, wie unzählige andere Scheinväter heutzutage auch.“
Dass heutzutage auch unzählige reale Väter entsorgt werden, wird Josef keine große Hilfe sein. Julia Schramm schrieb 2012 in der FAZüber einen Mann, der auf vielen Bildnissen weit weg von seinem neugeborenen Sohn steht, weiter als selbst Ochse und Esel, und
„der Vater sein soll, ohne das Baby gezeugt zu haben. Nicht einmal in der Lage war er, für die Niederkunft seiner schwangeren Frau eine ordentliche Herberge zu organisieren.“
Josefs Zurückhaltung sei im Laufe der Jahrhunderte aber auch in eine Tugend uminterpretiert worden. Zur „Disziplinierungsfigur für die Männer nach dem Dreißigjährigen Krieg“ sei er geworden, der „ein vorbildliches Familien- und Arbeitsleben“ vorgeführt hätte. Zudem sei die „Schmach, dass seine Frau ihm ein fremdes Kind untergeschoben hat, (…) längst zum Ausdruck seiner Reinheit umgedeutet“ worden. Ein heutiger Pastor entdeckt in Josef gar einen idealen Mann:
„Er war kein Mensch der vielen Worte, der erst eine Planungskonferenz einberufen musste. Er hat angepackt und gemacht. Und er hat traumhaft genau das Richtige getan.“
Antonio Allegri, genannt Correggio: Die Heilige Nacht (etwa 1530) Vorne ein Hirt und Mägde, die das Kind anbeten, beleuchtet von dem Glanz, der von ihm und der Mutter ausgeht. Im Hintergrund kümmert sich Josef um den Esel.
In diesem Sinne ist Josef ein Traummann aller vaterentsorgenden Mütter: Er ist da, wenn er gebraucht wird, hält aber auch dann den Mund, drängt sich nicht in den Vordergrund, übernimmt Verantwortung für Frau und Kind, ohne dumme Fragen zu stellen, macht der Mutter beim Kind keine Konkurrenz – und wenn er nicht mehr benötigt wird, verschwindet er stillschweigend, ohne dass das noch eigens erwähnt werden müsste.



Josef als Vorbild und verschwindender Vater Tatsächlich hat die positive Deutung dieser Figur beunruhigende Aspekte. Dass Maria bei Jesu Geburt noch Jungfrau gewesen sei, dass ihr Mann womöglich gar mit ihr auch danach eine sexfreie Ehe – eben eine „Josefsehe“ – geführt habe, lässt die Frau eben deswegen als rein dastehen, weil sie niemals mit männlicher Sexualität in Berührung kam. Nicht nur Sexualität insgesamt, sondern insbesondere die männliche Sexualität erscheinen hier als schmutzig – und Josef wird es als Verdienst angerechnet, die Frau niemals mit diesem Schmutz in Berührung gebracht zu haben, obwohl er ihn doch nach dieser Logik in sich trug.

Bei einem kirchlichen Männertag, von dem Schaaf in ihrem Artikel berichtet, habe der Leiter eine kirchliche Litanei zu Ehen von Josef verteilt.
„‘Du gerechter Josef / Du keuscher Josef (…) Du gehorsamer Josef / Du getreuer Josef / Du Spiegel der Geduld / Du Freund der Armut (…) Du Zierde des häuslichen Lebens / Du Beschützer der Jungfrauen / Du Stütze der Familien / Du Trost der Bedrängten.‘ Und dann sitzen da knapp 35 erwachsene Christen im Stuhlkreis und fühlen sich nicht richtig angesprochen.“
Das ist kein Wunder – dieser Josef wird verehrt, weil er sich selbst so sehr zurücknimmt, dass er eigentlich gar nicht mehr existiert.

Irritierend ist dabei gerade die Selbstlosigkeit, mit der Josef nach den Geschichten biblischer Tradition für Frau und Kind da war.
„Jesus, das heilige Kuckuckskind, brauchte einen Menschen, der auf dieser Welt dafür sorgte, dass es in Sicherheit behütet aufwachsen konnte“,
schreibt Schaaf. Dass er nicht der eigentliche Vater gewesen sei, dass Jesus überhaupt keinen menschlichen Vater gehabt habe, fixiert das menschliche Verwandtschaftsverhältnis des Jungen ganz auf die Mutter. Warum eigentlich sollte das gut sein?

Auch Jesus hat Josef, soweit die Bibel vom Verhältnis beider berichtet, nicht gedankt. Als er als Zwölfjähriger bei einem Besuch Jerusalems verschwunden war, fanden ihn  Maria und Josef erst nach drei Tagen Suche im Tempel wieder, wo er angeregte Gespräche führte.
„Der Vater sagt, wie immer, wenn es darauf ankommt: nichts. Woraufhin der Sohn, typisch Vorpubertät, nichts Besseres zu tun hat, als dem Papa Salz in die Wunde seines Lebens zu reiben. Er erinnert ihn daran, dass er gar nicht sein richtiger Vater sei.“

Nivea verschmiert Häme zum Weihnachtsfest Pünktlich zum Weihnachtsfest hat die Firma Beiersdorfer für ihr Nivea-Sortiment das Motiv des vaterlosen Jungen für eine Werbekampagne verwendet und damit Entzücken, aber bei vielen Männern und einigen Frauen auch Empörung ausgelöst. Der Clip ist Bestandteil einer Reihe von Nivea-Werbespots, in deren Mittelpunkt eine alleinerziehende Mutter und ihr kleiner Sohn stehen


Zu Weihnachten ist der Onkel zu Besuch und hilft der Mama in der Küche. Beide schmücken den Weihnachtsbaum, der Junge blickt aus dem Fenster, sieht dort jemanden und erzählt aus dem Off: „Aber am allermeisten freue ich mich auf…“ Eine kleine Pause, man sieht den Kleinen freudig zur Tür rennen, dann kommen eine alte Frau und ein alter Mann herein, und er beendet seinen Satz: „…Oma und Opa.“

„Das schönste Geschenk ist die Familie. Nivea“ Dieser Satz wird schließlich über das Bild geblendet, das die Oma mit dem Jungen auf dem Arm zeigt.

Der Spot spielt gezielt mit Erwartungen der Zuschauer, die sicherlich zu einem großen Teil davon ausgehen, dass am Ende der Vater kommt und vom Kind freudig begrüßt wird. Der Spot aber versichert, dass eine Weihnachtsfamilie ohne Vater eine vollständige Familie ist – uns, den Erwachsenen, möge der Vater fehlen, aber doch gewiss dem Kind nicht.

Warum die Boykottaufrufe gegen Nivea, die auf diesen Spot folgten, wohl sinnlos sind, erklärt das Blog Papa rockt (andere Reaktionen finden sich hier, und hier, und hier):
„Die einzigen, die sich genügend empören um etwa einen Boykott zu fordern, sind Männern. Die dürften ungefähr 2 Prozent der kaufentscheidenden Zielgruppen ausmachen. Lasst sie streiken, werden sich die Werbefachleute gesagt haben. Juckt uns nicht. Die Einkaufsliste schreibt immer noch Mama.“
Eben. Wer Geld zum Ausgeben hat, bekommt eine maßgeschneiderte Ideologie gern frei haus mitgeliefert. Im Werbespot geht es darum, alleinerziehenden Müttern ein gutes Gefühl zu geben und die bösen Gedanken zu verscheuchen, dass der Vater den Kindern zu Weihnachten fehlen könnte.
 
Dass dieses gute Gefühl nur zu dem Preis zu haben ist, dass ausgerechnet zum Weihnachtsfest Väter für irrelevant erklärt werden, ist dabei nebensächlich. Die Familie ist ohne den Vater komplett und glücklich – er würde nur stören. Ich würde gern wissen, was passiert wäre, wenn ein solcher Werbespot mit einem alleinerziehenden Vater gedreht worden wäre und er ebenso hämisch die Mutter für überflüssig erklären würde.
 „Für uns umfasst der Familienbegriff (...) mehr als das klassische Bild der ‚Mutter-Vater-Kind-Familie‘",
schreibt Nivea Deutschland in einer Stellungnahme zur Kritik an der Werbesendung. Dass die Ausblendung des Vaters als modernes Familienmodell verkauft wird, zeigt, wie wenig sich die Verantwortlichen dafür interessieren, dass die Vaterausgrenzung lange Traditionen hat.
 
Die Josefsfigur ist ein guter Anlass, eine Geschichte darüber zu erzählen – eine Geschichte, die eben den Vater in den Mittelpunkt stellt, der in der glücklichen Nivea-Familie nicht vorkommt. Aber vorher:

Ich wünsche allen, wo und wie auch immer, sehr schöne Feiertage!



Josefs Stern. Eine Weihnachtsgeschichte
 
Josef übernahm immer die Weihnachtsschichten. Er kam am frühen Mittag vor dem Heiligen Abend, blieb die Nacht über, machte einige Stunden Pause und kam am nächsten Mittag zurück. Heiligabend selbst sei gar nicht so schwer für die meisten, sagte er, erst danach würden viele ganz verstehen, was es heißt, über die Feiertage allein zu sein.

Der Stern an der Spitze des Weihnachtsbaumes leuchtete nicht. Ich war noch allein mit Josef. Er arbeitete schon sehr viel länger als ich in dem kleinen Haus hinter der Kirche, das pausenlos geöffnet war und das auch einige Notschlaflätze bereithielt. Er nahm den Stern ab. Der Raum war nun am frühen Nachmittag noch leer, wir erwarteten die Besucher erst später zur Feier.

„Was hast du eigentlich gegen Weihnachten?“, fragte ich Josef. „Wir würden mit dir abwechseln, wenn du wolltest. Warum bleibst du die ganze Zeit hier?“

Josef nahm den Weihnachtsstern vorsichtig auseinander und überprüfte die Lichterkette darin. „Es ist schon in Ordnung so, keine Sorge“, sagte er. „Ich mach das gern. Und ich muss Weihnachten etwas zu tun haben. Für mich ist es ohnehin kein Familienfest.“

Das hatte mich von Beginn an bei Josef irritiert: Ich wusste nie genau, wann er etwas ernst meinte. Wenn er einen Witz machte, war das – aber das hatte ich erst spät gemerkt – daran zu erkennen, dass er todernst schaute, anders als sonst.

 „Wir haben noch Zeit“, sagte ich, und da ich gerade Kaffee gekocht hatte, setzte ich mich zu ihm an den Tisch und schob auch ihm einen Becher hin.

„Rieke hieß sie“, sagte Josef beiläufig und schaute konzentriert auf eine Spitze des Sterns, aus der er eine Leuchtdiode herauszog. „Wir waren beide sehr jung, und wir hatten ein Kind zusammen. Oder sie hatte ein Kind, aber ich war immer dabei.“

„Ich wusste nicht einmal, dass du Vater bist.“

„Ich weiß es selbst nicht so genau. Jedenfalls bekam Rieke ihr Kind, unser Kind, in der Zeit, als wir zusammenwaren. Ich war dabei bei der Geburt, obwohl sie mir gesagt hatte, dass ich vermutlich nicht der Vater bin. Aber was sollte ich machen, ich war nun einmal sehr verliebt. Sie war toll.“ Josef schaute ernst auf die Lichterkette.

„Die Geburt war furchtbar. Rieke hat so geschrien…und ich konnte nichts machen. Aber als der Kleine da war, dachte ich nicht mehr daran. Er schrie, die Hebamme legte ihn mir in den Arm, und ich sagte die ganze Zeit: ‚Es ist alles gut, es ist alles gut, es ist alles gut…‘

Später, als Rieke und der Junge schliefen, kamen drei Freunde von mir. Sie wussten, dass das Kind wohl nicht mein Kind war, sie verstanden nicht, was ich tat, aber sie kamen zu mir. Es war mitten in der Nacht, in der Aufregung von Riekes Geburtswehen hatte ich mein Geld zu Hause vergessen und konnte mir nicht einmal einen Kaffee leisten. Carsten gab mir einen aus uns sagte:

‚Wir wissen nicht, was du hier eigentlich machst, aber da wir gerade nichts anderes zu tun hatten, dachten wir, ein bisschen Geburtstourismus wäre zur Abwechslung einmal ganz interessant.‘

Merle umarmte mich und flüsterte in mein Ohr: ‚Du bist ein Esel. Aber es ist toll, was du tust.‘

‚Oder ein Ochse‘, sagte Ben, ‚jedenfalls kein Stier.‘ Er lachte. Merle gab mir eine Zigarette, und wir gingen zum Rauchen vor die Tür des Krankenhauses.

‚Es ist etwas Besonderes‘, hab ich ihnen gesagt. ‚Als er zur Welt kam, war er im ersten Moment ganz fremd, wie ein kleines Alien. Aber dann hatte ich das Gefühl…das es richtig ist. Dass ich mich um ihn kümmern werde.‘

‚Und du bist dir sicher?‘, fragte Carsten.

‚Natürlich nicht. Bauchschmerzen habe ich, die ganze Nacht hat schon. Nicht nur im übertragenen Sinne…mein Bauch tut so weh, als wär ich selbst schwanger gewesen.‘

‚Immer diese sensibel mitfühlenden Männer‘, sagte Merle grinsend, ‚Rieke kann froh sein, dass sie sich nicht um dich kümmern musste, während sie nebenbei das Kind bekam.‘ Ben aber ging in das Haus zurück und versuchte, ein Mittel gegen die Bauchschmerzen aufzutreiben.

‚Ich weiß selbst nicht, ob es richtig ist, was ich hier mache. Oder ob sie einen Trottel aus mir macht. Aber zumindest beim Namen habe ich mich durchgesetzt.‘

‚Grandios. Wie soll er heißen?‘, fragte Carsten.

‚Jes. Das ist ein alter norddeutscher Name, oder ein dänischer. Er klingt wie das englische Ja. Das gefällt mir.‘

Ich war nun einmal noch sehr jung, damals.“

Josef hatte nun die ganze Lichterkette aus dem Stern entfernt und packte eine neue aus. „Wie ging es dann weiter?“, fragte ich.

„Sehr gut. Viel besser als befürchtet. Bald allerdings zogen wir um, weil der Kleine krank war und eine Luftveränderung brauchte, an die Küste – aber wir lebten zusammen wie eine richtige Familie. Bis er zwölf war.

Rieke und ich hatten uns ab und zu gestritten, nichts Ernstes, hatte ich gedacht. Doch eines Abends sagte sie mir, dass sie etwas Raum für sich bräuchte und bei ihrer Schwester in Berlin unterkommen wolle. Den Kleinen wollte sie mitnehmen, nur für eine Weile, bis sie ihre Gedanken geordnet hätte. Ich verstand sie nicht, bekam Angst, jedenfalls war ich nicht einverstanden. Als ich am nächsten Tag von der Arbeit nach Hause kam, war sie mit dem Jungen weg.

Ich rief sie an, schrieb ihr Mails – aber sie antwortete, dass ich alles nur noch schlimmer machen würde, wenn ich sie unter Druck setzte, und dass sie Zeit bräuchte. Also wartete ich. Drei Monate, tatsächlich, auch wenn mir das heute verrückt erscheint. Dann fuhr ich nach Berlin, zur Schwester, und die sagte mir nach langem Bitten, dass Rieke mit dem Jungen bei einem alten Freund eingezogen war.

Ich fuhr hin, wütend, panisch, ich klingelte – und ausgerechnet Jes öffnete. Ich sagte dem Kleinen, dass ich ihn mit nach Hause nehmen würde, aber er antwortete, dass er schon zu Hause sei und nun bei seinem richtigen Vater leben würde.

Rieke kam dazu, sagte mir, ich solle den Jungen in Ruhe lassen, schrie mich schließlich an, dass ich gehen solle. Ich hätte den Mann, den ich gar nicht kannte, gern zusammengeschlagen, aber ich ging und sagte nichts mehr. Rieke bleib dabei, dass dieser Mann der richtige Vater von Jes sei, aber ich weiß bis heute nicht, ob das stimmt.“

„Was ist denn jetzt mit Jes?“

„Ich hab ihn seit zehn Jahren nicht gesehen. Er studiert, das weiß ich, ich habe ihm ab und zu Briefe geschrieben, aber kaum einmal eine Antwort bekommen.“

Während er erzählt hatte, hatte Josef die neue Lichterkette in den Spitzen des Sterns befestigt. Nun legte er alles beiseite, sah mich an und sagte: „Ich wünsche dem Jungen alles Gute. Dass er ein langes Leben haben wird, und dass er irgendwann als alter Mann von seinen Kindern und Enkelkindern Besuch bekommt.“ Dann nahm er den Stern wieder auf und fügte hinzu, ohne seine Mine zu verziehen: „Er braucht also definitiv mehr Glück bei den Frauen als ich.“

Er war nun fertig, steckte den Stecker der Lichterkette in die Steckdose – und der Stern leuchtete. „Jetzt wissen die Mühseligen und Beladenen wieder, wo sie hingehen müssen. Ich hatte schon befürchtet, Weihnachten ohne anständigen Stern verbringen zu müssen, das hätte mir schwer zu schaffen gemacht.“

Ich befestigte den Stern oben auf dem Baum und wusste nichts zu sagen. „Ist alles in Ordnung?“, fragte ich schließlich.

„Nein“, antwortete Josef. „Und bei dir?“
 
Er hätte aber das Gefühl, aus all dem noch etwas Sinnvolles gemacht zu haben, und deshalb arbeite er auch zu Weihnachten gern. Es gäbe schließlich andere, denen es deutlich schlechter ginge als ihm.

Als ich etwas später nach Hause ging, war es schon dunkel geworden. Es nieselte, ich überquerte die Straße und blickte mich noch einmal um. Durch das Fenster sah ich den Stern leuchten.

Wie man Grundrechte schützt, indem man eine Apotheke verwüstet

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Anne Wizorek, #Aufschrei-Initiatorin, Grimme-Preis-Gewinnerin und gerade noch proppestolzer Gast bei Manuela Schwesig, war neulich einmal über Verletzungen von Grundrechten erbost.
 
Also schickte sie geistesgegenwärtig bei Twitter eine Nachricht weiter, die sie gerade zwei Minuten vorher erhalten hatte und die mit deutlicher Sympathie einen Farbanschlag auf eine Apotheke in Neukölln dokumentierte. Mit dem Satz
„Die Apotheke in meiner Straße ist gegen die Pille danach“
verlinkt die Nachricht ein Foto, mit dem kurzen Kommentar
„Mein Kiez antwortet“
ein zweites: eine Apotheke, deren Scheiben und Eingangsbereich über und über mit roter Farbe verschmutzt und zudem mit Plakaten zum „Frauenkampftag“ versehen sind.

Eine kleine Pille und sehr viel Drumherum. In Berlin wurde dafür gerade eine Apotheke verwüstet.
Einem Twitterer, der sich ahnungslos über den Beifall für die „Vandalen“ wundert, rückt Wizorek schnell den Kopf zurecht:
„sorry, aber: als jmd, der vermutlich noch nicht wegen sowas diskriminiert wurde, sag mir bitte nicht, was hier scheiße ist.“
Klappe halten, und zwar schnell. Aber: Was aber war eigentlich geschehen?

Der Apotheker der Undine-Apotheke in Berlin-Neukölln  ist ein gläubiger Katholik und hat im Eingangsbereich seiner Apotheke eine Nachricht aufgehängt.  Dort schreibt er, dass
„es beim Einsatz von Kontrazeptiven – trotz der meist beabsichtigten Verhinderung des Eisprungs – in einigen Fällen zu einer Befruchtung mit anschließender Verhinderung der Einnistung in die Gebärmutter kommt.“
Es geht offensichtlich um die sogenannte„Pille danach“, und da er die aus den angeführten Gründen nicht verkauft, sah sich der „Kiez“– wer immer das hier sein mag – zur Gegenwehr gezwungen.

Eine kleine lokale Grausamkeit, die außer für die BZ vielleicht nur für die Beteiligten von Interesse wäre, wenn sich dabei nicht gleich mehrere sehr aufgeladene Themen kreuzen würden.


Kondome mit Begleittext und Grundrechte mit Wellness-Faktor Der Apotheker habe, so befindet Wizorek, anderen Menschen Grundrechte verweigert, und es sei diskriminierend, Menschen den Zugang zu „Pidana“ – einer Pille danach– zu erschweren. Auch Wizoreks Aufschrei-Kollegin Nicole von Horst schaltet sich ein und räsonniert etwas rätselhaft, dass die Kritiker an der Verwüstung „so auf Rechtstaat stehen" würden.

Da im örtlichen Telefonbuch für Neukölln 70 Apotheken verzeichnet sind  und diese Auflistung noch nicht einmal vollständig ist, besteht die Erschwernis des PiDaNa-Zugangs allerdings vor allem darin, im Schnitt zwei Straßen weiter in die nächste Apotheke gehen zu müssen. Welche Grundrechte genau Wizorek dadurch verletzt sieht, lässt sich auf dieser Basis nicht zweifelsfrei klären.

Das bedeutet übrigens nicht, dass dem Apotheker nichts vorzuwerfen wäre. Laut Berufsordnung der Apothekerkammer Berlin, §8, haben Apotheker „ärztliche Verordnungen in angemessener Zeit auszuführen“. Da es schwierig ist, „niemals“ als „angemessene Zeit“ zu interpretieren, und da trotz der aktuellenDiskussion darum die Pille danach weiterhin verschreibungspflichtig ist, verletzt er offenbar berufliche Pflichten.
 
Allerdings könnte er seine Entscheidung als zivilen Ungehorsam gegen eine Regelung verstehen, die ihn zu etwas verpflichtet, das er mit seinem Gewissen nicht vereinbaren kann. Für zivilen Ungehorsam wiederum müsste der Neuköllner Kiez eigentlich ein grundsätzliches Verständnis aufbringen können.

Die Überzeugung des Apothekers wird übrigens nicht allgemein geteilt, dass die Pille danach in einigen Fällen nicht nur den Eisprung verzögere, sondern auch zur Zerstörung befruchteter Eizellen führe – und dass sie daher nicht allein als Verhütung, sondern auch als Abtreibung zu verstehen sei.
„Der maßgebliche und möglicherweise einzige Wirkmechanismus der Pille danach auf Levonorgestrel-Basis (nämlich PiDaNa, L.S.) ist die Verzögerung oder die Verhinderung des Eisprungs“,
schreibt beispielweise pro familia, ist sich aber offenbar trotz des erkennbaren Bemühens, die Pille danach als unproblematisch darzustellen, nicht so ganz sicher („möglicherweise").

Noch unsicherer ist sich pro famila dann bei der Alternative zu PiDaNa:
„Für die seit 2009 zugelassene Pille danach EllaOne® (Wirkstoff Ulipristalacetat) sind deutlich weniger Sicherheitsdaten verfügbar und einige Fragen offen.“
Da EllaOne aber eine Schwangerschaft bis zu fünf Tage nach einem ungeschützten Geschlechtsverkehr verhindern kann und deutlich zuverlässiger wirkt als PiDaNa, wird es laut Gesundheitsministerium schon in 46 Prozent aller Fälle verschrieben.

Dass eine Pille danach bis zu fünf Tage nach einem ungeschützten Geschlechtsverkehr die Schwangerschaft mit hoher Sicherheit verhindern kann, hat eine Frauenärztin auch einmal meiner Partnerin und mir versichert. Das ist auch für die ethische Beurteilung wichtig: Wer sich darauf verlässt, noch fünf Tage nach dem Geschlechtsverkehr die Schwangerschaft per Pille verhindern zu können, wird kaum davon ausgehen, dass durch diese Pille lediglich ein Eisprung verzögert wird.

Wichtig ist an dem kurzen medizinischen Exkurs vor allem, dass die Meinung des Apothekers sich offenbar eher auf Unsicherheiten als auf klare Belege stützt, dass sie aber keineswegs vollkommen absurd und abwegig ist. Warum ist es dann so schwer zu akzeptieren, dass der Verkauf der Pille danach für ihn ein Gewissensproblem darstellt? 

Wenn es denn stimmt, dass er Kondome nur mit beigelegtem katholischen Begleittext verkauft, dann würde mir das möglicherweise auch auf die Nerven gehen. Ich würde sie dann aber ganz einfach woanders kaufen.

Warum sollte das nicht reichen?


Warum Gewissen irgendwie dysfunktional sind Störend ist für die Gegner des Apothekers offenbar schon die Tatsache, dass hier überhaupt jemand eine abweichende Meinung hat und sie offen äußert. Ein Bekennerschreiben stellt klar:
„In der Nacht vom 7. auf den 8. März haben wir als Bei­trag zum in­ter­na­tio­na­len Frau­en­kampf­tag die Un­di­ne-​Apo­the­ke an der Frie­del­str. Ecke Bürk­ner­str. um­ge­stal­tet. Dabei gin­gen ei­ni­ge Schei­ben zu Bruch und die Fas­sa­de wurde mit an­ti-​pa­tri­ar­cha­len Sym­bo­len ge­schmückt."
Die Gewalt und ihre zynisch-demonstrative Verharmlosung inspirierten auf Twitter natürlich Kritiker der Aktion sogleich zu Nazi-Vergleichen  – schließlich haben ja tatsächlich schon die Nationalsozialisten die Zerstörung jüdischer Geschäfte als „Umgestaltung"verharmlost. Das aber werden die Bekenner vermutlich weder wissen noch sonderlich interessant finden. 

Das Problem an diesen Vergleichen ist nicht nur, dass es in einer Diskussion nach jedem Nazi-Vergleich zuverlässig nur noch um die Legitimität dieses Vergleichs geht, völlig unabhängig davon, was zuvor Thema war. Mein KiezMein Kampf–  irgendwie eh alles das Gleiche...

Ein womöglich noch größeres Problem von Nazi-Vergleichen ist es, dass sie Allround-Verniedlicher sind und den Eindruck erwecken, jedes Verhalten, das nicht die Dimensionen nationalsozialistischer Verbrechen erreiche, sei eigentlich nur halb so schlimm. Dabei ist der Neuköllner Nachbarschaftsterror („wie er reagieren soll? Laden dichtmachen. Sich aus dem Kiez verpissen“, schreibt ein Twitterer) ja auch dann krank, wenn er nicht haltlos als faschistisches Verbrechen hingestellt wird.
 
Ich kann das vielleicht an einigen Erfahrungen deutlich machen, von denen meine Partnerin mir erzählt hat. Sie hat früher als Krankenschwester gearbeitet und war dabei auch an vielen Abtreibungen beteiligt. Sie ist weder aus religiösen noch aus anderen Gründen eine prinzipielle Gegnerin der Abtreibung, aber sie erzählt davon, dass diese Erfahrung belastend war, und belastend bleibt. Dabei bezieht sie sich beispielweise auf den Anblick der getöteten Föten – insbesondere dann, wenn vor der Abtreibung ein falsches Alter errechnet worden und der Fötus schon im vierten Monat war, weil dann die Ähnlichkeit mit einem geborenen Menschen ganz offenkundig ist.

Sie erzählt auch davon, wie sie sich als Schwester über Frauen geärgert hat, die mehrmals – zum Teil sechs bis acht Mal in wenigen Jahren – abgetrieben haben und sich keine Begriffe davon machten, dass das auch für diejenigen, die die Abtreibung durchführen, jedes Mal eine Belastung darstellen kann.

Eben das ist wohl für die Neuköllner Apothekenstürmer und ihre Claquere eine unerträgliche Provokation: dass ihre eigenen Rechte nur dann realisiert werden können, wenn andere Menschen das mit ihren Leistungen ermöglichen – und dass diese anderen Menschen dabei möglicherweise nicht unbeteiligt bleiben und mit eigenen Rechten, Empfindungen und vielleicht auch Nöten involviert sind.
 
Dass der Apotheker es nicht mit seinem Gewissen vereinbaren kann, einige Pillen zu verkaufen, ist dann schon an sich ein Skandal. Dass er das auch noch öffentlich äußert und den Verkauf tatsächlich verweigert, ist aus dieser Perspektive vollends unerträglich – auch wenn überhaupt nicht erkennbar ist, wem er damit überhaupt schadet.

Sein Gewissen hat, bitteschön, wie gewünscht zu funktionieren und soll keine Zicken machen.

Ein verrückt extremes Beispiel für diese radikale Fixierung auf das Selbstbestimmungsrecht der Frau, die alle anderen für die Situation relevanten Faktoren ausblendet, ist die gerade von Julia Schramm wieder aufgewärmte Forderung nach einem zeitlich unbegrenzten Recht auf Abtreibung. Dabei ignoriert Schramm ja nicht nur das Kind, sondern auch die Frage, wer denn eigentlich eine Abtreibung im achten oder neunten Monat durchführen soll und welche Folgen das möglicherweise für diese Beteiligten hat.


Schwadronen und Schwadroneusen So ist denn die Neuköllner Aktion ebenso wie die bei Wizorek und anderen deutliche Sympathie für sie nicht nazistisch, aber ungehemmt narzisstisch. Keine Schwadronen, aber Schwadroneure und Schwadroneusen, die ihre eigene Position seltsam verzerrt wahrnehmen.
 
Wer sich selbst als „diskriminiert“ und als „unsichtbar“ erlebt, zugleich aber noch für simple Schwarz-Weiß-Malereien wie die Aufschrei-Debatte kritiklos ins Rampenlicht geschoben und gefeiert wird – der hat womöglich ein großes Interesse daran, irgendwo einmal irgendetwas zu entdecken, dass er einigermaßen nachvollziehbar als echte „Diskriminierung“ hinstellen kann.

Tatsächlich aber gab wohl selten eine so wenig diskriminierte soziale Gruppe wie die Frauen-Generation Wizoreks oder von Horsts. Besonders auffällig ist, zumindest in öffentlichen Debatten, das fast völlige Fehlen von offenem Widerspruch.

Ihre Kritiker hingegen werden, wie gerade wieder vom Journalisten Michael Seemann (Zeit-Online, c't, Rolling Stone, spex, DU), schonmal öffentlich als „menschlicher Abschaum" beschimpft. Fast ebenso verrückt ist ihre politische Diffamierung als rechtsradikale Sympathisanten des Massenmörders Breivik in Publikationen der SPD, der Grünen oder im öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

Wenn eine Aktion wie die der Femen-Frau Josephine Witt dann doch einmal  so idiotisch ist, dass sie weithin kritisiert wird, dann wird dies sogleich durch Spiegel-Interview  und Fernsehauftritt wieder gut gemacht.  Dass Witt bei der Weihnachtsmesse mit nackter Brust auf den Altar des Kölner Doms gesprungen war und sich selbst zu Gott erklärt hatte, präsentiert dann die Einsweiter-Moderatorin Nadia Kailouli als mutige Aktion für Frauenrechte:
„Ich freu mich sehr, dass Sie heute hier sind.“
Angesichts eines solch skrupellos-entwaffnenden Wohlwollens muss es eine Erleichterung sein, wenn ausnahmsweise einmal jemand wie der Neuköllner Apotheker offen eine andere Meinung vertritt und sogar ausdrücklich, und mit schriftlichen Erläuterungen versehen, die prompte Erfüllung von Wünschen verweigert.

Dann kann und darf natürlich der Gedanke keine Rolle spielen, dass dieses Verhalten angesichts der vielen einfachen Ausweichmöglichkeiten überhaupt niemanden beeinträchtigt.
„Die Un­di­ne-​Apo­the­ke ver­tritt ein ver­schärf­tes Bild einer pa­tri­ar­cha­len Ge­sell­schaft,"
schreiben ihre wackeren Umgestalter im Bekennerbrief. Endlich wird hier also wieder einmal ein Nachweis erbracht, dass der Kampf gegen kaltherzige, gewalttätige und allgegenwärtige patriarchale Strukturen noch keineswegs zu Ende ist: Deutschland wird am Hindukusch verteidigt und die Würde der Frau an der Ecke Bürkner- und Friedelstraße in Berlin-Neukölln.


Wie Anne Wizorek und ihre Freunde einmal einen schlechten, schlechten Menschen aus mir machten

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„Ich glaube einfach nicht mehr, dass die 'Kommunikation wollen'. Die wollen einfach nur, dass alles so ist und läuft, wie es ihnen gefällt."
Während wir so im Anschluss an den Text über die Neuköllner Apothekenverwüstung darüber diskutierten, ob der Kommunikationsstil des Lilifee-Feminismusüberhaupt etwas mit Kommunikation im herkömmlichen Sinne zu tun habe, und während LoMi darüber – was mir natürlich eine Ehre ist – gar einen eigenen Artikel schrieb, hatte Anne Wizorek längst Fakten geschaffen.

Ihr Gruppen-Blog „kleinerdrei“ veröffentlichte in deutscher Übersetzung einen Text Julie Paganos, der sämtliche Zweifel hinsichtlich etwaiger Kommunikationsabsichten souverän beseitigt und der dabei zugleich ungezwungen und elegant einen Beitrag zur Lebenshilfe leisten kann: „Schlechte Verbündete – Das Quiz“ 
„Disclaimer: Als weißer heterosexueller Mann (WHM) kann ich bestenfalls ein Ally sein“,
hat ein Mann richtig erkannt. Und kleinerdrei erläutert:
„Speziell feministische Verbündete sind Einzelpersonen, die keine Frauen sind und Frauenrechte unterstützen sowie Feminismus und dessen Anliegen fördern.“
Das heißt, ein Verbündeter hat keine eigenen Interessen, unterstützt aber die Interessen anderer, macht dabei aber leider oft viel falsch.
Wie ich auf die Idee gekommen bin, zu diesem Text eine alte Anti-Kriegs-Karikatur von Boardman Robinson zu veröffentlichen, weiß ich selber nicht. Ich habe aber das Gefühl, dass ich mir dafür Minuspunkte geben sollte.
Ob ich als ein guter Verbündeter tauge, oder als schlechter, oder ob ich schlimmstenfalls gar keiner bin, habe ich im Selbstversuch anhand der präzisen Fragen des Ally-Quiz ermitteln können. Ich dokumentiere hier die Highlights meiner Befragung.



Behauptest du, niemals Fehler zu machen oder in gewaltsamer Weise zu handeln? Fast ganz zu Beginn schon die erste verwirrende Frage. Nein, ich behaupte nicht, in gewaltsamer Weise zu handeln. Könnte aber falsch sein, nämlich ein Hinweis, dass ich meine eigene Gewalt nicht wahrnehme. Aber dass es auf „Ich behaupte, in gewaltsamer Weise zu handeln“ Pluspunkte gibt, kann ich mir auch wiederum nicht vorstellen. Ich sag einfach mal:
„Ich behaupte, in gewaltsamer Weise zu handeln, habe aber keine rechte Freude dran.“
Ist ganz falsch, weil es natürlich bescheuert ist zu meinen, es ginge dabei um meine Freude oder nicht. Zwei Minuspunkte.
 

Beschwerst du dich über Räume, die ausschließlich Mitglieder einer unterdrückten Gruppe zulassen, weil du selbst dann nicht dabei sein kannst? Hier war ich mir schnell sicher, dass das eine Fangfrage ist. Schließlich haben unterdrückte Gruppen normalerweise keine Räume, aus denen sie ihre Unterdrücker einfach mal aussperren können, so dass die dann draußen und traurig allein vor sich hin unterdrücken müssen.
 
Der Frage liegt evtl. das Missverständnis zu Grunde, dass z.B. die Plätze für Schwarze im hinteren Teil der Südstaaten-Busse Safe Spaces gewesen seien, um sie vor den Übergriffen Weißer zu schützen. Das ist historisch, um ehrlich zu sein, nicht ganz akkurat.

Die Möglichkeit, andere beliebig ausschließen zu können, ist ein sicheres Kennzeichen für Privilegien. Wer das richtig findet, findet es wohl auch toll, wenn Reiche ihre Wohngebiete mit Mauern und Wachpersonal vor dem Anblick des Pöbels schützen. Also antworte ich mit tiefer Überzeugung: Klar beschwer ich mich!

Dafür gibt’s zehn Minuspunkte. Und weil ich nicht kapiere wofür, gleich nochmal zehn Minuspunkte hinterher. Und nochmal zwanzig drauf für’s Mansplaining.
 

Benutzt du bevormundende Formulierungen (z.B. indem du eine erwachsene Person als Kind bezeichnest) wenn du mit oder über Leute aus der Gruppe sprichst, deren Verbündeter du bist? (20 Punkte pro Vorfall). Da fehlt ein Komma vor dem „wenn“. Und „mit Leute“ spricht man auch nicht, weil die Präposition „mit“ den Dativ erfordert, Kindchen. --- Ach, verflixt… (40 Minuspunkte)
 
 
Verwendest du Beleidigungen wenn du mit oder über Leute aus der Gruppe sprichst, deren Verbündeter du bist? (1000 Punkte pro Vorfall). Also nochmal: ein Komma vor dem „wenn“, und „mit Leute“ spricht man eigentlich nicht, min lütten Döspaddel. --- Ach scheiße, nochmal drauf reingefallen.
 
Arschloch! (2000 Minuspunkte)
 
 
Verlangst du von anderen Leuten, dass sie dir alles beibringen (anstatt dich selbst weiterzubilden)? Also, erst versteh ich, dass ich alles falsch mache, wenn ich es so mache, wie ich es verstehe…und wenn ich dann frage, wie ich es denn machen soll, ist es auch schon wieder falsch. Kann mir da mal jemand helfen, bitte? (1 Minuspunkt)
 
 
Sagst du ihnen, dass sie ein bestimmtes Problem beheben sollen, weil sie einer Gruppe angehören (z.B. indem du forderst, dass sie bei einer Konferenz vortragen oder indem du darauf bestehst, dass sie einen Blogpost über ein spezielles Thema schreiben)? (10 Punkte pro Vorfall) Verdammt, das sag ich tatsächlich oft zu Frauen: „Das hast Du so schön gesagt, da solltest Du unbedingt einen Vortrag bei einer Konferenz draus machen.“ Ich hatte eigentlich IMMER das Gefühl, dass das toll ankommt.

Seit wann allerdings Konferenzvorträge oder Blogposts Probleme beheben, versteh ich nicht, und auch nicht, was das mit der Zugehörigkeit zu einer Gruppe zu tun hat. Ich geb mir mal vorsichtshalber hundert Minuspunkte, bevor ich hier noch mehr falsch mache.

Vor dem „oder“ fehlt allerdings ein Komma. Ich glaub, ich werd kleinerdrei mal ein paar Kommata schenken, falls das nicht allzu gönnerhaft rüberkommt. (1000 Minuspunkte)
 
 
Sagst du ihnen, wie sie zu reden oder sich zu verhalten haben? Verdammt, ja, neulich hab ich mal einem Menschen* gesagt, dass sie mich bitte nicht als „Masku-Troll“ und „menschlicher Abschaum“ beschimpfen, dings, sachlich bezeichnen soll. Das war anmaßend von mir. Fünf Minuspunkte.
 
 
Bist du ein “Betroffenheitstroll” (“concern troll”)? Also, „concern troll“ heißt eigentlich eher „Bedenkentroll“, ganz ehrlich. Ich bin ja eigentlich ganz für den Feminismus, aber die Sache mit dem Töten aller Männer macht mir doch ein paar Bedenken, vor allem, weil sie immer wieder aufkommt. Könnte ich zum Beispiel sagen. Das gibt hundert Minuspunkte für die Trollerei und nochmal zweihundert für das Mansplaining. Und hundert drauf, weil ich damit auch noch recht hatte.
 
 
Wirfst du Leuten vor, sie würden überreagieren, seien zu empfindlich sind oder würden Dinge unnötig aufblasen? Aber hallo. Diese dämlichen Väter zum Beispiel, die durch die Gegend jammern, dass sie werweißwie unterdrückt wären, nur weil sie ihre Kinder nicht mehr sehen können und dabei durch die Unterhaltszahlungen auch noch ruiniert werden. Aufgeblasene Privilegienpenisse, die sich nicht für fünf Minuten Gedanken darüber machen, was eine Frau* tagtäglich erleben muss.

Hmm. Keine Minuspunkte. Vielleicht kapier ich das Spiel jetzt langsam… Obwohl ich das mit dem „seien zu empfindlich sind" eigentlich gar nicht verstehe.
 
 
Benutzt du andere Mitglieder der Gruppe, um dein Verhalten zu rechtfertigen (z.B. „Ich habe schwarze Freunde“, „Ich bin mit einer Frau verheiratet“)? Hmm. Kann sein, dass mir schonmal ein „Ja, ich bin schlecht gelaunt, miesepetrig und mutlos, aber ich bin ja auch mit einer Frau verheiratet“ rausgerutscht ist. Aber das war nur ein blöder Spruch, ich bin ja nichtmal verheiratet.
 
Hundert Minuspunkte für den Spruch, hundert mehr dafür, weil man darüber keine Witze macht, und nochmal hundert für die Weigerung zu heiraten. Fürs Heiraten gäb‘s auch hundert Minuspunkte, bevor sich hier jemand noch zu sicher fühlt.
 
 
Haben Mitglieder der Gruppe dich als schlechten Mitstreiter bezeichnet oder gesagt, dass du gar kein Verbündeter bist? (100 Punkte pro Vorfall)Ähh…nie. Niemals. (Kann nicht sein. Tausend Minuspunkte für die Weigerung, zuzuhören). Eigentlich ist, wenn ich ehrlich bin, nie jemand auf die Idee gekommen, dass ich ein Ally sein könnte…fürchte ich. (Nochmal tausend)
 
 
Hast du erwähnt, dass du ein Verbündeter bist, wenn du auf Fehler oder schädliches Verhalten hingewiesen wurdest? (5 Punkte pro Vorfall)„Hör mal, was macht denn da deine Hand auf meinem Hintern?“ – „Ich bin ein Verbündeter.“ Nee, das wär mir doch zu blöd. (Hundert Minuspunkte für den schlechten Witz.)
 
 
Machst du immer wieder die selben Fehler? (10 Punkte) Fällt das so sehr auf, ehrlich? Zehn Minuspunkte.
 
 
Tust du Dinge, die Mitgliedern der Gruppe mit der du verbündet bist, aktiv schaden? (100 Punkte pro Vorfall) Tust du es sogar mit Absicht? (1000 Punkte pro Vorfall) Ich versuche der ganzen Gruppe aktiv und systematisch zu schaden, tu es aber ganz bestimmt nicht mit Absicht.

Hmm…ich hab das Gefühl, das kam jetzt irgendwie unglücklich rüber, oder? (Dreitausend Minuspunkte)
 
 
Ich habe ehrlich geantwortet und mir eine Menge Gedanken gemacht, das mit der Bewertung müsste also ganz gut gehen. 7998 Minuspunkte habe ich, das sieht auf den ersten Blick natürlich nach ziemlich viel aus, aber das wird täuschen. Also:
„Du bist kein Verbündeter. Du bist ein schrecklicher Mensch. Was zur Hölle stimmt nicht mit dir?“
Hmm…selbst wenn ich einberechne, dass ich nur sehr knapp, um gerade mal 2998 Minuspunkte, eine bessere Bewertung verpasst habe, finde ich das jetzt schon ein bisschen deprimierend.
 
Aber, um ehrlich zu sein, die anderen Resultate sind auch nicht besser: Du bist noch nicht mal ansatzweise ein Verbündeter. - Du bist nicht so weit, ein Mitstreiter zu sein, also hör auf damit, dich einen zu nennen. - Du musst auf jeden Fall schon mal viel Zeit einplanen, um dich weiterzubilden. - Du machst viele Fehler - Du machst einige Fehler und hast immer noch Platz für Verbesserungen - Arbeite (…) fleißig weiter an dir. - Schäm dich.

Das „Schäm dich“ bekommt man für das beste Ergebnis, weil das ganz bestimmt nur durch Schummelei zustande kommen kann. Warum aber gibt es eigentlich überhaupt keine Chance, ein richtig gutes Resultat zu bekommen?
 

Jetzt einmal ganz im Ernst: Das liegt offenkundig daran, dass ein Verbündeter eben niemals die eigenen Interessen vertritt und grundsätzlich die von anderen, mit denen er aber nun einmal definitionsgemäß nicht identisch sein kann. Die unrealisierbare Hoffnung, er könnte irgendwann einmal alles richtig machen, ist wie die Karotte, die dem Esel vorgehalten wird, während er den Wagen zieht.
 
Anders ausgedrückt: Der Ally ist Gegner im Geschlechterkrieg, der bleibend als Feind behandelt wird, sich selbst aber als Verbündeter betragen soll.

Warum nur macht jemand so einen Quatsch mit?
 
Ganz offensichtlich ist die Struktur dieses autoritären Spiels für beide, für Frauen wie für Männer, sehr entlastend. Die beteiligten Frauen betonieren sich die Phantasie ihrer Unterdrückung erdbebensicher ein, dichten sie gegen empirische Einwände ab und können so jegliche Forderung als ewig unzureichenden Ausgleich für erlittene Benachteiligungen imaginieren.
 
Männer entledigen sich ebenfalls der Verantwortung für ihr Verhalten, weil sie verstehen, wie unzureichend sie grundsätzlich sind und wie sehr darauf angewiesen, sich in ihrem Leben der beständigen Leitung anderer zu bedienen. Belohnung für die Unterwürfigkeit in engen Strukturen ist die Entlastung von der Verantwortung gegenüber alle anderen, die außerhalb dieser Strukturen leben – der selbsterniedrigende Disclaimer beispielweise, den ich zu Beginn zitiert habe, stammt aus einem einige Monate alten Text, der damals die Hatz auf ochdomino verteidigte.

Arne Hoffmann schreibt über dieses Quiz: 
„Leute, die so denken, bestimmen die deutsche Geschlechterpolitik."
Das eben ist das Problem: Wir können kleinerdrei tatsächlich dankbar sein dafür, wie entschlossen dieses Blog die kranke Struktur von Geschlechterdebatten wiedergibt, die sich wider alle Vernunft als „emanzipatorisch“ verstehen. Der Ally-Glaube beruht offenbar auf der Illusion, dass jemand, der bereit ist, eigene Opfer zu bringen, moralisch ganz gewiss und per Definition auf der sicheren Seite steht.

Das, natürlich, ist Quatsch. Wären nicht viele Männer der Überzeugung, dass es wie von Zauberhand immer irgendwie integer und richtig sei, auch verrückt-aggressive Forderungen von Frauen zu bedienen – dann wären die Beziehungen zwischen den Geschlechtern um viele Brutalitäten ärmer.
 
Dazu gehört, und das ist das für mich natürlich einprägsamste Beispiel, das Kindschaftsrecht, das nicht nur sozialdemokratischen Frauen, sondern auch noch ihren verständnisinnigen Männern schon viel zu liberal ist.

Die Verzweiflung und das Unglück, die dabei für die Privilegien weniger in Kauf genommen werden, sind enorm – bei Kindern, bei Männern und auch bei Frauen. Für die jahrelange, gerichtlich festgestellte Verletzung von Grund- und Menschenrechten fühlt sich niemand verantwortlich, auch nicht dafür, ernsthaft an diesen Zuständen etwas zu ändern. Die liebevoll gepflegte Ideologie der Alleinerziehung privilegiert ausgerechnet die Form des Aufwachsens von Kindern, die europaweit mit dem größten Risiko der Kinderarmut verbunden ist.

Im vergangenen Monat wurden zweiSelbstmorde von Vätern aus der Väterrechtsbewegung publik, die durch lange Ausgrenzungen mürbe gemacht worden waren. Ich bin überzeugt davon, dass das keine Einzelfälle sind, dass aber der größte Teil des erfahrenen Elends gar nicht wahrgenommen wird.

Das bedeutet nicht, dass nun Frauen als Allüberall-Unterdrückte gegen Männer ausgetauscht werden sollten. Aber es bedeutet sehr wohl, dass die altmodische Idee von der Unteilbarkeit der Menschenwürde deutlich tragfähiger ist als die seltsame Vorstellung, man müsse nur irgendeine Gruppe als „unterdrückt“ definieren, diese Gruppe sodann bedingungslos, vernunftfern und selbsterniedrigend unterstützen, um sich dadurch dann so etwas wie moralische Reinheit einkaufen zu können.

Die Herrin-Knecht-Strukturen des Ally-Spiels sind verrückt. Ihr krankhaftester Aspekt aber ist, dass dieses Spiel ein Spiel auf Kosten Dritter ist.

 

Blogparaden, Blogstöckchen und Blockwärtinnen (Monatsrückblick Dezember 2013)

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„Sie ist die Frau, für die zwei Männer Platz machen mussten, Ex-Innenminister Freidrich und Ex-Verteidigungsminister de Maizière.“
Während Ursula von der Leyen also laut Spiegel vom 21.12. Männer aus dem Weg räumt (S. 20) und „den Kabinettspoker so kaltblütig gespielt wie kein Mann“ habe (S. 24), sehen die Männer in der Spiegel-Berichterstattung eher soft aus: Harte Mädchen, weiche Jungs.

Die Koalitionsvereinbarungen in Berlin waren geschlechterpolitisch aus zwei Gründen interessant. Einerseits, weil sie einiges an feministischen Pflichtprogramm absolvierten, Frauenquoten, die Bestrafung von Freiern bei „erkennbarer Zwangsprostitution“ (eine Regelung, deren zweifelhafte Realitätstauglichkeit erzaehlmirnix zu dem Spott veranlasste, die Regierung wolle nun eine „Kennzeichnungspflicht für Zwangsprostituierte“ einführen), und aus personalpolitischen Gründen.
 
Ursula von der Leyen steht als erste Frau an der Spitze des Verteidigungsministeriums, Andrea Nahles, deren Berufserfahrung sich fast ausschließlich auf die Pflege ihrer Parteikarriere beschränkt, ist nun Arbeitsministerin, und Manuela Schwesig (dazu gab es eine längere Diskussion bei Alles Evolution).

Zwischen Weihnachtskitsch und Shitstorm - Mit einer knallreaktionären Ideologie, verpackt in Sentimentalitäten, gelang es einem Nivea-Werbeclip, seine eigene Blogparade aus scharfen Kritiken loszutreten.
Die Koalition liefert aber auch ein Leitmotiv des vergangenen Monats – die Fragen, wie ganz unterschiedliche Akteure eine Zusammenarbeit organisieren können, und die Frage, wo eine Zusammenarbeit nicht mehr sinnvoll ist. Kurz: Verknüpfungen und Grenzziehungen.


Pimmelchen, Kanonenfutter und die tatsächlichen Probleme von Frauen Mit dem Verteidigungsministerium verbindet von der Leyen offenkundig offenbar einen erhebliches PR-Potenzial – als erste Frau an der Spitze. Kritik an der Berufung wertete Lisa Caspari in der Zeit selbstverständlich sogleich als „Sexismus“– mit der bewährten Methode, nachvollziehbare Zweifel und dämliche Polemik so zu vermischen, dass schließlich alles gleichermaßen als illegitime Kritik erscheint.
„Wenn eine Frau das Verteidigungsministerium übernimmt, sind sexistische Kommentare programmiert.“
Einen Hintergrund dieser Bewertung führte wiederum der Spiegel vor, der das Kunststück fertig brachte, denn zu kleinen „Frauenanteil“ (21.12., S. 21) in der Bundeswehr zu kritisieren, ohne auch nur mit einem Wort zu erwähnen, dass ein wesentlicher Grund dafür in der – bloß ausgesetzten, nicht abgeschafften – Wehrpflicht für Männerliegt.

Ähnlich weltvergessen äußerte sich die niederländische Verteidigungsministerin Jeanine Hennis-Plasschaert, die frohgemut erklärte, es mache keinen Unterschied, ob man „ein Pimmelchen hat oder nicht“ (Spiegel, 21.12, S.18) – bei dieser Gelegenheit wäre es übrigens interessant zu erfahren, was passieren würde, wenn ein europäischer Politiker ab und an mal über „Mösichen“  daherredete.
 
Auch in den Niederlanden darf die Geschlechtszugehörigkeit an der Spitze des Verteidigungsministeriums, selbstverständlich, nicht von Belang sein – während das Fußvolk ebenso selbstverständlich männlich zu sein hat. Die Wehrpflicht in den Niederlanden ist seit 1996 ausgesetzt, Männer und Frauen können freiwillig dienen, aber die Männer zwischen 17 und 45 Jahren werden weiterhin erfasst. Wer also Irritationen über die Berufung einer Frau an die Spitze des Verteidigungsministeriums als frauenfeindlich abtut, ignoriert gemeinhin mit großer Selbstverständlichkeit, dass das Kanonenfutter fast ausschließlich männlich ist (hat jemand etwas von „Sexismus“ gesagt?).

Von der Leyen selbst ähnelt in ihrem politischen Habitus Gerhard Schröder – sie profiliert sich gegen ihre Partei und auf deren Kosten, macht sich für sie aber eben gerade dadurch unentbehrlich. Ein Gegenmodell ist dazu Manuela Schwesig, die im Parteiapparat und mit erheblicher Unterstützung älterer Herren wie Steinmeier und Steinbrück eine Blitzkarriere machte, ohne jemals durch allzu eigenständige Positionen aufgefallen zu sein. Gleichwohl beklagt sie, dass die besonderen Schwierigkeiten von Frauen auf dem Weg nach oben nicht genügend Berücksichtigung fänden.

Das Blog achdomina nahm Äußerungen Schwesigs zu den „tatsächlichen Problemen von Frauen“auseinander und zeigte, dass sie tatsächlich
„die realen, handfesten Probleme des alltäglichen Lebens derjenigen, über die sie spricht, nicht vor Augen“
habe – das weitgehend substanzlose Gerede vom Gender Pay Gap oder das große Interesse an „Frauen in Führungspositionen“ bediene lediglich Interessen relativ kleiner Gruppen.

Dass von der Leyen und Schwesig nach schon von Männern etablierten, wenn auch ganz verschiedenen Mustern Karriere machen, ist ihnen natürlich nicht vorzuwerfen. Irritierend aber ist, wie sie dabei ihre Geschlechterzugehörigkeit ins Spiel bringen: Die eine spekuliert auf den medialen Reiz einer Frau an der Spitze eines Ministeriums, das in den letzten Jahren viele und fast ausschließlich männliche Soldaten in den Tod geschickt hat (Todesfälle von Frauen sind hier weiterhin eine absolute Ausnahme). Die andere beklagt die besonderen Schwierigkeiten von Frauen, hat aber ihre eigene Karriere der massiven Protektion von Männern zu verdanken.

Anstatt sich aber zu fragen, ob diese feministische Politik der Privilegiensicherung nicht an dem relativ schlechten Abschneiden der Sozialdemokraten bei Wählerinnen beteiligt sein könnte, hat sich in der SPD offenbar die Meinung durchgesetzt, sie bräuchte immer mehr und mehr desselben– als ob es einfach ausgeschlossen sei, dass andere Menschen davon einmal genug bekommen könnten.
 

Paraden und Stöckchenwürfe Inhaltlich interessanter waren ohnehin andere Debatten.
„Männerrechtler Hand in Hand“, 
titelte der homosexuelle Blogger Adrian über die Blog-Parade zum Thema „Die Schwulen und die Männerbewegung“, die Christian Schmidt initiiert hatte. Obwohl nur grob das Thema, aber nicht seine Ausgestaltung abgesprochen war, hatten alle Beiträge – bei Alles Evolution, beim Flussfänger, beiGenderama, im wortschrank, bei Mein Senf, beim Pelz-Blog, bei Maskulismus für Anfänger und auch hier bei man tau  – eine klare Abgrenzung von Schwulenfeindlichkeit gemein.

Die Verbindung untereinander in der Blog-Parade, aber auch das Verständnis von Schwulenrechten als Männerrechten bedeutet zugleich eine Abgrenzung zu einer anderen Seite hin, nämlich eine – unabgesprochene, aber trotzdem unisono vorgetragene – scharfe Kritik an der Position, dass männerrechtliches Engagement selbstverständlich schwulenfeindlich wäre. Es sind genau genommen zwei Gruppen, die diese Position vertreten, nämlich etablierte Feministinnen und brachiale Maskulisten – und es ist kein Zufall, dass die Blog-Parade aus eben diesen beiden Richtungen natürlich auch, zum Teil höhnisch, kritisiert wurde.
 
Im Fazit war die Blog-Parade nach meinem Eindruck ein großer Erfolg, weil sie die großen Gemeinsamkeiten, die Unterschiede und auch den großen Willen zur Kooperation männerrechtlicher Blogger deutlich machte.
 
Das Thema Homosexualität ist aus mindestens drei Gründen wichtig für eine Klärung männerrechtlicher Positionen: Es ist davon auszugehen, dass Schwulenfeindschaft sich zu einem guten Teil aus einer für alle Männer ungünstigen Erwartung speist, nämlich der Erwartung, Versorger der Frau zu sein – der Erfolg einer Männerbewegung wird auch davon abhängen, inwieweit Männer mit ganz unterschiedlichen gründen miteinander solidarisch sein können – und ein Einsatz auch gegen maskulistische Schwulenfeindlichkeit ist auf die Interessen von Männern konzentriert, nicht auf eine Auseinandersetzung mit dem Feminismus.
 
 
Dass eben dies Männerrechtlern fehle, dass womöglich gar der Einsatz für die Interessen von Männern nur ein Vorwand für die Formulierung feminismusfeindlicher Positionen sei, war ein Vorwurf, den die Netzfeministin (für Arne Hoffmann eine Equity-Feministin, also eine Feministin, die für Gleichberechtigung eintritt und gegen Benachteiligungen beider Geschlechter) Robin Urban anlässlich der mau gebliebenen Unterstützung der Movember-Kampagne zur Aufklärung über männertypische Erkrankungen erhoben hatte.
 
Schon in der Kommentarspalte wurde der Text intensiv diskutiert, mit häufiger und ausdrücklicher Zustimmung von Männern, beim Flussfänger, bei Genderama und bei und man tau erschienen Antworten.

 
Ganz offensichtlich ist das Bedürfnis nach gemeinsamen Klärungen der männerechtlichen Positionen überhaupt sehr groß. Elmar Diederichs veröffentlichte auf seinem Blog jungsundmaedchen schon Ende November eine scharfe Attacke auf evolutionsbiologische Erklärungen in Geschlechterdebatten.
 
Christian Schmidt lud auf Alles Evolution in mehreren Beiträgen zur Diskussion von Elmars Thesen: zum Vorwurf, nur mit ausreichendem biologischen Wissen könnten biologische Erklärungen kritisiert werden, zur Bedeutung evolutionärer Erklärungen für den Maskulismus, zur Gendrift und zu anderen evolutionsbiologischen Konzepten, die Elmar nicht richtig wiedergegeben habe, zum Vorwurf der„Biologismus“ und zu den philosophischen Theorien des Geistes, die Elmar anführt.
 
Die These Elmars, dass evolutionäre Erklärungen eigentlich keine brauchbaren Erklärungen sozialen Verhaltens lieferten und so für den Maskulismus kaum brauchbar wären, stand in den Diskussionen schroff dem Vorwurf gegenüber, evolutionäre Theorien gar nicht verstanden zu haben.
 
Möglicherweise ist die Diskussion typisch für männerrechtliche Positionsbestimmungen: Auch wenn beide Seiten die Kontroverse nicht auf einen Streit der Fakultäten reduzieren wollen, ist doch deutlich, dass ein entsprechend der Disziplinen – Philosophie, Soziologie, Psychologie, Biologie – unterschiedliches professionelles und fachwissenschaftliches Selbstverständnis die Diskussion selbst ebenso prägt wie ihre zeitweiligen Verhärtungen. Gerade Männer diskutieren eben nicht unbedingt in erster Linie als Männer, sondern eingebunden in ihre beruflichen oder auch wissenschaftlichen Habitualisierungen.

 
Weit weniger kontrovers waren die Reaktionen auf den zweiten großen Anstoß für männerrechtliche Reflexionen, der in diesem Monat von einer Frau ausging: erzaehlmirnix warf ein Blogstöckchen, und zum jetzigen Zeitpunkt haben allein vierzehn Blogger, darunter mit Robin und Onyx auch zwei feministische Bloggerinnen, auf die acht Fragen von erzaehlmirnix geantwortet (ich habe alle am Ende meiner eigenen Antwort verlinkt), dazu viele in Kommentaren zu ihrem eigenen Artikel.
 
Auch an der trotz Weihnachtszeit enorm großen Bereitschaft zur Beteiligung wird deutlich, dass das Bedürfnis nach einer Formulierung der eigenen Position, die mit den Formulierungen anderer verglichen werden kann, enorm ist. Fast allen ist auch hier die Abgrenzung vom „lunatic fringe“ der Männerbewegung, von Frauen- und Schwulenfeindlichkeit gemein.

 
Nivea im Shitstorm Es wächst aber womöglich auch die Bereitschaft, sich offener und gemeinsam gegen männerfeindliche Zumutungen auszusprechen. Nivea spürte das mit einem Weihnachts-Werbespot, der den abwesenden Vater sorgfältig ausklammerte und zugleich das Bild einer heilen Familie vermittelte (Arne Hoffmann verlinkte und kommentierte die  Proteste  regelmäßig bei Genderama, die„fast schon eine sich selbständig bildende neue Blogparade“ seien).
 
Abstoßend war an dem Spot– dazu als passendes Gegenstück der Weihnachtsgruß einer Siebzehnjährigen an den Vater, den sie viele Jahre nicht sehen konnte – in meinen Augen nicht allein das sorgfältige Herausschneiden des Vaters aus dem Familientableau und die herablassende Darstellung der anderen Männerfiguren des Onkels und des Opas, sondern insbesondere die Darstellung des Kindes (danke an Nick für den Hinweis darauf).
 
Das Kind ist stumm, noch zu jung zum Sprechen, erzählt aber aus dem Off. Das Resultat: Der Spot propagiert eine Ideologie der mütterlichen Alleinerziehung, die allein die Bedürfnisse Erwachsener im Auge hat und die Interessen von Kindern ignoriert, sie legt aber zugleich eben diese Ideologie einem kleinen, von ihr erheblich betroffenen Kind in den Mund, das zugleich als stummer Mittelpunkt des sichtbaren Geschehens zur beliebigen Projektionsfigur Erwachsener aufgebaut wird.

Interessant war für mich zu sehen, dass die Proteste dagegen sich nicht durch erwartbare Widersprüche ruhigstellen ließen – einige von ihnen finden sich in intensiven Diskussionen zu einem Artikel im wortschrank.
„Das hat sowas von 'Knutschverbot', wenn du dich daran erinnerst. Da ging es drum, dass Heteros gefälligst nicht öffentlich knutschen sollen weil das Homosexuellen und ungewollt Partnerlosen weh tun könnte“,
schreibt beispielsweise erzaehlimirnix dort. Die Analogie ist allerdings krumm – analog zum „Knutschverbot“ wäre es gewesen, wenn Väterrechtler gefordert hätten, dass sich überhaupt niemand mehr über Weihnachten freuen dürfe, und schon gar nicht öffentlich. Ebenso ins Leere geht der Vorwurf, die Protestierer würden offenbar erwarten, dass
„jeder 2-Minutenspot jedem gerecht werden müsste“.
Wer Weihnachten als Familienfest inszeniert und dort den Vater betont herausnimmt, der vergisst schließlich nicht einfach nur, irgendeine Minderheit zu bedenken – als ob die Familie am Weihnachtsabend plötzlich gemerkt hätte, dass ihr der Quotendicke fehlt. Dass Problem ist, dass eine zentrale Figur fehlt und der Eindruck erweckt wird, das wäre gleichgültig.
 
Nivea verbreitet eine knallreaktionäre Ideologie, nach der ein Kind neben der Mutter eigentlich nur noch die Großmutter (mütterlicherseits natürlich) bräuchte – die Proteste dagegen sind kein Zeichen dafür, dass nun nach Feministinnen auch Maskulisten die Werbelandschaft verbissen nach möglichen Sexismen durchkämmen, sondern dafür, dass Nivea hier einfach sehr tief ins Klo gegriffen hat.
 
Das Unverständnis gegenüber diesen Protesten zeigt wiederum, wie sehr wir bereits daran gewöhnt sind, Vaterabwesenheit als etwas ganz Normales zu betrachten.

Zwei Schlussfolgerungen daraus: Ganz offensichtlich wird es Zeit, statt der weitgehend künstlichen Diskussionen um den Gender Pay Gap darüber zu reden, wer eigentlich das verdiente Geld ausgibt. Der Nivea-Spot bewirbt an keiner Stelle ein Nivea-Produkt, sondern ist allein darauf konzentriert, einer weiblichen Zielgruppe eine maßgeschneiderte Ideologie zu liefern und so die Kundenbindung zu erhöhen.
 
Wer Geld zum Ausgeben hat, bekommt praktische und opportune Welterklärungsmodelle gratis mitgeliefert. Der kress-Mediendienst, der den werbetechnischen Kindesmissbrauch durch Nivea als „unglaublich rührend“ empfindet, postet zugleich noch einen anderen Spot als vorbildlich, der in ganz ähnlicher Weise nicht etwa ein Produkt, sondern lediglich eine gefällige Ideologie verkauft.
 
Zudem ist klar geworden, dass natürlich der gerade in feministischen Kreisen beliebte Glaube nicht haltbar ist, „Betroffene“ hätten einen privilegierten Zugang zur Wahrheit hätten und alle anderen könnten demgegenüber nur schweigen und lernen – dass es aber auch keine Alternative ist, so zu tun, als ob sich nur Nicht-Betroffene sachlich und objektiv zu einem Sachverhalt äußern könnten, während „Betroffene“ lediglich persönliche Befindlichkeiten projizierten. Es wäre simpel, aber auch vernünftig, davon auszugehen, dass es überhaupt keinen an die eigene Position privilegierten Zugang zur Wahrheit gibt, weder den Betroffener noch den Nicht-Betroffener.

 
Feministinnen übrigens waren in diesen Wochen damit beschäftigt, bei Twitter einen Account einzurichten, der das Blocken (das heißt de facto: das Löschen) unwillkommener anderer Nutzer organisieren sollte, und damit, zur Weihnachtsmesse im Kölner Dom mit blanken Brüsten und dem Spruch „I am God“ auf den Altar zu hüpfen.  
 
Die Gier nach Aufmerksamkeit, die Verachtung gegenüber den Werten anderer, die Infantilität, die idiotische Selbst-Vergötterung – bei den Femen kondensiert die große Wolke Feminismus endgültig zu einem Tropfen aus konzentriertem Narzissmus. Warum Femen mit all ihrer Gewaltnähe und ihrer bekloppten „Solange-ich-dabei-meine-Brüste-zeige-darf-ich-alles“-Moral bei Medien Erfolg haben und hofiert werden, müssten vielleicht einmal einschlägig Belastete wie etwa Sandra Maischberger  beantworten.

Es sieht jedenfalls nach einem interessanten neuen Jahr aus: Während Männer sich im Netz sortieren, ihre eigenen Positionen klären, sich klar von belastenden Positionen anderer abgrenzen und gerade dadurch an Durchschlagkraft gewinnen können – während sich eine Regierungskoalition gebildet hat, die geschlechterpolitisch mit ihren verhärteten Klischees und ihren Sprechblasen außer Angriffsflächen wenig zu bieten hat – währenddessen sind Feministinnen vorwiegend damit beschäftigt, sich als Blockwärtinnen zu betätigen, anderen und einander den Mund zu verbieten oder gleich ganz in öffentlich zelebrierten Schwachsinn abzutauchen.

 
 
Ich wünsche allen einen Guten Rutsch und dann ein wunderschönes neues Jahr!
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